Bericht eines antifaschistischen Wehrmachtssoldaten

Waffen für die Résistance

Hans Heisel

Die Flugblattverteilung erforderte viel Umsicht. Eine unserer beliebtesten Methoden bestand darin, in den Toiletten der Soldatenheime und anderer von Wehrmachtsangehörigen besuchter Lokale die Papierrollen abzuwickeln und beim Wiederaufrollen unsere Zettel dazwischenzulegen. Das war relativ ungefährlich. Dennoch wäre ich dabei beinahe einmal aufgefallen. Ich machte den Fehler, die Sache auf dem Abort eines Fliegerheims mehrmals zu wiederholen. Wie gewohnt, schloss ich mich ein und rollte meine Flugblätter zwischen das Toilettenpapier. Als ich mein „Geschäft“ beendet hatte und hinausgehen wollte, stürzte der Toilettenwärter auf die Papierrolle zu und merkte sofort, dass sie dicker war als die normalen Rollen. Er machte einen Riesenspektakel und wollte mich zum Leiter schleppen. Ich riss ihm die Rolle aus der Hand, drohte mit meiner Pistole, verließ rückwärts den Raum und rannte dann, so schnell ich konnte, davon. Es war noch einmal gut gegangen, doch diese Gaststätte habe ich nie wieder betreten.

Da ja im Krieg nicht nur mit geistigen Waffen gekämpft wurde, bemühten wir uns, an Waffen heranzukommen, die die Résistance so dringend brauchte.

Im September 1943 traf ich mich mit Genossin Mado. Sie übermittelte mir den Auftrag, sofort eine Pistole zu beschaffen. Ich sagte, im Laufe des nächsten Tages könne ich versuchen, eine zu „besorgen“. Nein, das sei zu spät, es müsse heute sein. Sie machte die Sache so dringend, dass ich ihr schließlich meine eigene Dienstpistole gab. Ich musste dann eben auf irgendeine Art Ersatz schaffen. Da alles genau eingetragen war, hatte ich dadurch trotzdem noch Unannehmlichkeiten. Ich erwähne diesen Fall, weil ich später erfuhr, dass mit dieser Pistole der SS-Standartenführer von Ritter, Stellvertreter von Sauckel in Paris, der Hunderttausende von Franzosen zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppen ließ, erschossen wurde. An der Tat war der deutsche Genosse Leo Kneler beteiligt, der der Widerstandsgruppe „Manouchian“ angehörte.

Diese international zusammengesetzte bewaffnete Kampfgruppe der MOI war nach ihrem Leiter, dem armenischen Genossen Missak Manouchian, benannt worden. Nach über hundert erfolgreichen Aktionen verhafteten die Faschisten einen Teil der Mitglieder und stellten sie vor das Kriegsgericht. 23 der tapferen Kämpfer – 22 Männer und eine Frau – wurden hingerichtet.

Mit Arthur Eberhard ging ich öfters schwimmen. Es gab in Paris besondere Soldatenschwimmbäder. Uniformen, Koppel, Pistolen hingen ringsum im Umkleideraum. Hier hatten wir schon die eine oder andere Pistole mitgenommen. Einmal bot sich eine besonders günstige Gelegenheit, die wir sofort nutzten. Das Bad war ziemlich leer, als ein ganzer Zug einer Wehrmachtseinheit anrückte. Es ging alles sehr diszipliniert zu: gemeinsam ausziehen, gemeinsam baden. Der Zugführer pfiff zum Wettschwimmen. Während die Soldaten dem Befehl folgten, kleideten wir uns an. Viele Pistolentaschen hingen an den Kleiderhaken. Eberhard passte auf, und ich öffnete erst alle Taschen, zog dann die Pistolen heraus und steckte sie in meine Aktentasche, die ziemlich prall und schwer wurde. Wir hatten an die 20 Pistolen erbeutet und verschwanden so schnell wie möglich.

Nicht mehr Soldat der Wehrmacht

Nach der Eröffnung der zweiten Front wuchs die Unsicherheit in den Reihen der Wehrmacht. Zusammen mit meinen Freunden verschickte ich Briefe an Offiziere, in denen wir im Sinne der Bewegung „Freies Deutschland“ an ihre nationale Pflicht appellierten. Ich spielte mit dem Gedanken, bei weiterer Zuspitzung der Lage im gegebenen Moment das Kommando im Marineministerium zu übernehmen. Aber das war natürlich unrealistisch und völlig aussichtslos.

1010 Resist - Waffen für die Résistance - Antifaschismus - Theorie & Geschichte
Auszüge aus: „Résistance. Erinnerungen deutscher Antifaschisten“, Dietz Verlag Berlin 1975, nur noch antiquarisch erhältlich

Anfang August 1944, in der Zeit der unmittelbaren Vorbereitung des nationalen Aufstandes des französischen Volkes und der Befreiung von Paris, wurde ich plötzlich aus der vertrauten Umgebung des Marineministeriums herausgeholt und zur Funkausweichstelle im Rothschildpark versetzt. Ich begriff nicht, aus welchen Gründen das geschah. Hier war ich völlig isoliert. Niemand durfte das Gelände verlassen. Die Verbindung zur Partei wurde dadurch abgerissen. Ich kam zu dem Schluss, dass es jetzt für mich Zeit sei abzuhauen. Ich nahm ein Fahrrad und konnte mich unbehelligt davonmachen. Zuerst radelte ich zum Friseur. Er gab mir Zivilkleider und verbrannte meine Uniform im Ofen. Das Soldbuch warf er hinterher. Als Zivilist ging ich nun zu dem jugoslawischen Schneider. Da eine Verbindung zu den deutschen Genossen in diesen Tagen nicht möglich war, brachte er mich zu einer jugoslawischen Widerstandsgruppe, mit der ich in den Straßen von Paris kämpfte. Die Kameraden waren tollkühn und griffen am hellen Tage bewaffnete faschistische Formationen an. Da ich der einzige Deutschsprechende der Gruppe war, musste ich mehrere Male als Parlamentär zu eingeschlossenen Wehrmachtsgruppen gehen und versuchen, sie zur Kapitulation zu bewegen. Doch hatte ich leider keinen Erfolg. Der Glaube an die „Wunderwaffe“ und an die angeblich auf Paris vorrückenden Elitetruppen war stärker.

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"Waffen für die Résistance", UZ vom 11. März 2022



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