Oberster Gerichtshof der USA droht, das Recht auf Abtreibung abzuschaffen

Vorwärts in die Vergangenheit

Der Oberste Gerichtshof der USA wird sich dafür aussprechen, das Grundsatz-urteil von 1973 im Fall Roe vs. Wade zum verfassungsmäßigen Recht auf Abtreibung aufzuheben. Das geht aus dem Entwurf einer von dem konservativen Verfassungsrichter Samuel Alito formulierten Mehrheitsmeinung hervor, der der Nachrichtenplattform „Politico“ zugespielt wurde.

Alito erklärt in diesem Entwurf, das Urteil von 1973 sei „von Anfang an ungeheuerlich falsch“ gewesen. Dem Entwurf zufolge soll es zusammen mit einer weiteren Gerichtsentscheidung zum Schwangerschaftsabbruch (Planned Parenthood vs. Casey) aufgehoben und „die Frage der Abtreibung an die gewählten Volksvertreter zurückgegeben“ werden. Einige konservativ regierte Bundesstaaten haben in Erwartung der Entscheidung bereits schärfere Abtreibungsgesetze beschlossen. Eine Entscheidung der Verfassungsrichter wird für Juni erwartet.

Zehntausende Menschen protestierten im gesamten Land gegen das drohende Abtreibungsverbot. Am Abend des 3. Mai erklärte die Präsidentin der Coalition of Labor Union Women (CLUW), Elise Bryant, auf einer großen Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude in Washington: „Der Meinungsentwurf des Obersten Gerichtshofs von Alito, Roe vs. Wade zu kippen, ist ein Affront gegen die Mehrheit der Amerikaner, die das Recht der Frau auf reproduktive Freiheit, einschließlich des Rechts auf Abtreibung, unterstützen.“

Eine Kriminalisierung der Abtreibung in vielen Bundesstaaten würde zu illegalen, oft gefährlichen Eingriffen führen. Das trifft am meisten Frauen aus der Arbeiterklasse, arme Frauen und farbige Frauen, die reproduktive Hilfe benötigen.
Gegenwärtig beruht das bundesweite Recht auf Abtreibung auf der Roe-Entscheidung von 1973 und späteren Urteilen wie Planned Parenthood vs. Casey von 1992. Ein Gesetz, das das Recht auf Abtreibung dauerhaft festschreiben würde, wurde bereits ausgearbeitet: der Women’s Health Protection Act (WHPA). Der WHPA hatte zwar das Repräsentantenhaus passiert, wurde aber im Februar mit 46 zu 48 Stimmen im Senat abgelehnt.

Der größte Zorn der Menge in Washington und in vielen anderen Städten der USA richtet sich gegen die Republikaner im Allgemeinen und den Entwurf von Alito im Besonderen. Alito zur Seite stehen weitere vier Richter, die an dem Gutachten mitwirkten: der Rechtsextremist Thomas und die durch Donald Trump ernannten Republikaner Barrett, Gorsuch und Kavanaugh. Die drei von den Demokraten benannten Richter Kagan, Sotomayor und Breyer werden voraussichtlich gegen den Urteilsentwurf stimmen. Sotomayor erklärte bereits im Dezember, die Aufhebung der Roe-Entscheidung würde die Glaubwürdigkeit des Gerichts zerstören.

Die Hauptrednerin in Washington, Senatorin Elizabeth Warren, verwies auf eine sofortige Möglichkeit, Alitos Entwurf zu umgehen: die Abschaffung der Filibuster-Regel. Filibuster ist eine Hinhaltetaktik, bei der mittels stundenlanger, sinnloser Redebeiträge die Verabschiedung von Gesetzesvorhaben verhindert wird. Die Filibuster-Regel ermöglicht rechten Republikanern, praktisch alles zu blockieren. „Die Verschleppungstaktik hat uns jahrzehntelang daran gehindert, Bürgerrechtsgesetze zu verabschieden, und jetzt hindert sie uns daran, das Recht auf Abtreibung zu schützen“, so Warren.

Die Richter können ihr Abstimmungsverhalten noch bis zur Veröffentlichung des Urteils ändern. Wichtigen Entscheidungen gehen mitunter mehrere Entwürfe und Stimmabgaben voraus. Die Entscheidung des Gerichts ist erst dann endgültig, wenn sie von ihm veröffentlicht wird.

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"Vorwärts in die Vergangenheit", UZ vom 13. Mai 2022



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