Zu den Rissen im Lager der Wirtschaftskrieger

Wer wird ruiniert?

Düster waren die Farben des Titelblattes des in London erscheinenden „Economist“ vom 16. Juli. Darin thematisierte dieses Leitmedium des britischen und US-amerikanischen Kapitals faktenreich „Europas kommende Winter-Gefahr“. Der vor allem in Deutschland für irre erklärte russische Präsident verstehe die Situation „nur zu gut“: Russlands Staatsfinanzen seien weiterhin abhängig vom Ölexport – er mache rund 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus. Dafür habe sein Land „überwiegend erfolgreich“ Lösungen gefunden, um die westlichen Sanktionspolitik zu kontern. Nicht nur China und Indien kaufen zu Rabattpreisen russisches Öl. Auch Saudi-Arabien ist dabei, um damit seine Stromkraftwerke zu heizen und so sein eigenes Öl teuer an den Wertewesten verkaufen zu können – unter anderem nach Deutschland. In Sachen Gas sei Putin ganz entspannt – der gesamte Export dieses Energieträgers mache nur 2 Prozent des russischen BIP aus.

Die Embargopolitik der EU führt ganz offensichtlich nicht zum „Ruin“ Russlands, wie die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock zu Beginn des Wirtschaftskrieges vollmundig verkündete. Stattdessen weiten sich die Risse im Lager der EU, weil viele Unternehmen ihren eigenen Ruin befürchten. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán erklärte am vergangenen Wochenende, der Krieg in der Ukraine sei „nicht unser Krieg“ und warf dem Westen vor, „die Kontrolle über die Energieträger verloren zu haben“. Es wird zunehmend schwieriger, Orbán als völlig isoliert in der EU darzustellen. Nicht nur Ungarn, sondern fünf weitere EU-Länder hatten sich umgehend von dem Ziel distanziert, in diesem Jahr gegenüber dem Vorjahr den Gasverbrauch um 15 Prozent zu senken.

Mit Ach und Krach und Solidaritätsgedöns haben sich die EU-Staaten am Ende doch noch auf einen halbherzigen Notfallplan zur Senkung des Gaskonsums verständigt. Der nationale Verbrauch soll im Zeitraum vom 1. August bis zum 31. März 2023 freiwillig (!) um 15 Prozent gesenkt werden. Ausnahmen und hohe Hürden für die Einführung von verbindlichen Einsparzielen inklusive. Für Letztere bedarf es der Zustimmung einer Gruppe von 15 der 27 EU-Länder, die zusammen mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der Union ausmachen. Klar ist, der Streit in der EU über die Folgen des Wirtschaftskrieges in diesem überheblichen Teil der Welt wird zunehmen.

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"Wer wird ruiniert?", UZ vom 29. Juli 2022



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