Warum DDR-Spione „Kundschafter für den Frieden“ waren

„Wir müssen den Gegner zum Frieden zwingen“

Dieter W. Feuerstein (Jahrgang 1955) war an der Technischen Universität Westberlin tätig, arbeitete dann als Diplomingenieur bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm, wo unter anderem Teile der Kampfflugzeuge „Tornado“ und „Eurofighter“ für NATO-Staaten gebaut wurden.

Er war von 1973 bis zum 3. Oktober 1990 Angehöriger der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, letzter Dienstgrad: Major. Seine Enttarnung und Festnahme erfolgte am 9. Oktober 1990. Feuerstein wurde zu acht Jahren Gefängnis verurteilt, seine Haftzeit dauerte dann vom 9. Oktober 1990 bis zum 7. Oktober 1994.

„Wie konntest du nur für ein solches Regime arbeiten?“ Ja, in der Tat, da gab es schon einiges an kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieden zum anderen Teil Deutschlands. Nicht wenigen erschien das Leben im Westen besser, oder zumindest einfacher. Darüber, dass dort das „Einfacher“ direkt zusammen hing mit der Höhe des verfügbaren Kontostands, war vielen nicht wirklich bewusst. Wo sollten diese Erfahrungen auch herkommen? Waren die elementaren Bedürfnisse doch erfüllt. Angst vor Hunger, Obdachlosigkeit, sozialem Abseits durch Arbeitslosigkeit und weiterer „Errungenschaften“ einer auf privaten Profit ausgerichteten Gesellschaft brauchte in der DDR nun wirklich niemand zu haben.

Seien wir doch mal ehrlich zu uns selbst; in Sachen Agitation und Propaganda war die BRD der DDR immer überlegen. Wohl doch kein Zufall, dass montags um 21 Uhr regelmäßig attraktive Filme auf den Westkanälen liefen und Karl-Eduard von Schnitzler, der in seiner wöchentlichen Sendung „Der Schwarze Kanal“ mit Ausschnitten aus Westreportagen einen anderen Blick auf die BRD vermitteln wollte, mit Spott und Häme überzogen wurde.

Das macht die Sache – gerade „Wessis“ gegenüber – nicht einfacher mit der Antwort auf die eingangs gestellte Frage, die im Grunde weniger als Frage, denn als Vorwurf gemeint ist. Auch erlebte ich eine Zeit erheblicher Selbstzweifel, als immer mehr Glatzköpfe das Straßenbild im Osten prägten, die Ossis nicht den kleinen Finger rührten, als die Goldgräber aus dem wilden Westen sich ihr Volkseigentum unter den Nagel rissen, die Sozialsicherungen herausgeschraubt, Renten mit Strafen belegt, akademische Titel entzogen und die Menschen ihrer Lebensleistung beraubt wurden.

Sechs Tage nach der Vereinigung ging es für mich erst mal in den Knast. Nach Ende der Isolation war ich der – um ein Vielfaches gesteigerter – Propaganda hilflos ausgeliefert. Zuspruch gab es in dieser Zeit bestenfalls von Wärtern, die aus allen Teilen der DDR zur Umschulung in den Westen geschickt wurden, oder von jenen kleinkriminellen Mitgefangenen, die bereits entsprechende Einrichtungen in Jena oder Bautzen kannten und mir fast einvernehmlich versicherten, dass das Essen für Inhaftierte in Berlin-Hohenschönhausen viel besser schmecke als das in München-Stadelheim.

Auf den Boden der Realität brachten mich dann – nur drei Monate später – die politischen Realitäten. Seit den Tagen im Mai des Jahres 1945 kämpfte kein deutscher Soldat mehr in fremden Ländern. Und nun, im Januar 1991, stritten die Abgeordneten im Bundestag darüber, ob das Grundgesetz geändert oder neu interpretiert werden müsse. Was war geschehen? Eine Allianz westlicher Staaten bereitete einen Krieg gegen den Irak vor und das neue Großdeutschland wollte unbedingt dabei sein; noch verhalten zwar durch AWACS-Besatzung und Alpha-Jet-Staffel, aber immerhin: Der Einstieg war geschafft.

Da taten die so oft gehörten Worte meines Führungsoffiziers und Referatsleiters der Hauptverwaltung Aufklärung, zu dessen Aufgabe es gehörte, die Quellen im Operationsgebiet bei Laune zu halten, ihre nachhaltige Wirkung. „Dieter, wir müssen den Gegner zum Frieden zwingen – von alleine ist er dazu nicht bereit.“

Jetzt, da die Geschichte ihre Wahrheit offenbart hatte, musste kein Gedanke mehr daran verschwendet werden, ob diese Worte Propagandafloskeln waren oder aus der psychologischen Trickkiste stammten. Neben der konsequenten Umsetzung der Erfahrungen des 2. Weltkriegs und der faschistischen Barbarei gehörte der absolute Friedenswille der DDR zu den entscheidenden Gründen, meinen persönlichen und beruflichen Werdegang in den Dienst der DDR zu stellen.

Als Offizier der DDR-Aufklärung gehört es sich nun mal, Befehlen Gehorsam zu schenken. Auch dann, wenn es einem gegen den Strich geht. In den 1980ern sollte ich innerhalb des größten westdeutschen Rüstungskonzerns eine neue Stelle antreten. Zum ersten Mal Personalverantwortung, ein eigenes Projekt und ein gewaltiger Verdienstzuwachs erwarteten mich. Der angedachte Aufgabenbereich war der Vorläufer des Abfangjägers „Eurofighter“ und nicht länger das mit Atombomben bestückte Angriffsflugzeug Tornado.

Die Entscheidung, dieses Angebot auszuschlagen, erfolgte – vermutlich in enger Abstimmung mit unseren Freunden in Moskau – einzig im Hinblick auf die Sicherheitsinteressen der Staaten des Warschauer Vertrags. Hätte auch nur ansatzweise die Absicht bestanden, den Westen zu überfallen, hätte ich den Auftrag erhalten, gegen die Westverteidigung vorzugehen. So aber blieb es dabei, im Rahmen meiner Möglichkeiten alles dafür zu tun, dass aus dem Waffensystem „Tornado“ ein fliegender Papiertiger wird.

Welche Gedanken und Absichten dahinter standen, ein ziviles Verkehrsflugzeug heimlich und unerkannt mit Spionagetechnik auszustatten, mag sich jeder selbst vorstellen. Dass es der DDR-Aufklärung gemeinsam gelang, dem Westen auch hier kräftig in die Suppe zu spucken, erfüllt mich bis heute mit Stolz. Zum nachrichtendienstlichen Handwerk gehört selbstverständlich das Prinzip „jeder erfährt nur das, was er zur Erfüllung seines Auftrags benötigt“. So kann ich nur vermuten, dass diese Aktion ausschlaggebend dafür war, mir den Leninorden, die höchste Auszeichnung der Sowjetunion, zu verleihen. Da war es mal wieder gelungen, eine militärische Provokation des Gegners bereits im Keim zu ersticken.

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"„Wir müssen den Gegner zum Frieden zwingen“", UZ vom 4. Oktober 2019



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