UZ-Serie zum Thema Kommunale Finanzen • Teil 8 und Ende

Unterbietungswettbewerb zugunsten des Kapitals

Kommunale Haushaltsdebatten erinnern an theologische Streitigkeiten innerhalb eines Erlösungsglaubens: Die Kämmereien rufen ihre Schützlinge in den Stadträten auf, ein bescheidenes, sparsames Leben zu führen. Eines Tages, so die Erzählung, werde der Haushalt im Griff sein und eine bessere Zeit kommen. Im Gegenzug fordern nicht wenige der vollintegrierten Gemeinderäte ihre Kämmerer dazu auf, wie „ehrbare Kaufleute“ zu agieren. Das stille Einvernehmen beider Seiten macht Argumente und Erklärungen überflüssig. Die rationale Erwägung weicht der Wiederholung des gemeinsamen Bekenntnisses. Ideologische Verblendung lässt den politisch verordneten Sachzwang wie eine Naturgewalt erscheinen. Die Ausläufer dieser Anschauung reichen weit über die Räte hinaus.

Die Architektur der Gemeindefinanzierung, die die Kommunen in Konkurrenz zueinander hält und sozialen Fortschritt behindert, wird dabei nur selten hinterfragt. Ihre Mechanismen werden von der Vorstellung eines Geldtopfes überdeckt, der eben nur einmal ausgegeben werden kann. Eine Debatte darüber, was notwendig ist und was in der Stadt getan werden muss, scheint ganz selbstverständlich nur so weit zulässig, solange noch Geld im Topf ist. Die daraus folgende Spaltung wirkt daher natürlich, wenn nicht sogar vernünftig. Die bürgerliche Politik versteht es, diesen Glauben zu verbreiten und zu nutzen.

Selten wurde das so deutlich wie in der aktuellen Tarifrunde des öffentlichen Dienstes. Schon im Januar warnte der Städte- und Gemeindebund vor „hohen Tariferwartungen“, die die Kommunen mehr als 15 Milliarden Euro im Jahr kosten würden. Im gleichen Papier kündigte der Verband an, dass die „die Bürgerinnen und Bürger auch auf Einschränkungen und Verzicht vorbereitet werden“ müssten. In mehreren Gemeinden wurden Einschnitte angekündigt, wenn die Tarifrunde mit spürbaren Lohnsteigerungen enden sollte. Karin Welge (SPD), Präsidentin der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände, warnte davor, „dass wichtige Investitionen, Instandsetzungen und Zukunftsaufgaben der Kommunen“ leiden könnten. Die Botschaft: Der Topf ist leer und jede Ausgabe für bessere Löhne im Öffentlichen Dienst geht zulasten der Allgemeinheit.

Wie lange diese Argumentation noch verfängt, wird sich zeigen. In den vergangenen Jahren erlebten die Bürgerinnen und Bürger immer wieder, mit welcher Leichtigkeit dreistellige Milliardenbeträge locker gemacht werden konnten, wenn es um die Rettung von Energiekonzernen oder um die Aufrüstung der Bundeswehr ging. Außerdem dürfte kaum jemand glauben, dass ein schlechter Tarifabschluss die Bedingungen für Gemeinden verbessern und für bessere Schulen und Kindergärten oder mehr öffentlichen Wohnungsbau sorgen würde. Linke Kommunalpolitik muss aufzeigen, dass der Kampf um eine auskömmliche Daseinsvorsorge und der Kampf um gute Löhne im öffentlichen Dienst zusammengehören. Dazu ist es notwendig, die Geldtopf-Illusion zu zerschlagen und den Erlösungsglauben der „ehrbaren Kaufleute“ zu entlarven.

Letzteres ist einigermaßen einfach. Einerseits sind viele Kommunen so überschuldet und perspektivlos, dass sie sich kaum noch aus eigener Kraft befreien können. Doch selbst dort, wo plötzlich ein Geldsegen auftaucht, sind große Sprünge nicht zu erwarten. Im Jahr 2021 explodierten in Mainz die Gewerbesteuereinnahmen. Grund war der dort ansässige Impfstoffhersteller BioNTech, der dank Pandemie das Geschäft seines Lebens machte. Die notorisch klamme Kommune erwirtschaftete einen Haushaltsüberschuss von einer Milliarde Euro. Und was geschah mit dem Geld? Für 634 Millionen Euro sollten Kassenkredite abgelöst werden. Um mehr Unternehmen anzulocken, wurde der Gewerbesteuerhebesatz von 440 Prozentpunkten auf 310 Prozent gesenkt. 351,6 Millionen Euro wurden einfach an das Kapital verschenkt. Für den Oberbürgermeister hatte es Priorität, „sich von Belastungen zu befreien und nicht kurzfristig neue zu schaffen“, wie er der Zeitung „Die Zeit“ sagte.

Selbst dann, wenn Geld vorhanden ist, dominiert das Konkurrenzdenken. Es wird alles versucht, um den stadteigenen „Gönner“ zu befriedigen und in der Gemeinde zu halten. Die paradoxe Wirkung der Rekordeinnahmen: Dem kommunalen Raum und der öffentlichen Hand gehen weitere Steuereinnahmen unwiederbringlich verloren. Das Kapital profitiert gerade in dem Moment am stärksten, in dem massive Investitionen in Wohnen, Soziales, Kultur und die Daseinsvorsorge möglich wären. Weil Mainz weiter oben schwimmen will, lässt die Stadt für alle das Wasser aus dem Becken.

Diese Form des Kannibalismus ist in den Strukturen der Gemeindefinanzierung angelegt. Der selbst in reichen Gemeinden vorhandene Konkurrenzdruck führt zu einem „Race to the bottom“, einem Unterbietungswettbewerb, von dem die Arbeiterklasse am stärksten betroffen ist. Dagegen helfen keine weisen Wörter in Rathäusern und kein Warten auf das Paradies. Dagegen müssen konkrete Kämpfe entwickelt werden, für den Erhalt der öffentlichen Einrichtungen und der Daseinsvorsorge vor Ort. Am Ende dieser Serie hält sich die Erkenntnis: Erlösung kommt nur vom „selber tun“.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"Unterbietungswettbewerb zugunsten des Kapitals", UZ vom 31. März 2023



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