Vom Lesen und Trinken in heutigen Zeiten

Wodka aus Südafrika

Ulrich Straeter

Ich sortiere schon mal meine russische Literatur aus: Dostojewski, Tolstoi, Puschkin, Gogol, Turgenjew, Gorki, Gontscharow, Aitmatow, Dudinzew, Jewtuscheko, Solschenizyn, Pasternak, Lenin … Natürlich auch Bakunin und Kropotkin, die können zwar nix dafür, aber weg damit, Anarchisten, elende. Ich weiß gar nicht, was sich da noch alles in meinem Bücherregal herumtreibt, sicher habe ich wen übersehen.

Und dann die CDs: Tschaikowski, Klavierkonzert Nr. 1 in b-Moll, gespielt unter Kiril Kondraschyn vom US-Amerikaner Van Cliburn. Wieso durfte der das beim Wettbewerb in Moskau überhaupt spielen, nee, nee, was waren das für schlimme Zeiten, und so kurz nach dem Krieg, in dem wir die Russen überfallen hatten!

Weiter: Rachmaninow, Chatschaturjan, Strawinsky, Prokofjew, Anton Rubinstein. Schostakowitsch auf jeden Fall, den hatte sogar Stalin auf dem Kieker. Und für den habe ich auf deutschen Bühnen Vorbilder: dessen Konzerte werden abgesagt. Auch Stücke von Dostojewski! Ja, richtig gelesen: Stücke von Dostojewski werden hier und da nicht mehr gespielt. Der ist seit 141 Jahren tot. Aber ’n Russe war das. Ein echter Russe.

Und russische Dramaturgen und andere Spielleiter: Weg damit, die spielen doch die falschen Symphonien! Die Netrebko erst. Soll die Klappe halten. Ist das nicht eine von Putins Spioninnen? Fünfte Kolonne, sag ich. Und überhaupt: es wimmelt nur so von Russen bei uns, vor allem in der Kultur. Das ist besonders gefährlich – die fünfte Kolonne! Denn da wäre auch noch die Bildende Kunst, als wenn Kunst in allen Sparten nicht immer bildend wäre. Ich denke an die zurzeit im Essener Museum Folkwang einen instruktiven Überblick über 150 Jahre Kunst- und Kulturgeschichte Russlands bietenden Plakate.

Da schau her! Bei Folkwang fällt mir natürlich sofort dieser Russenfreund Berthold Beitz ein, nach dem schon zu seinen Lebzeiten eine Straße benannt wurde, der Berthold-Beitz-Boulevard. Boulevard – natürlich, klar. Zu seinen Lebzeiten, obwohl das nach den Essener Statuten nicht erlaubt ist. Aber er hatte sich doch große Meriten erworben, insbesondere mit den Russlandgeschäften der Kanonenfirma Thyssen-Krupp. Das fällt uns jetzt aber gewaltig auf die Füße. Und dann hat dieser Herr, der Vorstandsvorsitzender der Kruppstiftung war, die von den Dividenden dieser Aktiengesellschaft lebt, 50 Millionen Euro locker gemacht für den Neu- und Umbau des berühmten Folkwang-Museums. Da Thyssen-Krupp sehr viel Geld mit Rüstungsproduktionen bis hin zu U-Booten verdient und diese Rüstung auch nach Saudi-Arabien geliefert wird, von wo zurzeit der Jemen bombardiert wird, klebt an diesem Museum Blut. Ein berühmtes Zitat nennt es ‚das schönste Museum der Welt’: Paul J. Sachs, Mitbegründer des MOMA, bei einem Besuch in Essen im Jahr 1932. Doch der kann nix dafür, das war ja noch vor unserem Überfall auf die Russen und vor dem Ukrainekrieg. Das müssen wir nun alles ändern und wegen der Russen in Ordnung bringen, vor allem die Plakate (Werbung!) müssen weg. Und den Boulevard nennen wir wieder um in Bamlerstraße. Auch der Herr Bamler hatte Verdienste, allerdings im Zusammenhang mit Luftschiffen.

Und der Schröder! Der bei der Gazprom oder sonstwo in russischen Aufsichtsräten sitzt. Wer ihn da wohl hinbugsiert hat? Das geht gar nicht. Und wenn jetzt das Gas nicht mehr fließt, auch nicht durch Nordstream 1, ist dieser Herr überflüssig. Das erinnert an Flüssiggas, ein Begriff, der in den Medien so benutzt wird, als sei es ein besonderes Gas, dabei ist es nur ein Aggregatzustand des Erdgases für den Transport, wenn man keine Pipeline hat, zum Beispiel in Katar. Dieser Lobbyist! Raus mit ihm aus der SPD. Ist eh eine seltsame Partei. Zunächst wollen sie seinen Namen aus bestimmten Listen und Pamphleten löschen. Auch die Geschichtsbücher müssen bereinigt werden, schließlich war Schröder für die Agenda 2010 und die Hartz-IV-Gesetze mitverantwortlich. Vielleicht freut er sich sogar darüber, dann wird ihm das nicht mehr angelastet.

Und der russischen Wodka, weg mit ihm! Nur welcher aus Berlin und aus Südafrika ist noch legitim. Raus aus den Regalen bei Aldi, Lidl, Edeka & Co. Ob kubanischer Rum noch erlaubt ist?

Jetzt wollte ich mir gerade ein schönes Samstagabend-Stündchen machen, den Tschaikowski auflegen und einen russischen Wodka trinken, da kamen mir doch gewaltige Bedenken. Sind die Fenster zu? Wenn das jemand hört und sieht! Und mich verpetzt? Was ist dann?

Eine gute Bekannte spricht Russisch und war sogar Lehrerin an einer Oberschule. Was ist mit der?

Na dann: Na sdorowje! Wohl bekomm’s! Aber das soll man angeblich nur beim Essen sagen und genauer lautet es beim Trinken „Sa sdorowje“.

Aber das ist uns doch wohl egal, ist ja russisch.

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"Wodka aus Südafrika", UZ vom 8. April 2022



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