Russophobie soll helfen, die Erinnerung an die Befreiung durch die Rote Armee auszuradieren

Ukrainekrieg und Geschichtsvergessenheit

Der Ukrainekrieg zeigt auch geschichtspolitische Auswirkungen in Deutschland. Es entsteht der Eindruck, als solle die „Zeitenwende“ unter anderem dazu genutzt werden, die faschistische Vergangenheit zu entsorgen. Das ist ein dramatisches Signal hinsichtlich der ideologischen Situation in unserem Land.

Ende März protestierte die russische Botschaft gegen einen Vorfall in Berlin, bei dem die sowjetischen Panzer am architektonischen Ensemble der Gedenkstätte im Berliner Tiergarten mit Planen in den Farben der ukrainischen Flagge verhüllt wurden. Die Botschaft betrachte diesen Vorfall als Schändung des Denkmals für sowjetische Soldaten, die im Kampf für die Befreiung Europas vom Faschismus gefallen seien, hieß es. Zuvor schon hatten andere „Aktivisten“ mit einer demonstrativen Aktion an dieser Stelle ebenfalls ihre Ablehnung der russischen Regierung und des russischen Vorgehens demonstriert. Dass diese Gedenkstätte für alle sowjetischen Soldaten errichtet wurde, die an der Befreiung Berlins 1945 beteiligt waren, scheint vergessen zu sein, wenn man das Denkmal als Ort „russischer Propaganda“ angreift. Die gleiche Geschichtsvergessenheit kennzeichnet die „taz“, wenn sie in ihrer Russo­phobie davor „warnt“, dass zahlreiche „Putin-Freunde“ zur diesjährigen Kundgebung am 9. Mai im Treptower Park mobilisieren. Es sei eine „riesige Propagandashow“ geplant. Zwar wisse man nicht, was die russische Botschaft damit zu tun habe, aber ein „Meer russischer und sowjetischer Fahnen“ solle „im russischen Staatsfernsehen gezeigt werden“. Die Forderung: Die Politik müsse solches unbedingt verhindern – der „Tag des Sieges“ über den deutschen Faschismus dürfe so nicht gefeiert werden.

Gedenkstätten, an denen auch der sowjetischen Opfer des deutschen Faschismus gedacht wird, kündigten derweil an, man werde wegen des Krieges in diesem Jahr keine Vertreter der russischen und belorussischen Seite zu Befreiungsfeiern einladen, während andere darüber hinausgehend behaupten, Deutschland habe eine besondere Verpflichtung gegenüber der Ukraine aufgrund der verheerenden Kriegsverbrechen in der Zeit der faschistischen Okkupation. Soll also nun der ukrainische Botschafter Andrej Melnik, der nicht nur am Grab des Nazikollaborateurs Stepan Bandera Kränze niederlegt, sondern sich auch als Verteidiger des faschistischen Asow-Bataillons betätigt, als „Ehrengast“ begrüßt werden?

Der spricht in seinen zahllosen Auftritten in bundesdeutschen Talkshows in Analogie zum faschistischen Überfall auf die Sowjetunion 1941 gerne von einem „Vernichtungskrieg“, der sich diesmal nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen die ganze freie Welt richte. Der ukrainische Präsident Wladimir Selenski toppt diesen Vergleich noch damit, in Moskau sei von einer „Endlösung der ukrainischen Frage“ die Rede. Solche demagogischen Begriffe verharmlosen und relativieren den faschistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion und selbst den Holocaust. Wer so etwas öffentlich zulässt, hat offenkundig das Interesse, die Verbrechen des deutschen Faschismus mit dem propagandistischen Getöse um den Ukrainekrieg zu entsorgen.

Solche absurde Geschichtsverdrängung findet man selbst im Nachbarland Luxemburg. In Esch-Belval wird die Erinnerung an sowjetische Zwangsarbeiter, die zwischen 1942 und 1944 von den Nazis nach Luxemburg verschleppt wurden, auf einmal infrage gestellt. Um der gut 3.500 Sowjetbürger zu gedenken, sollte in Abstimmung zwischen Staatsministerium und der Escher Gemeinde – einem Antrag der russischen Botschaft entsprechend – ein Denkmal errichtet werden. Den Auftrag erhielt der russische Bildhauer Grant Garibyan. Nun beschloss der Escher Gemeinderat Anfang März 2022, wiederum in Übereinstimmung mit dem Staatsministerium, dass das Denkmal „auf Eis gelegt“ werden soll – vorgeblich aus Solidarität mit der Ukraine. Natürlich hat niemand darüber nachgedacht, wie viele der zur Zwangsarbeit gepressten Sowjetbürger aus der damaligen Ukrainischen SSR stammten. Auch dieses Beispiel zeigt, wie russophobe Kriegspropaganda historisches Vergessen und Geschichtsrevisionismus befördert.


Nein zu Geschichts­revisionismus und Holocaustrelativierung
Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) kritisiert die Kriegspropaganda
Als die Russische Föderation ihren Angriff gegen die Ukraine erklärte, begründete sie dies mit der Notwendigkeit einer „Entnazifizierung“ der Politik des Landes. Sie verwies auf faschistische Organisationen wie das Asow-Bataillon, das mittlerweile in die reguläre Armee eingegliedert war, und die öffentliche Bandera-Verherrlichung mit Denkmälern, Feiertagen und Aufmärschen für SS-Freiwillige. Als besonderes Drama nannte sie die militärischen Angriffe der ukrainischen Armee gegen die Volksrepubliken im Donbass in der Zeit von 2014 bis 2021, bei denen über 14.000 Menschen getötet wurden. Russland bezeichnete dies als „Genozid“ an der russischsprachigen Bevölkerung. Obwohl all das unbestreitbare Tatsachen waren, haben sich dennoch vollkommen zu Recht die Internationalen Lagergemeinschaften und die FIR dagegen verwahrt, dies als Legitimation für einen Krieg zu nehmen und den unangemessenen Gebrauch des Begriffs „Genozid“ zurückgewiesen.
Gleichermaßen müssen wir heute die medialen Formen der Holocaustrelativierung, wie sie in den vergangenen Tagen seitens der ukrainischen Regierung vorgenommen wird, zurückweisen. Nicht nur der ukrainische Botschafter in der BRD, Andrej Melnik, der sich als Verteidiger des Asow-Bataillons betätigt, sprach in Analogie zum faschistischen Überfall auf die Sowjet­union 1941 von einem „Vernichtungskrieg“, der sich diesmal nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen die ganze freie Welt richte. In den ersten Tagen des Krieges wurde seitens der ukrainischen Regierung die Behauptung in die Welt gesetzt, die russische Armee habe mit einem Angriff auf die Gedenkstätte Babi Jar die Erinnerung an die Opfer des faschistischen Massenmords geschändet. Erst ein Journalist der „Jerusalem Times“ belegte mit Bildern vom Ort, dass weit von der Gedenkstätte entfernt ein Sendemast angegriffen und zerstört worden war – die Behauptung des Angriffs auf die Gedenkstätte also reine Propaganda war.
Dass sich die ukrainische Regierung bewusst des Faschismusvergleichs bedient, um Unterstützung für die eigene Kriegspolitik zu erhalten, zeigte der ukrainische Präsident Wladimir Selenski bei seinen Videoansprachen im Deutschen Bundestag und in der israelischen Knesset. In Jerusalem trieb Selenski diese Form von Geschichtsrevisionismus auf die Spitze, indem er den Tag des russischen Angriffs mit dem Datum der Gründung der NSDAP verknüpfte, als sei das für die russische Regierung von irgendeiner Bedeutung gewesen. Danach behauptete Selenski, so wie die Nazis damals von einer „Endlösung der Judenfrage“ gesprochen hätten, sei inzwischen in Moskau von einer „Endlösung der ukrainischen Frage“ die Rede. Die Bedrohung sei dieselbe – für uns und für euch, fuhr der ukrainische Präsident fort, die totale Zerstörung von Volk, Staat, Kultur. Anders als von Selenski erwartet, stieß diese Holocaustrelativierung in Israel und bei dessen Regierung nicht auf Zustimmung. Weder hatte man dort vergessen, in welchem Maße in der heutigen Ukraine neofaschistische und antisemitische Übergriffe in den vergangenen Jahren an der Tagesordnung waren, noch war man bereit, eine solche Behauptung hinzunehmen. Der Krieg in der Ukraine sei wirklich schrecklich, antwortete Israels Kommunikationsminister Yoaz Hendel; allerdings sei der Vergleich mit den Schrecken des Holocausts und der Endlösung ungeheuerlich. Der Abgeordnete und ehemalige Finanz- und Geheimdienstminister Yuval Steinitz stellte fest, jeder Vergleich zwischen einem regulären Krieg (…) und der Vernichtung von Millionen Juden in Gaskammern grenze „an Holocaustleugnung“.
Die FIR erinnert in diesem Zusammenhang auch noch einmal daran, dass vor 23 Jahren zur propagandistischen Legitimierung des NATO-Krieges gegen Jugoslawien ebenfalls die ­Holocaustrelativierung genutzt wurde. 1999 warf der bundesdeutsche Außenminister ­Joseph ­Fischer dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosˇevic´ vor, wie Hitler zu handeln. ­Fischer behauptete sogar, im Kosovo drohe sich das Menschheitsverbrechen von Auschwitz zu wiederholen. Deutsche Überlebende der Shoah und des nazistischen Massenverbrechens bezeichneten dies damals als „Neue Auschwitz-Lüge“. Solche Instrumentalisierung von Faschismusvergleichen für militärisches Handeln ist aus unserer Sicht nicht akzeptierbarer staatlicher Geschichtsrevisionismus.



Veteranen und Kinder des Großen Vaterländischen Krieges an die Regierung
und das Volk Deutschlands

Der Russische Veteranenverband veröffentlichte am 6. März diesen Aufruf, den wir in Auszügen dokumentieren. Die Veteranen und die „Kriegskinder“, die zwischen 1927 und 1945 geboren wurden, hoffen mit ihrer Botschaft „ehrliche Menschen in Deutschland, Antifaschisten“ zu erreichen.
Wir, die letzten Veteranen und alle aus den Völkern Russlands, die diesen großen und schrecklichen Krieg überlebt haben, stehen heute an der Schwelle zum Tod. Unsere Zeit wird knapp. Den größten Teil unseres Lebens hofften wir, dass es in Frieden zu Ende geht – ohne den alles zerstörenden Hass. Nach dem Zweiten Weltkrieg überwanden wir mühevoll, über lange Jahrzehnte hinweg, unseren gerechten Zorn. Wir sehnten uns nach Vergeltung für die zahllosen geistigen und körperlichen Wunden, die wir immer noch an unseren Körpern und in unseren Herzen tragen. Aber die meisten von uns haben verziehen!
Dann, im Jahr 2014, als alles in der Ukraine begann, blickten wir hoffnungsvoll nach Deutschland und auf die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel. Wir hätten uns nicht vorstellen können, dass die Deutschen nach allem, was sie in der Ukraine angerichtet hatten – nach Babi Jar, nach den Bergen verstümmelter Leichen –, immer noch voller Begierde auf die ukrainischen Felder schauen würden, die auch heute noch Europa ernähren können. Oder dass sie, die Deutschen, die auch die ihnen einst versprochene Krim mit Blut getränkt hatten, heute noch ein Interesse daran haben, die Krim zu einem amerikanischen und insgesamt zu einem NATO-Stützpunkt zu machen – ideal für Angriffe auf Russland. Das wäre offen auf einen zukünftigen Krieg ausgerichtet. Denn nur Dummköpfe verstehen den Sinn und Zweck des ganzen Umsturzes in der Ukraine nicht, bei dem sich Russland auf die einzig mögliche Weise verhalten hat!
Und es sind Ihre Zöglinge, die ihre Fackelzüge durch Kiew veranstalten konnten. Der lebendige Schatten Nazideutschlands steht hinter all dem. Das wurde nur zeitweilig durch eine verschlagene Diplomatie vertuscht – „Helme statt Gewehre“. Aber das war’s, die „Masken sind gefallen“. Dass Sie heute deutsche Waffen an die Ukraine liefern, ist folgerichtig, es liegt in der Logik Ihrer Politik der letzten Jahrzehnte. Sie ist heute wieder offen profaschistisch. Sie haben diesen Schritt getan: Deutsche Waffen werden wieder Russen töten. Das Töten setzt sich fort.
In den Jahren des Konflikts im Donbass haben Ihre professionellen Mörder schon Russen getötet, lehrten zumindest, „wie man sie richtig umbringt“. Nur ist es jetzt noch abscheulicher – Sie bringen es Blutsbrüdern bei. Der Donbass liegt auf Ihrem Gewissen! Tausende Leben seiner friedlichen Bürger – das ist erneut Ihr Werk. Uns wühlt nicht auf, welche Rolle die Amerikaner bei all dem spielen: Dort ist Geld Gott!
Im Wesentlichen geht es um die Vorbereitung auf den Dritten Weltkrieg. Und wieder einmal um Sie, die Deutschen … Deutschland. Von der hohen deutschen Tribüne in Berlin hören wir heute: „Russland wird einen hohen Preis zahlen!“ Eine Rede des Kanzlers von Deutschland! Undenkbar! Wir haben den Preis bereits bezahlt: 27 Millionen unserer Menschenleben. Genügt Ihnen das nicht?! Über welchen Preis reden Sie noch? Es gibt kein Haus in Russland, der Ukraine und Belarus, in dem „dieser Preis“ nicht gezahlt worden wäre. Und es gibt kein Haus in Deutschland, das nicht an dieser furchtbaren blutigen Barbarei teilgenommen hat! Schrecklich! Bestialisch!
Die öffentliche Verhöhnung des Völkermordes an den Russen im Donbass durch den deutschen Bundeskanzler ist selbst ein Verbrechen. So weit können Lektionen der Geschichte vernachlässigt und entweiht werden! Die schrecklichste Geschichte der Welt! Wollen Sie es noch schlimmer? Dieser neue „Drang nach Osten“ kann dazu führen, dass es keinen zweiten Nürnberger Prozess gegen Sie geben wird, weil es einfach keine Menschheit mehr geben wird. Sie werden nicht mehr da sein!
Aber ein besonderes Gericht, ein universelles Gericht über Sie, Deutsche, ist unausweichlich. Über alle Aggressoren, aber über Sie besonders. Der Welt wird Gerechtigkeit widerfahren! Und wir, die letzten Veteranen dieses schrecklichen Krieges, verlassen diese Welt als Zeugen. Als Zeugen der Anklage! Und heute wird der Sieg unser sein, aber diejenigen, die gestern gestorben sind, oder diejenigen von uns, die heute sterben, legen Zeugnis von der Rolle des deutschen Volkes in der Menschheitsgeschichte der Welt ab – der blutigen Geschichte. Deutsche Waffen sind wieder in den Händen junger Nazitypen!
Haltet ein!
Übersetzung aus dem Russischen: Arnold Schölzel


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"Ukrainekrieg und Geschichtsvergessenheit", UZ vom 8. April 2022



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