Ausstieg aus der Braunkohle wird verzögert. Die SPD versucht so ihre Position vor den nächsten Wahlen zu festigen.

Zum Nutzen der SPD

Von Bernd Müller

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hat vor einigen Wochen angekündigt, ab diesem Jahr einen Runden Tisch zur weiteren Kohlenutzung einzuberufen. (UZ berichtete am 29.1.) Dabei wolle er aber nicht über Ausstiegsszenarien für Kohleregionen wie die Lausitz oder das rheinische Revier sprechen, ohne gleichzeitig realistische Einstiegsszenarien für nachhaltige und anständig bezahlte Ersatzjobs für die Beschäftigten zu besprechen.

Der Vorschlag, dass sich Vertreter von Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Umweltverbänden zusammenfinden, um über einen sozialverträglichen Ausstieg aus der Kohle zu verhandeln, ist unter anderem auch von Umweltschutzorganisationen begrüßt worden. Skeptisch reagierte allerdings Greenpeace-Energieexperte Tobias Münchmayer: Letztlich müsse man abwarten, ob ein Runder Tisch tatsächlich zu einer entsprechenden Gesetzesinitiative führe, sagte er laut Online-Magazin klimaretter.info.

Ablehnend reagierte Hannelore Kraft (SPD), Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen. Laut Dow Jones Newswires sagte sie: „Ein bundesweiter Kohleausstiegsplan ist ein sehr theoretischer Ansatz. Dafür gibt es jetzt keine Notwendigkeit“. Kohle- und Gaskraftwerke seien auch weiterhin für die Versorgungssicherheit unerlässlich. Dass sie sich auf diese Weise schützend vor die Kohlekonzerne stellte, verwundert indes nicht. Nordrhein-Westfalen ist nicht nur die Heimat der angeschlagenen Konzerne RWE und E.on, auch im Bergbau und in den Kohlekraftwerken des rheinischen Reviers arbeiten nach Konzernangaben noch rund 30 000 Menschen, und rund 50 000 sind in Zulieferfirmen beschäftigt.

Die Sorge um Arbeitsplätze ist aber nur ein Grund und sicher nicht der wichtigste. Hinter Gabriels Haltung steckt Kalkül: Mit Blick auf die Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen in diesem Jahr und auf die Bundestagswahlen im nächsten wird deutlich, dass Gabriel und Kraft die SPD in eine möglichst gute Ausgangslage bringen wollen. Weil NRW das einwohnerreichste Bundesland ist, wird die dortige Wahl auch gern als „kleine Bundestagswahl“ bezeichnet, und die „Rheinische Post“ brachte im August letzten Jahres ihre Bedeutung auf den Punkt: „Ein Erfolg der SPD im mitgliederstärksten Bundesland würde der Partei zudem Auftrieb für die Bundestagswahl geben, die wenige Monate nach der Landtagswahl stattfindet. Ein Misserfolg in NRW wäre fatal für die Bundes-SPD, die sich mit ihrem mutmaßlichen Kanzlerkandidaten, Parteichef Sigmar Gabriel, sichtlich schwertut.“ Ein konsequenter Kohleausstieg würde dagegen der Partei einen schlechteren Stand bescheren: Die Löcher in den kommunalen Haushalten würden größer und viele treue Parteisoldaten würden ihre gut dotierten Posten verlieren.

Vor allem SPD-Politiker hatten in den vergangenen Jahrzehnten die Aktien der Stromkonzerne als „Tafelsilber“ angesehen – was sich nun durch die Energiewende rächt. Zahlreiche Kommunen in Nordrhein-Westfalen halten über ihre Stadtwerke Anteile an RWE. Zusammen kontrollieren sie rund 25 Prozent der Aktien. So besaß Essen noch 2013 rund 18,75 Millionen Aktien, Dortmund etwa 22,7 Millionen, Oberhausen gut 1,2 Millionen und Gladbeck rund 1,1 Millionen.

Im vergangenen Jahr musste der Energiekonzern den Wert seiner konventionellen Kraftwerke in der Bilanz um fünf Milliarden Euro nach unten korrigieren. Der sinkende Aktienwert wurde dann aber nur begrenzt in den Haushalten der Kommunen widergespiegelt: Noch vor zwei Jahren gingen sie in ihren Büchern von überhöhten Aktienwerten aus und rechneten sich so reicher, als sie in Wirklichkeit waren. Als beispielsweise Essen dann die Werte nach unten korrigieren musste, war die Kommune um rund 700 Millionen Euro ärmer. Auf einen Schlag verlor die Stadt fast ihr ganzes Eigenkapital, und sie rechnet damit, in diesem Jahr ein Minus von 50 Millionen Euro einzufahren. Alle Städte zusammen hatten Abschreibungen im Wert von mehr als zwei Milliarden Euro zu verkraften.

Neben dem besonderen Interesse von nordrhein-westfälischen Kommunen an möglichst langen Laufzeiten des Kohlebergbaus und der Kohlekraftwerke hat die SPD auch als Partei eine besonders enge Beziehung zur Braunkohle. Die Umweltorganisation Greenpeace hatte diese im 2013 erschienenen „Schwarzbuch Kohlepolitik“ hervorgehoben. Als langjährige Regierungspartei in NRW sei sie „mit der regional stark verankerten Energiewirtschaft aufs Engste verbunden“, heißt es dort. Viele „Genossen“ hätten „nicht nur eine ideelle Verbindung zum dreckigsten aller Energieträger, sondern sind Teil der Konzernspitzen“.

Unzählige Sozialdemokraten sitzen demnach in Aufsichtsräten und Beiräten der Kohlekonzerne, und sie verdienen mit an diesem Geschäft. Es kommt auch nicht selten vor, dass SPD-Genossen direkt von ihrem politischen Amt auf einen gut bezahlten Posten im Konzern wechseln.

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"Zum Nutzen der SPD", UZ vom 19. Februar 2016



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