Mamadi Doumbouyas Rede auf der UNO-Generalversammlung

„Womit ich konfrontiert bin, übersteigt jegliche Vorstellungskraft“

Mamadi Doumbouya

Guineas Übergangspräsident Mamadi Doumbouya hat in seiner Rede vor der 78. Generalversammlung der UNO in New York am 21. September 2023 auf die Ursachen für die vielen Staatsstreiche in Westafrika in den letzten Jahren verwiesen: Eine einheimische Elite, die ihre eigenen Völker willfährig ausplündert zugunsten der imperialistischen Großmächte. „Papas Afrika“, das alte Afrika, sei Geschichte. Die jungen Gesellschaften müssten endlich ihren eigenen Weg gehen dürfen. Wir dokumentieren die Rede in voller Länge:

Herr Präsident,
Exzellenzen Damen und Herren Delegationsleiter,
Herr Generalsekretär,

1. Bevor ich beginne, Herr Präsident, möchte ich Ihnen die herzlichen Glückwünsche der guineischen Delegation zu Ihrer glanzvollen Wahl zum Präsidenten der 78. ordentlichen Sitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen überbringen.

Ich möchte Ihnen vor dieser erhabenen Versammlung auch die Unterstützung meines Landes zusichern.

2. Bei der gleichen Gelegenheit möchte ich Ihrem Vorgänger, Herrn Csaba Kőrösi aus Ungarn, meine verdiente Anerkennung aussprechen.

3. Dem Herrn Generalsekretär, Herrn António Guterres, danke ich für die Selbstlosigkeit, mit der er unsere Organisation leitet.

Herr Präsident,
Meine Damen und Herren,

4. An den Arbeiten der 78. ordentlichen Tagung unserer Versammlung teilnehmend, möchte ich mein Versprechen halten, Ihnen die herzlichen Grüße des souveränen Volkes von Guinea zu übermitteln.

5. Mein Land setzt weiterhin Hoffnungen in die Vereinten Nationen, geeignete Lösungen für die Fragen zu finden, mit denen unsere Welt weiterhin konfrontiert ist. In diesem Rahmen denken wir, dass die Grundlagen, die der Gründung unserer Organisation zugrunde lagen, an die tiefgreifenden Veränderungen unserer Gesellschaft angepasst werden müssen.

6. Das Ziel des Themas dieser Tagung, „Frieden, Wohlstand, Fortschritt und Nachhaltigkeit“, ist hochaktuell, vielsagend und verdient unsere besondere Aufmerksamkeit.

Epidemie von Staatsstreichen in Afrika. Nach der Covid-19-Epidemie wird der Kontinent nun von der der Militärputsche heimgesucht. Vor allem die französischsprachigen Länder südlich der Sahara. Sie werden von der ganzen Welt verurteilt, von der ganzen Welt bestraft. Die sich über das plötzliche Wiederauftauchen dieser Praxis aufregt, von der man dachte, sie sei längst vergangen. Und das zu Recht.

Aber ich möchte sagen, dass die internationale Gemeinschaft die Ehrlichkeit und Korrektheit haben muss, nicht nur die Folgen anzuprangern, sondern sich für deren Ursachen zu interessieren und sie zu behandeln.

Wenn sich die Staatsstreiche in den letzten Jahren in Afrika gehäuft haben, liegt das daran, dass es dafür sehr tief liegende Gründe gibt. Und um das Übel zu behandeln, muss man sich mit dessen Wurzeln befassen. Putschist ist nicht nur der, der zu den Waffen greift, um ein Regime zu stürzen. Ich wünsche mir, dass wir festhalten, dass die wahren Putschisten, die zahlreichsten, die in keiner Weise verurteilt werden, diejenigen sind, die aushecken, die Hinterlist anwenden, die betrügen, um die Verfassungstexte zu manipulieren, damit sie ewig an der Macht bleiben. Es sind die in weißen Kragen, die während des Spiels die Spielregeln ändern, um die Zügel des Landes in der Hand zu behalten. Das sind die zahlreichsten Putschisten.

Sehr geehrter Herr Präsident,
Meine Damen und Herren,

7. Ich gehöre zu denjenigen, die eines Morgens beschlossen haben, Verantwortung zu übernehmen, um unserem Land völliges Chaos zu ersparen. Eine aufständische Situation. Keine politische Kraft, damals alle völlig neutralisiert, hatte den Mut und die Mittel, dem Betrug, den wir erlebten, ein Ende zu setzen. Die institutionelle Korrektur, für die meine Waffenbrüder und ich am 5. September 2021 die Verantwortung übernahmen, war nur eine Folge dieser chaotischen Situation, die schließlich das soziale Gefüge zerrissen und das Zusammenleben beschädigt hatte.

8. In Afrika, insbesondere in Westafrika, helfen wir mit der Entwicklung unserer Gesellschaften, dass Verteidigungs- und Sicherheitskräfte Verantwortung übernehmen, die Fragen, Überlegungen und Handlungen der internationalen Gemeinschaft hervorrufen. Die Frage, die wir uns angesichts dieser Situation stellen müssen, lautet: Warum kommt es jetzt zu militärischen Übergangsregierungen? Ich gebe nicht vor, alle Antworten auf diese Frage zu haben. Aber ich möchte einige Antworten auf Grundlage der Erfahrungen geben, die das Volk Guineas gemacht hat, und darüber hinaus in anderen westafrikanischen Ländern, die mit denselben Realitäten konfrontiert sind.

9. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit sind wir der Meinung, dass die derzeitigen Umbrüche in Afrika auf mehrere Faktoren zurückzuführen sind, darunter gebrochene Versprechen, die Trägheit des Volkes und Manipulationen der Verfassungen durch Machthaber, deren einziges Anliegen es ist, unbegrenzt an der Macht zu bleiben auf Kosten des kollektiven Wohlergehens. Heute sind die Völker Afrikas wacher denn je und beschließen, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen.

10. Die schlechte Verteilung des Wohlstands führt zu endlosen Ungleichheiten, Hungersnöten, Elend, was den Alltag unserer Bevölkerung immer schwieriger macht. Diese Ungleichheiten gehören zu den Ursachen der Ereignisse, die das Zusammenleben gefährden. Wenn sich die Reichtümer eines Landes in den Händen einer Elite befindet, während Neugeborene in Krankenhäusern sterben, weil Brutkästen fehlen, verwundert es nicht, dass wir unter solchen Bedingungen Übergänge miterleben, die auf die tiefen Sehnsüchten der Menschen antworten.

11. Afrika leidet unter einem Regierungsmodell, das ihm aufgezwungen wurde. Dieses Modell ist zwar gut und effizient für den Westen, der es im Laufe seiner Geschichte entwickelt hat, aber es hat Schwierigkeiten, sich an unsere Realitäten, unsere Bräuche und unsere Umwelt anzupassen. Ach, die Transplantation ist nicht gelungen… Ich weiß, dass viele, wenn ich das sage, sofort denken: „Noch ein Fußoldat, der der Demokratie den Hals umdrehen will“, „Noch ein Soldat, der uns seine Diktatur aufzwingen will“.

Jedoch – ganz klar, ohne Heuchelei, ohne Theater, Auge in Auge – sind wir uns bewusst, dass das demokratische Modell, das Sie uns nach dem Gipfel von La Baule in Frankreich so hinterhältig und geschickt, auf fast schon religiöse Art und Weise aufgezwungen haben, nicht funktioniert. Die verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Indizes beweisen das. Das ist kein Werturteil über die Demokratie an sich. Glauben Sie mir. Es ist eine Bilanz. Eine Feststellung über mehrere Jahrzehnte chaotischen Experimentierens mit diesem Modell in unserem Umfeld. Eine Zeit, in der es nur um politische Gefechte ging. Auf Kosten des Wesentlichen. Die Wirtschaft.

12. Erlauben Sie mir, die Wahrheitsübung noch ein wenig weiter zu treiben. Mit meiner kurzen, aber intensiven Erfahrung in der Verwaltung eines Staates, Guinea, konnte ich besser einschätzen, wie sehr dieses Modell vor allem dazu beigetragen hat, ein System der Ausbeutung und Plünderung unserer Ressourcen durch andere aufrechtzuerhalten. Und eine sehr aktive Korruption unserer Eliten. Nationale Führer, denen oftmals Demokratiezertifikate verliehen wurden für ihre Folgsamkeit oder ihre Fähigkeit, die Ressourcen und das Hab und Gut ihrer Völker zu verscherbeln. Oder ihr Talent, den Pseudo-Empfehlungen und Weisungen bestimmter internationaler Institutionen nachzugeben, die im Dienste der Großmächte stehen.

Ich muss übrigens in diesem Sinne gestehen, dass alles, womit ich konfrontiert bin, jegliche Vorstellungskraft übersteigt. Es sind dieselben, die Demokratie, Transparenz und gute Regierungsführung vertreten, die Korruption anprangern und die Regeln diktieren. Sie sind es, die im Verborgenen, sehr diskret und hinterhältig den Druck verdoppeln, uns dazu zu bringen, unser Vermögen mittels löwenartiger Verträge zu veräußern.

13. Ich verstehe heute einige Führungspersönlichkeiten, einige meiner Vorgänger, die aufgrund von Schwäche, weil sie unter Druck standen, Kungeleien mitmachten oder vor allem eine politische Agenda verfolgten, ihren Forderungen nachgegeben haben. Ich verstehe sie, ohne das zu billigen. Einige haben mich sogar daran erinnert, dass ich die Reformen, die meine Regierung und ich in Angriff genommen haben, weniger leicht durchführen könnte, hätte ich eine politische Agenda.

14. Eines ist sicher: Wir haben nur eine einzige Sorge. Das Wohlergehen des Volkes und das Zusammenleben. Das ist unsere Priorität. Deshalb hat sich die von mir geführte Übergangsregierung entschieden, sich stringent klaren Zielen zu widmen in einer festgelegten Reihenfolge. Das Soziale, die Wirtschaft und die Politik.

Sehr geehrter Herr Präsident,
Meine Damen und Herren,

15. Meine Uniform habe ich in den Dienst meines Volkes gestellt. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Amtseid respektieren würden. Dass Sie uns in respektvoller Distanz halten zu Spaltungen jeglicher Art, die viele in unseren Ländern zu schüren versuchen. Der Sahel ist in einer der schwersten Krisen seiner sehr langen Geschichte.

Aber er verfügt über den nötigen Elan, um sie zu bewältigen. Sein legendärer Sinn für Diplomatie muss befreit werden, damit wir miteinander reden können ohne Einmischung. Aus diesem Grund muss ECOWAS, deren Aufgabe wirtschaftlicher Natur war, aufhören, sich in die Politik einzumischen, und den Dialog bevorzugen.

16. Wir Afrikaner sind müde und völlig erschöpft von den Kategorisierungen, auf die uns die einen und die anderen beschränken wollen. Die Bevölkerung Afrikas ist jung. Sie hat den Kalten Krieg nicht erlebt. Sie hat die ideologischen Kriege, die die Welt in den letzten 70 Jahren geformt haben, nicht erlebt.

Deshalb finden wir die Fächer und Klassifizierungen beleidigend, die uns mal unter den Einfluss der Amerikaner, mal unter den der Engländer, Franzosen, Chinesen, Russen und sogar der Türken stellen.

Wir sind weder pro- noch antiamerikanisch, weder pro- noch antichinesisch, weder pro- noch antifranzösisch, weder pro- noch antirussisch noch pro- oder antitürkisch. Wir sind ganz einfach pro-afrikanisch. Das ist alles. Uns unter die Knute dieser oder jener Macht zu stellen, ist eine Beleidigung, Verachtung, Rassismus gegenüber einem Kontinent mit mehr als 1,3 Milliarden Menschen.

17. Es ist wichtig, dass in dieser angesehenen und einflussreichen Versammlung klar und endgültig verstanden wird, dass Papas Afrika, das alte Afrika, vorbei ist. Mit einer Bevölkerung von über einer Milliarde Afrikanern, von denen etwa 70% völlig hemmungslose junge Menschen sind, weltoffene junge Menschen, die entschlossen sind, ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, ist es an der Zeit, sich bewusst zu werden, dass die Strukturen, die Regeln, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Abwesenheit unserer Staaten, die noch gar nicht existierten, entstanden sind, obsolet sind. Es ist das Ende einer unausgeglichenen, ungerechten Epoche, in der wir kein Mitspracherecht hatten.

Es ist an der Zeit, unsere Rechte zu berücksichtigen und uns unseren Platz zu geben. Aber auch und vor allem der Moment, damit aufzuhören, uns zu belehren, uns nicht mehr wie Kinder zu behandeln. Seien Sie versichert, dass wir alt genug sind, um zu wissen, was gut für uns ist.

18. Wir sind reif genug, um unsere Prioritäten festzulegen, unser eigenes Modell zu entwerfen, das unserer Identität entspricht, der Realität unserer Bevölkerungen und dem, was wir ganz einfach sind. Wir wären Ihnen wirklich sehr dankbar, wenn Sie uns vertrauen und uns unser Boot selbst steuern lassen, wie Sie es einigen Teilen der Welt erlaubt haben. In Asien, im Nahen und Mittleren Osten. Um nur einige zu nennen. Diese Infantilisierung hat die wirklich schlechteste Wirkung auf eine afrikanische Jugend, die sich emanzipiert hat.

19. Ich kann meine Ausführungen nicht schließen, ohne auf die Bedrohungen hinzuweisen, die die Subregion Westafrika heimsuchen, die heute ernsthaft Fragen der Sicherheit, der Entwicklung und der Stabilität ausgesetzt ist. Die Menschen in der Subregion sehnen sich doch nur nach einem besseren Leben angesichts der Lehren, die sie aus ihrer Geschichte gezogen haben, und ihres Wunsches, in einem Raum und einer Welt des Friedens und der Eintracht mit den anderen Völkern der Welt zu leben.

20. In diesem Kontext sind wir alle gefordert und aufgerufen, eine bessere Analyse der Situation vorzunehmen, um eine neue Politik zum Nutzen aller einzuleiten und zu verfolgen. Die internationale Gemeinschaft muss Afrika mit neuen Augen sehen. Sie muss mit Afrika von nun an eine aufrichtige Zusammenarbeit im Geiste einer Win-Win-Partnerschaft in Angriff nehmen.

Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Aufmerksamkeit.

Übersetzung aus dem Französischen: Valentin Zill. Den Originaltext stellen die Vereinten Nationen online zur Verfügung.

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