Zur zunehmenden Labilität westlicher Regierungen

Wankende Heimatfront

Noch endet kein vor den Blitzlichtgewittern der westlichen Mainstream-Journalisten pompös abgeschlossenes Gipfeltreffen von Staaten der NATO und EU ohne feierliches Bekenntnis zur Einigkeit, Festigkeit und – neudeutsch – Resilienz der westlichen Kriegsallianz gegen Russland und China.

Die Regierungszentralen sind die Spitze des Überbaus der Gesellschaft. Die dort im Scheinwerferlicht stehenden vielen Herren und paar Damen sind nicht Meister der Geschichte, sondern zunehmend Getriebene ihrer eigenen strategischen Fehlentscheidungen. Sie sind immer häufiger gezwungen, auf Risse in der Basis ihrer Gesellschaften zu reagieren. Sie spüren, dass diese Risse tiefer werden und sich unaufhaltsam von den Fundamenten in die obersten Stockwerke ihrer Regierungspaläste vorarbeiten.

In den USA ist die Zeit der von allen politischen Lagern einmütig bewilligten Ströme von Waffen und Krediten nach Kiew lange vorbei. Das hat auch damit zu tun, dass die Frage immer lauter wird, wo in diesem korruptesten Land Europas die Dollar-Milliarden eigentlich bleiben. Und ob die Flugabwehrraketen, die gegen russische Maschinen eingesetzt werden sollten, über das ukrainische Waffenhandels-Drehkreuz nicht irgendwann in einem US-Flieger landen. In dieser anschwellenden Stimmung wird die bevorstehende Präsidentschaftswahl immer mehr zu einer Art amerikanisiertem russischen Roulette.

Die Situation in der EU wird wie in einem Brennglas deutlich durch die wiederholten Hinweise des deutschen Bundeskanzlers, sein Land trage nach den USA die finanzielle Hauptlast des Projekts „Russland ruinieren“, und die anderen Staaten der Europäischen Union sollten gefälligst mehr liefern. Gegen den Strich gebürstet heißt das: Nach und nach sind die anderen Staaten in den Nebenräumen des zusammengezimmerten Brüsseler Schlosses dabei, sich einen schlanken Fuß zu machen und einen Ausgang aus dem verlorenen Krieg zu suchen. Der deutsche Durchhalteruf wird indes lauter werden. Beim jüngsten Rapport in Washington wurde Scholz klargemacht, dass sich Deutschland nicht weniger, sondern mehr an der Ostfront zu engagieren habe. Zum einen würden sich die Deutschen dort ja auskennen, zum anderen hätten die USA nun unerwartet eine neue Front im Nahen Osten zu bespielen und müssten sich zudem auf China konzentrieren.

Kriege lassen sich ohne geschlossene Heimatfront nicht gewinnen. Die bröckelt aber nicht nur in den USA und bei den europäischen Bündnispartnern, sondern auch in Deutschland selbst. Es ist eine neue historische Dimension, dass alle die Bundesregierung tragenden Parteien vor Landtagswahlen – also denen in Sachsen und Thüringen – gezwungen sind, auf die Fünfprozenthürde zu achten. So dünn wie jetzt war die Luft für ein Kabinett der BRD noch nie. Geschlagene anderthalb Jahre vor den Bundestagswahlen raunte der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki in der FAZ, „die gesellschaftlichen Fliehkräfte (würden) zu stark, als dass die Koalition dies noch ertragen würde“.

Ökonomisch schreitet die Erosion der Fundamente rasant fort. Die deutsche Chemieindustrie ist in den letzten zwei Jahren um ein Viertel geschrumpft – noch sechs Jahre Wirtschaftskrieg und sie ist weg. Vielleicht hilft es ja, den freien Fall in Niedergang und Krieg aufzuhalten, wenn am 15. und 16. April Scholz gemeinsam mit Wirtschaftsvertretern nach China reist. Diese Reise, die jetzt schon umkämpft ist, könnte im Kampf um Frieden und die Verhinderung des völligen wirtschaftlichen Abstiegs helfen.

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"Wankende Heimatfront", UZ vom 16. Februar 2024



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