Konservative und Schützenvereine behindern Entwaffnung von „Reichsbürgern“

Tickende Zeitbomben

Von Markus Bernhardt

Zunehmend geraten sogenannte Reichsbürger, welche die Existenz der Bundesrepublik bestreiten, eigene Kleinststaaten ausrufen und dem extrem rechten Spektrum zuzurechnen sind, ins Visier der Sicherheitsbehörden. Nicht wenige der viel zu lange als Spinner verharmlosten Rechten sind bewaffnet und scheuen sich auch nicht, mit massiver Gewalt – in der Vergangenheit auch unter Einsatz von Schusswaffen – gegen Mitarbeiter von Ordnungsämtern, Justiz und Polizei vorzugehen. Insgesamt 18 000 Personen werden derzeit von den Behörden dem Reichsbürgerspektrum zugerechnet, mehrere Hundert von ihnen sollen bewaffnet sein.

Da die etablierte Politik die von diesem Spektrum ausgehende tatsächliche Gefahr nun endlich erkannt hat, sollen die Rechten nunmehr soweit möglich entwaffnet werden. Obwohl Waffenscheine in Deutschland nur an Personen vergeben werden sollen, die keine „verfassungsfeindlichen Bestrebungen“ verfolgen, hat die Justiz jedoch zunehmend Schwierigkeiten, die Reichsbürger zu entwaffnen. So fehlt den zuständigen Kommunen nicht nur Personal, um den Entzug der Waffenerlaubnis auf den Weg zu bringen, sondern die Betroffenen versuchen sich zunehmend mit allen juristischen Kniffen gegen ihre Entwaffnung zur Wehr zu setzen. Um der Gefahr aus der Reichsbürger-Szene zu begegnen brauche es daher „unter anderem eine konsequente Rechtsanwendung von Zuverlässigkeitsprüfungen im Waffenrecht“, forderte kürzlich Martina Renner, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei. Eben dies ist dringend notwendig, jedoch bisher keinesfalls Alltag. So setzt sich nicht nur die Waffenlobby gegen Verschärfungen und eine genauere Überprüfung bei der Vergabe von Waffenscheinen ein. Vor allem CDU und CSU blockieren bereits seit Monaten eine Bundesratsinitiative der SPD, die sich für eine Regelanfrage beim Inlandsgeheimdienst stark macht, wenn jemand einen Waffenschein beantragt. Konservative und Schützenverbände sehen Waffenbesitzer und Antragssteller für eine Erlaubnis dadurch pauschal verunglimpft und in eine verfassungsfeindliche Ecke gestellt. Sie lehnen besagte Überprüfungen daher ab. Aber nicht nur das. In Sachsen ignoriert die Staatsregierung aus CDU und SPD die von den ex­tremen Rechten ausgehende Gefahr weitgehend. Dies, obwohl allein im Freistaat von März 2017 bis März 2018 rund 150 Ermittlungsverfahren wegen Nötigung und Erpressung gegen das besagte Spektrum anhängig waren.

Enrico Stange, Landtagsabgeordneter der sächsischen Linkspartei, hatte sich in der Vergangenheit bereits mehrfach für ein striktes Vorgehen gegen die Reichsbürger stark gemacht, von denen es in Sachsen über 1 500 geben soll. Insgesamt 29 016 Menschen besitzen – so die aktuellsten Zahlen – derzeit in Sachsen legal Schusswaffen. Für die Überprüfung dieser Masse Waffen gebe jedoch es landesweit ganze 34 Vollzeit-Stellen bei den Behörden, monierte Stange. Er forderte die Staatsregierung daher bereits mehrfach auf, „ein Konzept zur Abrüstung in Sachsen vorzulegen, das die Zahl der scharfen Waffen reduziert und ihre Kontrolle verbessert“. „Wir brauchen keine Aufrüstung der Polizei, sondern eine Abrüstung der Bevölkerung! Wenn gefährliche Leute wie „Reichsbürger“ auch noch einen Waffenschein haben, erreicht der Irrsinn seinen Gipfel.“ Es sei Zeit für „einen grundlegenden Kurswechsel“ „im Interesse des Schutzes der Bewohnerinnen und Bewohner unseres Landes“, stellte er klar.

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"Tickende Zeitbomben", UZ vom 19. Oktober 2018



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