Die Rote Hilfe wird 100 Jahre alt. UZ-Gespräch mit ihrer Pressesprecherin Anja Sommerfeld

Vorbild RHD?

UZ: In den kommenden Monaten feiert die Rote Hilfe ihr 100-jähriges Bestehen. Was ist geplant?

Anja Sommerfeld: Zum Jubiläum wollen wir als Rote Hilfe e. V. bundesweit mit einem umfangreichen Programm präsent sein. Dabei wollen wir einen Blick auf die geschichtliche Entwicklung seit der Gründung der Roten Hilfe Deutschlands (RHD) 1924 werfen, aber auch unsere aktuelle Solidaritätsarbeit bekanntmachen. In vielen Städten wird eine Ausstellung gezeigt, die die 100-jährige Geschichte der verschiedenen Rote-Hilfe-Organisationen vorstellt: Sie spannt einen Bogen von der RHD der Weimarer Republik und der illegalen Solidaritätsarbeit unter dem NS-Faschismus über die Neuentstehung von Rote-Hilfe-Organisationen in den 1970er Jahren bis zur heutigen Roten Hilfe e. V. Zusätzlich wurde die Ausstellung als Online-Version erstellt und ein umfangreicher Begleitkatalog herausgegeben, der nochmals tiefer auf die einzelnen Phasen eingeht.

Am 7. März hat der Dokumentarfilm „Solidarität verbindet – 100 Jahre Rote Hilfe“ in Mannheim Premiere, in dem von Repression Betroffene und mit ihnen solidarische Menschen aus verschiedenen Jahrzehnten zu Wort kommen. In den Folgemonaten wird der Film in Programmkinos und in Kulturzentren gezeigt.

Neben mehreren zentralen Veranstaltungen wie einer Eröffnungsgala am 10. Februar in Hamburg planen die Ortsgruppen zahlreiche Vorträge, Podiumsdiskussionen, Solidaritätskonzerte, Filmabende und Demonstrationen. Mit unserer Pressearbeit und auf Social Media werden wir regelmäßig auf unser Jubiläum aufmerksam machen und freuen uns, wenn verschiedene Medien und solidarische Organisationen das Thema aufgreifen.

UZ: Die RHD war eine Massenorganisation mit zuletzt rund einer Million Einzel- und Kollektivmitgliedern, heute sind etwa 15.000 Menschen in der Roten Hilfe. Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der aktuellen und der historischen Arbeit?

Anja Sommerfeld: Allein die Größe der RHD der Weimarer Republik, die hohen Herausforderungen, vor denen sie stand und ihre sehr viel umfangreicheren Handlungsmöglichkeiten: Damit können wir uns wohl kaum messen. Auch die Repressions- und damit die Solidaritätsformen waren andere, also zum Beispiel machte die Unterstützung für Gefangene und ihre Familien einen viel höheren Anteil aus als heute. Ende 1932 zählte die RHD 9.000 politische Gefangene, während bei uns in den meisten Fällen Geldstrafen verhängt werden. Und selbstverständlich sind die politischen Rahmenbedingungen und der politische Ansatz verschieden. Die große Gemeinsamkeit ist die juristische, finanzielle und politische Unterstützung für alle Linken, die von Repression betroffen sind.

In der Geschichte der Roten Hilfen gab es viele Neuorientierungen und Brüche – organisatorisch, politisch und in der Praxis. Was sich aber wie ein roter Faden durch diese 100 Jahre zieht, ist die organisierte Solidarität unter Genossinnen und Genossen. Diesen Aspekt wollen wir bei unserem Jubiläum auch herausstellen.

UZ: Sieht sich die Rote Hilfe e. V. in der Nachfolge der historischen RHD?

Anja Sommerfeld: In manchen Punkten ja – also gerade was die Solidarität und organisierte Unterstützung in einem überregionalen Rahmen betrifft. Was die politische Ausrichtung angeht, unterscheiden sich die heutige Rote Hilfe e. V. und die RHD sehr deutlich: Trotz ihres parteienübergreifenden Anspruchs wurde die RHD sehr klar von der KPD dominiert. Uns hingegen ist es wichtig, tatsächlich für alle linken Strömungen und Bewegungen gleichermaßen in solidarischem Austausch zu Repressionsfragen zu sein. Um diesen strömungsübergreifenden Charakter zu wahren, verzichten wir auf allgemeinpolitische Stellungnahmen. In der Frage der politischen Selbstverortung und Positionierung besteht also ein grundlegender Unterschied zwischen der RHD und der Rote Hilfe e. V. Eine zentrale Gemeinsamkeit ist aber der Anspruch, alle von Repression betroffenen Linken zu unterstützen – unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu bestimmten Strömungen, Organisationen oder Parteien.

UZ: Der Anspruch, eine strömungsübergreifende linke Solidaritäts- und Schutzorganisation zu sein, ist ja auch herausfordernd. Wen vertritt die heutige Rote Hilfe?

Anja Sommerfeld: Unsere Mitgliedschaft ist so vielfältig wie die linke Bewegung selbst. Kommunistinnen und Kommunisten, Anarchistinnen und Anarchisten sind ebenso vertreten wie Linksliberale und Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Ähnlich ist es bei den Betroffenen, die sich im Fall von Repression an uns wenden. Der Hintergrund ist hier politischer Aktivismus mit einer großen Themenpalette von Klimagerechtigkeit und Protesten gegen Krieg über Antirassismus und Internationalismus bis hin zu Antifaschismus und Feminismus. Meist geht es um Demonstrationen oder andere öffentliche politische Aktionen, teilweise aber auch missliebige Veröffentlichungen oder das Engagement in Vereinen und Organisationen. Letzteres trifft hauptsächlich migrantische Linke.

UZ: Wie finanziert sich eigentlich die Rote Hilfe, ohne staatlich oder von Stiftungen unterstützt zu werden?

Anja Sommerfeld: Den Großteil unserer Arbeit können wir dank der regelmäßigen Beiträge unserer über 15.000 Mitglieder leisten. Zusätzlich bekommen wir immer wieder Spenden. Manche unterstützen damit unsere Arbeit ganz allgemein, aber viele spenden im Rahmen von Solidaritätskampagnen zu einzelnen Prozessen oder bei Groß-ereignissen, wie zum Beispiel beim G20-Gipfel, der ja auch ein Gipfel der Repression war. Außerdem veranstalten die Ortsgruppen Solidaritätsaktionen wie Partys und Spendensammlungen zugunsten lokaler Fälle. An dieser Stelle möchte ich allen danken, die uns durch ihre Beiträge und Spenden unterstützen und damit die solidarische Unterstützungsarbeit ermöglichen.

UZ: Wie wende ich mich an die Rote Hilfe, wenn ich von Repression betroffen bin?

Anja Sommerfeld: In über 50 Städten gibt es Ortsgruppen der Roten Hilfe e. V. Die meisten von ihnen bieten regelmäßige öffentliche Beratungsstunden an, bei denen Betroffene eine erste Einschätzung bekommen können. Gemeinsam werden dann mögliche weitere Schritte und Unterstützungsmöglichkeiten besprochen. Also beispielsweise: Lohnt sich ein Einspruch gegen eine Maßnahme? Welche Folgen sind mit einem Strafvorwurf verbunden? Wie kann die Rote Hilfe in dieser Situation unterstützen? Selbstverständlich können die Ortsgruppen auch direkt per Mail kontaktiert werden. Wir übernehmen in der Regel 50 Prozent der anfallenden Kosten, wenn wir einen Fall unterstützen, die andere Hälfte tragen die Genossinnen und Genossen meist vor Ort zusammen – auch dies ist eine Form der Solidarität.

Viele gute Hinweise sind auch auf der Homepage rote-hilfe.de zusammengestellt, die jetzt – zum Jubiläumsjahr – einen Relaunch erfahren hat. Dort sind zum einen Rechtshilfetipps zum Umgang mit bestimmten Repressionsmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen oder Strafbefehle zu finden, zum anderen auch Informationen für Betroffene, die einen Antrag auf finanzielle Unterstützung stellen möchten.

UZ: Zurück zum Jubiläum: Wie können Initiativen sich einbringen, um sich zu beteiligen?

Anja Sommerfeld: Auf der neuen Homepage gibt es eine eigene Unterseite zum Jubiläum und den Projekten, die in diesem Rahmen stattfinden. Es gibt auch Referentinnen und Referenten, die Vorträge zu historischen Themen anbieten und über die AG „100 Jahre RH“ angefragt werden können (100jahre@rote-hilfe.de). Außerdem freuen sich die Veranstaltungen der lokalen Ortsgruppen über Unterstützung und Besuch. Interessierte können sich auch bei ihren lokalen Ortsgruppen melden, um sich vor Ort aktiv einzubringen. Wir freuen uns zudem über viele neue Mitglieder – da dient uns die RHD natürlich auch als Vorbild!

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"Vorbild RHD?", UZ vom 9. Februar 2024



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