Heinz Strunk verliert sich mit „Der goldene Handschuh“ in billiger Überzeichnung

Unterste Schublade

Von Ken Merten

Strunk, Heinz: Der goldene Handschuh, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2016, 256 Seiten, 19,95 Euro

Strunk, Heinz: Der goldene Handschuh, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2016, 256 Seiten, 19,95 Euro

Neulich, als die Europameisterschaft noch eine Vorfreude war, die uns die Franzmänner und –frauen mit ihrer Streikerei kaputtzumachen drohten, da sah man noch Heinz Strunk im Öffentlich-Rechtlichen Querflöte spielen. Zusammen mit Extra-3-Moderator Christian Ehring und dem musikalischen Fiasko „Revolverheld“, die 2008 noch den offiziellen DFB-Song zur EM lieferten, sang man Anfang Juni 2016 gegen den schwelenden Rassismus der durch AfD und Pegida angestochenen Deutschnationalen im Land des gepflegten Bierbauchschwenkens beim „Sieg, Sieg!“-Rufen.

Heinz Strunk, 1962 als Mathias Halfpape in Hamburg geboren und 2011 Bürgermeisterkandidat für die Partei „Die Partei“ in der Hansestadt, ist ein Tausendsassa. Als medialer Universalgelehrter malträtierte er mit „Studio Braun“ nicht nur die, die den Hörer abnehmen, sondern auch jene, die immer noch glauben, Telefonstreiche seien etwas anderes als eine Witzlosigkeit, mit der Radiosender billig Sendezeit füllen können.

Seit 2004 darf Strunk sich auch Romancier nennen. Mit „Fleisch ist mein Gemüse“ debütierte er erfolgreich. Autobiografisch behandelte er schon damals Alkoholismus und soziale Isolation. Aus anderen wahren Leben schöpft Strunk auch in seinem neuen Roman, „Der goldene Handschuh“, benannt nach einer rund um die Uhr geöffneten Absteige auf St. Pauli. Dort ging in den 70ern der Frauenmörder Fritz Honka eher ein als aus.

Als Kommunistensohn zur Sippenhaft ins KZ gesteckt, macht der als 16-Jähriger 1951 in den Westen. Von Übergriffen und Arbeitsunfällen gezeichnet, klein und schmächtig gebaut, mit Sprachfehler und schielend, ermordet er schließlich zwischen 1970 und 1975 vier Frauen bestialisch und versteckt sie in seiner verwahrlosten Wohnung. Erst durch einen Hausbrand werden die verstümmelten Leichen entdeckt. Als vermindert schuldfähig wurde er für einen Mord und Totschlag in drei Fällen zu 15 Jahren verurteilt. Geistig und körperlich lange hinüber, stirbt er 1998.

Leben und Taten Fritz Honkas sind in fünf Minuten online nachlesbar. Ein Roman, der Strunk endlich vom schreibenden Comedian zum Autoren aufsteigen lassen soll, kann da nicht beim bloßen Abstottern einer Story aus Unterschichtentotsuff, Napoleonkomplex und sexuellem Sadismus stehenbleiben. Ein Kniff, den Autor Strunk dabei anwendet, ist so simpel wie treffend: Er baut weitere Handlungsstränge ein, angesiedelt im Privaten der großkapitalistischen Habewasse – durch die Enteignung von Jüdinnen und Juden noch reicher geworden und später in der BRD auf Absolution wartend –, die nicht aus Not Fusel schütten und Frauen missbrauchen, sondern aus Tristesse, die sich in den „Goldenen Handschuh“ verirren, weil er eine Attraktion ist.

Die Attraktion zeichnet Strunk – anders als der Maestro der Milieustudie, Ralf Rothmann („Hitze“, 2003) – über die Stammgäste der Kneipe. Die ProtagonistInnen sind zum Inventar der Lokalität abgestiegen. „Manche sitzen zwanzig, dreißig Stunden hier. Einmal hing einer zwei Tage und Nächte bewegungslos auf seinem Hocker, der war schon tot, wegen des Schichtwechsels hat aber keiner was gemerkt. Gesunder Schlaf, dachten die Leute. In der dritten Nacht war jemand gestürzt und hatte im Fallen den Toten mitgerissen, sonst wäre es wohl erst aufgefallen, wenn ihn die Ratten angenagt hätten.“

Zwischen all den „Schimmligen“, „Säberalmas“ („Die heißen so, weil sie ihren Speichelfluss nicht mehr unter Kontrolle haben. Der Alkohol hat das Hirn zerfressen […], und irgendwann rinnt ihnen dann der Speichel aus den Mundwinkeln.“) und Ex-Waffen-SSlern hockt Fritz „Fiete“ Honka als einer von vielen Zechenden. Er hält Ausschau nach älteren Frauen ohne Bleibe, um sie mit Alkohol abzufüllen, in seine Wohnung zu sperren und sich dort an ihnen psychisch wie physisch zu vergehen.

Der Hauptcharakter, total moralbefreit und dabei selbst gefangen im Apparat aus Sucht und Schändung, erinnert an einen prekären Pat Bateman, den serienkillenden Börsianer aus Bret Easton Ellis‘ „American Psycho“ (1991). Als müsste Strunk nachweisen, dass er lesen kann, führt er Ellis auch in seiner Lektüreliste am Ende des Buches auf. Die größte Differenz zwischen dem „Handschuh“ und dem US-Pop-Horror: Letzterer kommt ohne Kitsch aus.

„Der arme Flamingo ist über und über und über mit Fliegen bedeckt, unzählige, tausend, fünftausend, zehntausend oder noch mehr Insekten, die in Klumpen, Trauben, Nestern an ihm kleben, sowas hat man überhaupt noch nicht gesehen.“ Dreck einfach nur als dreckigen Dreck zu zeichnen ist kitschig und einfallslos.

Abgehackte Satzfolgen lesen sich vielleicht noch dem Setting entsprechend, indem das Tandem aus Kater und Rausch den einzigen Rhythmus der Existenz erzeugt. Laut „Welt“ vom 20. Februar wurde ein ganzes Jahr am Text lektoriert. Trotzdem ist dann zweimal hintereinander Sonntag, und ob Fiete oder die abgeschleppte „Säberalma“, die neben ihm liegt, nun mal muss, bleibt auch ein Verwirrspiel. Für sich gute Verben und Adjektive werden mit unnötiger Kursivschreibung zu an sich guten Worten degradiert. Man fühlt sich wie auf einer Sightseeing-Tour: Sehen Sie hier, das ist unterste Schublade, das ist Verzweiflung, das ist eklig und pfui! … Und so geht das 250 Seiten lang.

„Der goldene Handschuh“ ist ein Lower-Class-Porno, in dem man die lesbaren Elemente (das Fortleben des deutschen Faschismus und dessen Profiteuren, genauso wie die Hamburger Beleidigungs- und Witzkultur, die mehr bietet als Scherzanrufe) obenauf schwimmend mit einer Hand abschöpfen kann.

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"Unterste Schublade", UZ vom 24. Juni 2016



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