Lars Mörking über die „Sicherheitskonferenz“

Uneins, zögerlich, impotent?

Fast vierzig Staats- und Regierungschefs, sechzig Außenminister und vierzig Verteidigungsminister aus aller Welt sollen in München bei der „Sicherheitskonferenz“ aufeinandertreffen. Darunter sind Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Kanadas Premierminister Justin Trudeau und EU-Präsidentin Ursula von der Leyen. US-Außenminister Mike Pompeo und Verteidigungsminister Mark Esper werden erwartet, ebenso der russische Außenminister Sergej Lawrow und der ukrainische Präsident Wladimir Selenski. Am Sonntag ist in München am Rande der Sicherheitskonferenz auch eine Fortsetzung der Berliner Libyen-Konferenz geplant.

Wolfgang Ischinger eröffnete bereits am Montag mit der Vorstellung des „Munich Security Report“ die Debatte, die auf der von ihm geleiteten „Sicherheitskonferenz“ stattfinden soll. In der Bayerischen Vertretung in Berlin gab Ischinger einen Ausblick auf Themen und Gäste. Im „Munich Security Report“, der unter dem eigens geschaffenen Begriff „Westlessness“ steht, sollen die Anwesenden den sinkenden Einfluss der NATO-Staaten problematisieren. Offenbar soll der Begriff „Westlessness“ ausdrücken, wie leer, kalt und verlassen sich die Menschen im Süden, Osten und Norden fühlen müssen, wenn der Westen nicht mehr militärisch präsent ist oder zumindest bereit, im Konfliktfall einzumarschieren.

Wer Ischingers Bericht liest, könnte den Eindruck bekommen, dass nach der Konterrevolution 1989 zunächst alles zum Besten stand: Es habe „beinahe unangefochtene militärische Bewegungsfreiheit“ für die NATO gegeben, heißt es im „Munich Security Report“. Und heute? Anstatt direkt einzugreifen, „helfe“ man anderen häufig nur noch mit Trainingsmissionen. Heute sei der „Westen“ uneins, zögerlich, gar „impotent“ – die Europäer noch mehr als die USA, die zwar noch könnten, aber nicht mehr wollten. Ganz anders dagegen Russland, China und die Türkei, die entschlossener seien als der Westen, militärisch aufholten und an Einfluss gewännen.

Ischinger übt mit dem „Munich Security Report“ routiniert Kritik an der EU und vor allem an der Bundesregierung, gerade angesichts eines vermeintlichen Rückzugs der USA von ihrer Rolle als Weltpolizist. Ein „unverzeihliches Versagen“ sei, dass sich in Syrien derzeit Russland und die Türkei durchsetzten. Für diese Erzählung ist Ischinger bekannt und bei Friedensfreundinnen und -freunden zu Recht unbeliebt: Der liberale, demokratische und zögerliche Deutsch-Europäer sieht tatenlos dabei zu, wie autokratische Regime an Boden gewinnen. Das Plädoyer folgt und bleibt immer gleich: Deutschland muss mehr „Verantwortung“ übernehmen, darf nicht mehr länger nur zuschauen, muss endlich handeln angesichts der „globalen Herausforderungen“.

Mit Verweis auf Syrien und Libyen wird behauptet, der „Westen“ reagiere entweder zu spät oder nicht, habe dann aber erheblich mit den Folgen zu kämpfen. Nach Ischingers Logik müssten die EU und allen voran Deutschland in Syrien militärisch eingreifen – um Fluchtursachen zu beseitigen.

Der NATO-Partner Türkei sorgt in Nordsyrien mit Hilfe deutscher Panzer für Tod, Vernichtung und Massenflucht? Ischinger plädiert dafür, die Panzer lieber selber nach Idlib zu fahren.

Frankreich und Britannien bomben Libyen in Krieg und Chaos? Ischinger findet, der Scherbenhaufen dürfe nicht der Türkei und Russland überlassen werden.

Und wenn die irakische Bevölkerung die Schnauze voll hat von der US-Besatzung? Auch hier hat Ischinger sicherlich einen guten Vorschlag. Wie wäre es zum Besipiel, wenn Deutsch-Europa mal als Besatzer einspringen würde?

Nimmt irgendwer dem Leiter der „Sicherheitskonferenz“ diese Erzählung noch ab? Ich meine jetzt, außer den „liberalen“, „demokratischen“, „westlichen“ Medien natürlich.

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Uneins, zögerlich, impotent?", UZ vom 14. Februar 2020



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