Mit Poesie und Widerstand geht Konstantin Wecker durchs Leben

Vom Senftöpfchen auf die Pressefestbühne

Von Ellen Beeftink

Irgendwann Mitte der 70er Jahre bin ich mit Freunden im Senftöpfchen in Köln. Jungem Nachwuchs der Kabarett- und Kleinkunstszene wurde hier ein Sprungbrett geboten, viele begannen hier ihre Karriere. Jetzt also ein mir ganz und gar unbekannter Münchner Liedermacher. Ein junger Mann, durchtrainiert, muskelbepackt, betritt die Bühne, setzt sich ans Klavier und schlägt einen Ton an, der unverwechselbar werden sollte, musikalisch wie inhaltlich.

Konstantin Wecker hatte bis dahin schon vieles ausprobiert, Diverses studiert, Softpornos gedreht, die Rock-Soul-Band „Zauberberg“ gegründet. Hatte sich mit seinem Freund Günter als Versicherungsagent versucht und spielte1973 in der Münchner Lach-und Schießgesellschaft. Dieter Hildebrandt, den er verehrt, wird sein Mentor. Wecker ist beim ersten „Scheibenwischer“, ebenso beim letzten mit Hildebrandt dabei. Hanns Dieter Hüsch lernt ihn bei einem eigenen Auftritt in Weckers Stammkneipe, in der er selbst mit Band auftritt, kennen. Die beiden werden Freunde, Hüsch schlägt ihn für den neuen „Deutschen Kleinkunstpreis“ des Mainzer Unterhauses vor, den er 1977 erhält.

Da ist er schon weit über die Grenzen Münchens bekannt. „Willy“ macht ihn berühmt. Nach einem üblen Zusammenstoß mit Faschos muss er sich das Erlebte von der Seele schreiben. Ja, er muss seine Wut und Trauer herausschreien und dass geht am Besten bairisch. „Gestern habns an Willy daschlogn, und heit, und heit, und heit werd a begrobn.“ Ein Sprechgesang, nur der Refrain mit einer Melodie, die dann bei jedem Konzert schon an den ersten Takten erkannt und frenetisch begrüßt wird. Zeitweise war Wecker den Willy leid. Jetzt sagt er: „Wenn mir mal wieder nach Granteln, nach Schimpfen auf gut Bairisch ist, dann hol ich den „Willy“ wieder raus.“ Mittlerweile gibt es acht Versionen, immer wieder angepasst an die herrschenden Verhältnisse.

1977 ist er endgültig in den Olymp der deutschen Liedermacher aufgenommen, füllt Konzertsäle und -hallen, das Hamburger Schauspielhaus ist im Dezember 1978 zweimal hintereinander ausverkauft, im Kölner Gürzenich bange ich um den Bühnenboden, der unter seinem Pedaltreten am Klavier nachzugeben droht. Trotz seines extrovertierten Auftretens gehört er eindeutig in die Philharmonie, nicht in den Rockpalast.

Wortgewaltiger Protest

Bequem war er nie, der Konstantin Wecker. Auf der LP „Genug ist nicht genug“ gibt es neben der Kult-Ballade „Willy“ auch den Titel „Frieden im Land“. Da mokiert er sich über „die alten Bürgerseligkeiten“, „Die Zeiten stinken und die Dichter schweigen. Wie schön, dass sich das Recht zum Rechten fand! Es herrscht wieder Frieden im Land.“ Er engagiert sich bei „Künstler für den Frieden“, tritt 1979 auf dem 4. UZ-Pressefest auf, 1985 erstmals in der DDR (Usedom) und zwei Jahre später beim Pressefest des Neuen Deutschland. Er tourt mit Joan Baez, Mercedes Sosa, Bettina Wegner, Harry Belafonte und vielen anderen. Sein oft schwermütiger Ton wird nach der Jahrtausendwende zorniger. Er singt an gegen eine menschenverachtende Wirtschaft, Kriegstreiberei, Rassismus, die braune Brut, die wieder hervorkriecht. „Jedes System, das Demokratie beseitigen will, zerschlägt zuerst die Gewerkschaften“, bemerkt Wecker richtig. Sein „Deutsche Waffen und deutsches Geld morden auf der ganzen Welt“ wird zum oft skandierten Spruch auf Demos, sein „Sag Nein“ ist eine moderne Variante des gleichnamigen Antikriegsgedichts von Wolfgang Borchert. 2003 kurz vor Beginn des Irakkrieges gibt er mit anderen Künstlern ein Solidaritätskonzert in Bagdad. 2006 ist er mit den Liedermachern „Strom & Wasser“ mit „Nazis raus aus unserer Stadt“ in Ostdeutschland unterwegs. Nach einer Absage in Halberstadt – die NPD könne sich sonst auch in die Halle einklagen – gibt es dann doch ein Freilichtkonzert. Mit dabei Hannes Wader, mit dem er noch oft zusammen auftreten wird. Er solidarisiert sich mit Arbeitern des Nürnberger AEG-Werks, die wochenlang gegen die Vernichtung von 1700 Arbeitsplätzen streiken; umsonst. „Seit 25 Jahren versuche ich, die Welt mit meinen Liedern zu verändern. Ich stelle fest, sie ist seither von jeder Menge Idioten verändert worden – nur nicht von mir“. Zum Angriff der USA auf eine Luftwaffenbasis in Syrien postet er: „Rosa Luxemburg meinte, „Immer das laut zu sagen, was ist, das ist und bleibt die revolutionärste Tat. Ich werde im Herbst Rosa Luxemburg wählen.“ Die Aufzählung seiner Aktivitäten lässt sich mit seinen eigenen Worte am besten beschließen: „Am Liebsten würde ich ja nur Liebeslieder schreiben, aber das geht eben nicht immer. Ab und zu packt mich halt die Wut. Und zurzeit packt sie mich sehr.“

Kein Ende in Sicht

Es war schon ein denkwürdiger Abend, damals im Senftöpfchen. Der Liedermacher entpuppt sich als kraftstrotzender Poet mit virtuosem Klavierspiel, hat eine enorme Präsenz, ist glaubwürdig. Seine Kompositionen sind klassisch beeinflusst, er liebt Schubert, Puccini, Orff. Es erklingen wunderbare Liebeslieder. Keine rosaroten Märchen, romantische Traumhochzeiten, Schwüre ewiger Liebe. Nein, Verse voller Poesie und Erotik, über ein selbstbestimmtes, auch sexuell befreites Leben. „Und da war nichts mehr, was uns uns verbot. Wir schnitten die Verbote einfach ab, die Zeigefinger unsrer Väter und die Atemnot, und alles das, wofür man uns erzogen hat. Du siehst, man kann auch ohne Traumprinz lieben. Du gibst dich dir, sonst nichts, und ohne Angst siehst du dich einig werden mit den Trieben, und du erkennst, dass du Jahrhunderte bezwangst.“ Später wird er bekennen: „Gelogen habe ich in gewissen Zeiten mit meiner Rolle, niemals aber mit meinen Liedern.“

Getreu seinem Motto: „Ich bin ein Herdplattenanfasser und muss alles versuchen“ kokst er 1977 zum ersten mal. Da ist er 30 und gibt Gottfried Benn die Schuld. In den 90ern der Absturz. Die Drogenfahnder begrüßt er so „Kommt rein, Jungs, ihr habt mir das Leben gerettet.“ Und im Knast strahlt ihn seine Mutter an „Mein Gott, bin ich glücklich, dass sie dich verhaftet haben.“ Er hat Glück im Unglück, Menschen, die an seiner Seite stehen, genügend Kraft neu anzufangen.

Seitdem ist er rührig wie nie, als Liedermacher, Dichter, Komponist, Schauspieler, Autor, Na klar, seit mehr als 10 Jahren ist er regelmäßig beim UZ-Pressefest dabei. 600 Lieder, Musicals, Gedichte, Romane, Film-, Fernseh-, und Theatermusik gehen auf sein Konto – bestimmt hab‘ ich was vergessen. Gerade ist seine Biografie „Das ganze schrecklich schöne Leben“ (Gütersloher Verlagshaus) erschienen. Aufgegeben hat er nie. „Es geht ums Tun und nicht ums Siegen“ stimmt er Sophie Scholl in einem Lied über die „Weiße Rose“ zu. Kaum zu glauben, dass er jetzt 70 ist. Mit seinem neuen Programm „Poesie und Widerstand“ will er in seinen Geburtstag am 1. Juni reinfeiern – na, wo wohl –, auf der Bühne. Denn: „Genug ist nicht genug, genug kann nie genügen.“ Danke, Konstantin Wecker.

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"Vom Senftöpfchen auf die Pressefestbühne", UZ vom 2. Juni 2017



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