Zwischen Hilfsbereitschaft und Pogrom-Stimmung

Das Gespräch führte Markus Bernhardt

UZ: In verschiedenen bundesdeutschen Städten kam es in den vergangenen Wochen und Tagen zu Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte. Haben wir es mit ähnlich gelagerten rassistischen Pogromen zu tun, wie in den 1990er Jahren?

„Es gibt in der Flüchtlingsfrage

durchaus Parallelen zu den 1990er Jahren“

Dirk Nolle: Tatsächlich gibt es durchaus Parallelen zu damals. Auch zu Beginn der 1990er Jahre gab der rechte Mob den Takt vor und die etablierte Politik schützte nicht etwa die Flüchtlinge, sondern schaffte in einer übergroßen Koalition faktisch das Grundrecht auf Asyl ab. Ich würde zwar derzeit noch nicht von Pogromen sprechen, wohl aber von pogromartiger Stimmung, wenn ich etwa an die rechten Exzesse im sächsischen Heidenau denke.

UZ: Warum fällt vor allem der Freistaat Sachsen regelmäßig durch Aktionen militanter Neonazis und Rassisten auf?

Dirk Nolle: Das hat mehrere Ursachen. Sachsen war stets ein strukturkonservatives Land. Die CDU stellt seit der Annexion der DDR die Staatsregierung. Da hat sich nicht nur ein gewisser Filz in Behörden und Ämtern gebildet. So auch bei Polizeibehörden und dem sogenannten Landesamt für Verfassungsschutz. Auch die Landtagspräsenz der neofaschistischen NPD, die zwei Legislaturen anhielt, hat das Übrige getan. Im ländlichen Raum, wie etwa in Heidenau, dürften die Menschen außerdem noch über mehr Vorurteile verfügen, als etwa in Metropolen wie Leipzig.

UZ: Warum gelingt es der politischen Linken kaum, die Vorurteile der Menschen durch Fakten zu entkräften?

Dirk Nolle: Ich bin mir nicht sicher, ob ich das so pauschal sehen würde. Die Leipziger Linkspartei mit ihrem Vorsitzenden Volker Külow macht seit Monaten sowohl gegen die Hetze von „Legida“ mobil und hat auch mehrere Solidaritätsaktionen mit Flüchtlingen durchgeführt. Külow hat im Gegensatz zu anderen Linksparteivorsitzenden in Städten und Kommunen stets dafür Sorge getragen, dass Rechte nicht mit sozialer Demagogie punkten konnten, indem er stets auf ein klar antikapitalistisches Profil gesetzt hat.

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( photog_at/flickr.com /CC BY 2.0)

UZ: In Duisburg ist es der politischen Linken jedoch nicht gelungen zu punkten. Debatten über angebliche „No-Go-Areas“, „kriminelle Großfamilien“ und „ausufernde Flüchtlingsströme“ aus Bulgarien und Rumänien fielen durchaus auf fruchtbaren Boden und wurden von Rechten, aber auch Anhängern eines „Law-and-Order“-Staates aufgegriffen …

Dirk Nolle: Ja, das stimmt. Trotzdem gehört auch hier zur Wahrheit, dass die politische Linke nunmehr seit Monaten gegen die wöchentlichen Aufmärsche von „Pegida“ und ähnlichen rechten Zusammenschlüssen mobil macht. Wir müssen als politische Linke wieder verstärkt mit unseren Inhalten punkten. Dabei müssen wir vor allem die soziale Frage verstärkt thematisieren. Bisher ist es uns kaum gelungen, unsere Werte wie Solidarität und Zusammenhalt so zu propagieren, dass sie zumindest in Zeiten des nahezu ungebremsten Neoliberalismus öffentliche Beachtung finden und als Gegenentwurf überhaupt zur Kenntnis genommen werden.

UZ: Und doch gibt es in Sachen Flüchtlingspolitik ja auch positive Beispiele …

Dirk Nolle: Wir erleben tatsächlich vielerorts eine große Hilfsbereitschaft. Erst vor wenigen Tagen haben hunderte Menschen gegen einen Aufmarsch der neofaschistischen Partei „Die Rechte“ in Dortmund demonstriert, die mitten in der Nacht gegen ankommende Flüchtlinge aufmarschiert sind. Auch in München und anderswo wehren sich die Menschen gegen Naziprovokationen und haben Kleidung, Kinderspielzeug und andere Alltagsgegenstände für ankommende Flüchtlinge gesammelt. Dieses tolle Engagement darf jedoch trotzdem nicht über die Aktivitäten des rassistischen Mobs hinwegtäuschen.

Auch die Ergüsse der etablierten Politik helfen nicht. Wenn Vizekanzler Sigamr Gabriel (SPD) die selbsternannten „besorgten Bürger“ als Pack bezeichnet, täuscht das auch darüber hinweg, dass das schlicht und ergreifend Rassisten und Neonazis und nicht mehr und nicht weniger sind. Diesen Zustand zu entpolitisieren, hilft da sicherlich nicht. Außerdem könnten wir uns auch mal über staatlichen Rassismus und Abschottungspolitik unterhalten. Die Flüchtlinge wären nicht hier, wenn Deutschland nicht drittgrößter Waffenexporteur wäre und gemeinsam mit der NATO an Kriegen und Bombardements in Afghanistan und Jugoslawien beteiligt gewesen wäre und Bürgerkriege wie den in Syrien anheizte. Insofern liegt es auch an uns, den Zusammenhang von Kapitalismus und imperialistischer Kriegspolitik deutlich zu machen. Dies zu vernachlässigen, wäre ein Frevel.

UZ: Gehen Sie davon aus, dass sich die innenpolitischen Konflikte noch weiter zuspitzen werden?

Dirk Nolle: Ich fürchte schon. Die „Abstiegsangst“ der sogenannten Mittelschicht nimmt zu. Und diese Schicht lässt sich leicht dazu verleiten, gegen Schwächere, in diesem Fall Flüchtlinge, zu hetzen. Wichtiger wäre hingegen, dass sich Menschen, die Angst vor sozialem Abstieg haben, der ja auch gar nicht auszuschließen ist, gegen diejenigen wehren, die die Verantwortung dafür tragen. Also gegen Großkonzerne, Banken, die EU und die etablierte Politik.

UZ: Warum gegen die EU?

Dirk Nolle: Weil nicht nur der Euro, sondern auch dieses Gemeinschaftsprojekt gescheitert ist. Die EU hat ja nicht den Menschen geholfen, sondern den internationalen Großkonzernen. Und die, die dachten, die EU würde den deutschen Imperialismus in die Schranken weisen, haben sich getäuscht. Vielmehr haben wir es mittlerweile mit einem „deutschen Europa“ zu tun, das hat ja das Beispiel Griechenland noch einmal eindrucksvoll bewiesen. Aber auch in Bezug auf die Flüchtlingspolitik. Insofern gibt es für uns einiges zu tun.

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"Zwischen Hilfsbereitschaft und Pogrom-Stimmung", UZ vom 11. September 2015



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