Sozialismus bleibt Zukunft

Nina Hager zum 80. Geburtstag von Egon Krenz

Er gilt den bürgerlichen Medien immer noch als „Honeckers Kronprinz“, als DDR-Nostalgiker und SED-„Betonkopf“, der – unbelehrbar – nach wie vor zum Sozialismus stehe. Egon Krenz, im Herbst 1989 letzter Generalsekretär der SED, wurde am vergangenen Sonntag 80 Jahre alt. In seinem Heimatort Ribnitz-Damgarten zwischen Rostock und Stralsund wird er diesen Geburtstag aber eher ruhig begangen haben. Wenige Tage zuvor war seine Frau Erika, mit der er  fast 56 Jahre zusammengelebt hatte, gestorben.

Geboren wurde Egon Krenz am 19. März 1937. Mit 16 wurde er Mitglied der FDJ, in der er von Anfang an aktiv war. 1961 wurde er Sekretär des Zen­tralrates der FDJ. Seine guten Russischkenntnisse erwarb er sich gewiss auch während seines Studiums von 1964 bis 1967 an der Parteihochschule der KPdSU in Moskau.

Später arbeitete Egon Krenz wieder als Sekretär im Zentralrat der FDJ, von 1971 bis 1974 war er zugleich Vorsitzender der Pionierorganisation. Von 1974 bis 1983 hatte er die Funktion des Ersten Sekretärs des Zentralrates der FDJ inne und übernahm zunehmend auch Funktionen in  der SED, wurde Mitglied des Zentralkomitees (1973), Mitglied des Politbüros und Sekretär des ZK (1983), Stellvertreter des Vorsitzenden des Staatsrates.

Im Herbst 1989, als die SED und ihre Führung bereits weitgehend ihre Handlungsfähigkeit eingebüßt hatten, wurde er am 18. Oktober Nachfolger von Erich Honecker als Generalsekretär und wenig später auch als Staatsratsvorsitzender. Für viele Mitglieder der Partei war das – angesichts der sich täglich dramatisch verschlechternden Situation – damals eine viel zu späte Entscheidung. Handlungsspielräume blieben kaum. Doch auch durch sein Handeln verhinderte er, dass es im Oktober und November zum Schusswaffeneinsatz bei Demonstrationen und der Grenzöffnung kam. Die Entwicklung war nicht mehr aufzuhalten, als am  9. November 1989 die Staatsgrenzen nach Berlin-West und zur Bundesrepublik geöffnet wurden.

Am 3. Dezember 1989 trat das Politbüro des ZK der SED geschlossen zurück. Ein Arbeitsausschuss wurde eingesetzt, der einen Sonderparteitag vorbereiten sollte. Egon Krenz gab am 6. Dezember auch den Vorsitz des Staatsrates ab. Im Januar 1990 legte er sein Volkskammermandat nieder. Er wurde – wie andere verantwortliche Genossen – aus der inzwischen umbenannten SED-PDS unter Gregor Gysi ausgeschlossen.

Nach 1990 wurde er, wie auch viele andere, die in der DDR Funktionen übernommen hatten, ausgegrenzt und juristisch verfolgt. Als Mitglied des Politbüros und verantwortlicher ZK-Sekretär für Sicherheitsfragen, Jugend, Sport, Staats- und Rechtsfragen wurde er – gemeinsam mit den früheren Mitgliedern des Politbüros Werner Kleiner und Günter Schabowski – wegen der Todesopfer an der Staatsgrenze der DDR (laut Anklage „innerdeutsche Grenze“) nach Berlin-West und zur BRD angeklagt. Die Verfahren gegen weitere Mit­angeklagte mussten wegen Todes bzw. Verhandlungsunfähigkeit eingestellt werden. Egon Krenz verteidigte sich vor Gericht brillant, wies Vorverurteilungen und Geschichtsfälschungen zurück, wies nach, dass weder die Anklage noch das Gericht Entlastendes zur Kenntnis nahmen. Mehrfach gab es Beifall von Zuhörern, unter ihnen auch immer mehrere Mitglieder der DKP, denen prompt die richterliche Drohung folgte, den Saal räumen zu lassen. Mit Sicherheit spielte diese unbeugsame Haltung bei der Strafzumessung eine entscheidende Rolle: Im August 1997 verurteilte eine große Strafkammer des Landgerichts Berlin Egon Krenz „wegen Totschlags in vier Fällen“ zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Diese musste er Anfang 2000 antreten und blieb vier Jahre gefangen.

Doch beugen ließ er sich nicht. Das konnten auch viele Besucherinnen und Besucher der Pressefeste der UZ, auf denen er an Diskussionsrunden teilnahm,   feststellen. Noch heute ist er aktiv, schreibt Bücher, diskutiert, hält Vorträge – demnächst in Minsk.

In den bürgerlichen Medien wurde ihm in den letzten Tagen – soweit sie überhaupt Notiz nahmen – angekreidet, dass er nach wie vor zum ersten sozialistischen Staat auf deutschem Boden, zur DDR, steht und die Legitimität des Sozialismus verteidigt. Dabei ist er kritisch, sucht er nach Ursachen der Niederlage und Antworten auf die Frage, was „ist bewahrenswert am gewesenen Sozialismus, und was darf sich nicht wiederholen?“: Angekreidet wird ihm, dass er sich gegen die Verfälschung der Geschichte wendet. Angekreidet wird ihm, dass er nach wie vor im Sozialismus die Zukunft sieht.

Das gerade gefällt uns an Egon.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Sozialismus bleibt Zukunft", UZ vom 24. März 2017



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