Vordergründig geht es um Zuma. Die Gewalt in Südafrika hat aber wirtschaftliche Ursachen

Wirbelsturm der Gewalt

Es ist jetzt klar: Die Ereignisse der letzten Woche waren nichts anderes als ein bewusster, gut geplanter und koordinierter Angriff auf unsere Demokratie.“ So charakterisierte Südafrikas Staatspräsident Ramaphosa in einer von den Medien übertragenen Ansprache am vergangenen Freitag die Welle der Gewalt und der Plünderungen, die über das Land hereingebrochen war, nachdem sich Jacob Zuma der Justiz gestellt hatte.
Ramaphosa zog eine bittere Bilanz: Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Aufruhr mindestens 212 Menschen das Leben gekostet. Die Zerstörungen und die Diebstähle hätten Schäden in Höhe von „Milliarden und Abermilliarden Rand“ verursacht, sagte der Präsident. Über 118 Fälle von Brandstiftung, Plünderungen seien registriert worden, die Infrastruktur habe schwere Schäden erlitten – auch Munitionsdepots seien geplündert worden. Die Anstifter der Unruhen, so Ramaphosa, hätten beabsichtigt, „die Wirtschaft zu schädigen, den demokratischen Staat zu schwächen oder sogar zu beseitigen“ und „einen Volksaufstand zu provozieren“.

Die Lage in den meisten Teilen der Provinzen KwaZulu-Natal und Gauteng, den Zentren der Unruhen, hatte sich am Freitag bereits durch den Einsatz von Sicherheitskräften und sogar des Militärs stabilisiert. Gefahr bestehe aber weiter, „solange die Verantwortlichen nicht gefasst und ihre Netzwerke zerschlagen“ worden seien. Selbstkritisch fügte Ramaphosa hinzu: „Wir müssen zugeben, dass wir schlecht auf eine gesteuerte Kampagne der öffentlichen Gewalt vorbereitet waren.“ Es habe keine Pläne gegeben, um schnell und entschlossen zu reagieren. Doch obwohl bisher nur ein mutmaßlicher Anstifter verhaftet wurde, sagte Ramaphosa, dass die Identität der anderen bekannt sei. Namen wurden aber nicht genannt, auch nicht der des bereits Festgenommenen.

Der Wirbelsturm der Gewalt hatte bereits am 30. Juni, einen Tag, nachdem der ehemalige Präsident Jacob Zuma wegen Missachtung der Justiz zu 15 Monaten Gefängnis verurteilt worden war, begonnen. Doch dies war nur ein Zündfunke. Die Wirtschaft liegt aufgrund der räuberischen Zuma-Herrschaft am Boden, das Land wird von einer Rekordarbeitslosigkeit von offiziell 32,6 Prozent und der dritten Welle der Pandemie gequält. Die Plünderungen schienen führerlose, spontane Ausbrüche zu sein, doch der Verdacht erhärtet sich, dass lokale Politiker sie angeheizt haben könnten. Auf Social-Media-Plattformen, per WhatsApp und Telegram wurden hetzerische Nachrichten verbreitet und zur Gewalt aufgerufen.

Die Schwäche des Staates, die sich in diesen Tagen gezeigt hat, spiegelt die Schwäche der Regierungspartei, des ANC. Eine weitgehend passive Mitgliedschaft ermöglichte korrupten Karrieristen den Aufstieg, Personenkult griff um sich. Nicht nur auf nationaler Ebene: Auch in einigen Provinzen organisierten starke Persönlichkeiten ihre Fraktionen. Dem starken Mann an der Spitze, Zuma, kam das entgegen, er verbündete sich mit ihnen und führte sie an die Futtertröge der Macht. Auf diese Weise konnte er den ANC im Griff behalten, während er, die Gupta-Familie und andere Clans den Staat ausplünderten. Seit 2008 hatten ANC-Veteranen schon versucht, die Führung zu einem Programm zur Säuberung und Erneuerung der Organisation zu bewegen. Sie stießen auf Widerstand und Ausreden. Unter Zuma hatten vor allem die Gupta-Brüder wirtschaftlichen und politischen Einfluss gewonnen und enge Verbindungen zum Präsidenten, seinem Sohn und politischen Verbündeten wie Ace Magashule, dem seit Mai suspendierten Generalsekretär des ANC, geknüpft. Nelson Mandelas Partei ist gespaltener denn je.

Zuma, dessen zweiter Vorname Gedleyihlekisa auf Zulu „Lacht, während er seine Feinde zermalmt“ bedeutet, hatte sich 40 Minuten vor Ablauf der ihm von der Justiz gesetzten Frist der Festnahme gestellt. Für viele ein Augenblick, der die Herrschaft des Rechts symbolisiert. Für viele ist es aber auch erschütternd, einen Anti-Apartheid-Kämpfer und einstigen Geheimdienstchef des bewaffneten Arms des ANC im Gefängnis zu sehen, den das Apartheid-Regime zehn Jahre lang auf Robben Island eingekerkert hatte. Auch wenn der charismatische und rhetorisch geschickte Zuma ganz offensichtlich den Verführungen der Macht erlegen und moralisch verschlissen ist, hat er immer noch eine große Anhängerschaft, vor allem in seiner Heimatprovinz KwaZulu-Natal.

Der Aufruhr hat noch einmal in Erinnerung gerufen, was in der europäischen Medien-Berichterstattung über die feindliche Übernahme des Staates Südafrika gern unter den Teppich gekehrt wird. Üblicherweise wird da nur an den Pranger gestellt, wer nimmt. Wer gibt und seinen Vorteil daraus zieht, das bleibt im Dunkeln. Aus Deutschland ist da vor allem der Software-Riese SAP SE zu nennen, aus der Schweiz der ABB-Konzern, auch der global tätige Wirtschaftsprüferkonzern KPMG ist involviert. Diese Namen stehen für viele weitere. Um welche Summen es geht, wird daran deutlich, dass das weltweit führende US-Beratungsunternehmen McKinsey angekündigt hat, „freiwillig“ Honorare in Höhe von 870 Millionen Rand (aktuell 50,8 Millionen Euro) an das staatliche südafrikanische Logistikunternehmen Transnet SOC Ltd. Zurückzuzahlen, um sich auf diese Weise reinzuwaschen.

Es sind diese und andere transnationale Konzerne, die für den Wurmfraß in den staatlichen Institutionen Südafrikas, die Krise der Wirtschaft und damit letztlich auch für die derzeitigen blutigen Unruhen verantwortlich sind.

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"Wirbelsturm der Gewalt", UZ vom 23. Juli 2021



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