Mehrarbeit und größere Klassen gegen Lehrermangel

Überlastungsspirale

Tim Carlitscheck

„Der Mangel an qualifiziertem Personal prägt mittlerweile in dramatischer Art und Weise fast alle Segmente des Arbeitsmarktes, so auch den Teilarbeitsmarkt Schule.“ Mit diesen Worten beginnt die jüngst von der „Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz“ (SWK) veröffentlichte Studie. Die „Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel“ – so der Titel der Studie – umfassen sowohl sinnvolle Maßnahmen als auch Angriffe auf die Arbeitsbedingungen der Lehrkräfte.

Zunächst beschreiben die Autorinnen und Autoren die Lage im bundesdeutschen Bildungswesen. So fehlen bundesweit für das Jahr 2025 bis zu 70.000 Lehrkräfte. Besonders prekär ist die Situation an Schulen der Sekundarstufe I und an den Grundschulen. Hier fehlen etwa 21.000 Lehrerinnen und Lehrer. Schwierig sei die Personalsituation auch in „regionalen Randlagen in den Flächenstaaten sowie in sozial-segregierten Gebieten in Großstädten und Ballungszentren“.

Die SWK geht davon aus, dass der Lehrermangel noch bis zu 20 Jahre anhalten wird. Zur kurz- und mittelfristigen Sicherstellung des Unterrichts schlägt die SWK als eine Maßnahme vor, „die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit zu begrenzen“. Der Anteil von Lehrkräften in Teilzeit sei deutlich höher als der der Erwerbstätigen insgesamt. Als Gründe benennt die SWK selbst familiäre Verpflichtung und „die Beanspruchung im Unterricht“. Letztere wird noch steigen, denn als weitere Maßnahme schlägt die SWK eine befristete „Erhöhung der Unterrichtsverpflichtung“ vor und das, obwohl die Arbeitszeit von Lehrerinnen und Lehrern bereits heute offiziell bei bis zu 42 Stunden pro Woche liegt. Weiterhin empfiehlt die SWK, die Klassengrößen dort zu erhöhen, „wo bislang Maximalfrequenzen (…) unterschritten wurden“.

Mehr arbeiten in größeren Klassen! Diese Aussichten werden noch mehr mögliche Interessenten für den Lehrerberuf verschrecken: Allein zwischen 2010 und 2019 nahm die Zahl der Absolventinnen und Absolventen im Lehramt bundesweit um 25 Prozent ab, obwohl deutlich mehr Studienplätze angeboten wurden. Besonders stark sank die Absolventenzahl gerade in den Bereichen, die besonders gefragt sind: um 34 Prozent bei den Grundschulen, 38 Prozent an Sekundarschulen und sogar um 43 Prozent an Förderschulen. Forderungen zur gleichen Bezahlung von allen Lehrkräften oder eine bessere Vergütung von Referendarinnen und Referendaren sucht man in den SWK-Empfehlungen übrigens vergeblich.

Daneben empfiehlt die SWK aber auch sinnvolle Maßnahmen wie die Entlastung der Lehrkräfte von Verwaltungsaufgaben, die erleichterte Anerkennung von ausländischen Lehramtsabschlüssen, zusätzliches Personal im Unterricht und für die Korrektur von Klassenarbeiten sowie die Erweiterung der Weiterbildungsmöglichkeiten. Weniger sinnvoll ist aufgrund fehlender Ausstattung die Ausweitung von Digitalunterricht und die Erhöhung betreuter Selbstlernzeiten, denn einerseits brauchen benachteiligte Schülergruppen eine intensive Betreuung durch die Lehrkräfte und andererseits sind oft die häuslichen Voraussetzungen für konzentriertes Lernen nicht gegeben.

Die Kritik an den SWK-Empfehlungen fiel verheerend aus. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) empfindet die Empfehlungen als „blanken Hohn“ und warnt vor einer „Spirale aus Überlastung durch Lehrkräftemangel und Lehrkräftemangel durch Überlastung, die zu Abwanderung aus dem Beruf führen werde“. Der konservative „Verband Bildung und Erziehung“ (VBE) nennt die Vorschläge einen „Offenbarungseid der Bildungspolitik“. Doch trotz der Kritik kündigte Sachsen-Anhalts Bildungsministerin Eva Feußner (CDU) an, den Empfehlungen der SWK folgend die Arbeitszeit der Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Bundesland bis zum Schuljahr 2027/28 um eine Stunde pro Woche erhöhen zu wollen. Danach sollen die so angehäuften Überstunden abgebaut werden können. Ob es zu diesem Zeitpunkt allerdings ausreichend Personal geben wird, um die bis zu 1.000 zusätzlichen Stunden abfeiern zu können, ist fraglich.

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"Überlastungsspirale", UZ vom 10. Februar 2023



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