Karin Leukefeld auf dem 50. Solidaritätsbasar der Zionsgemeinde in der Neustadt

„100 Stunden Verhandlungen sind immer besser als eine Stunde Krieg“

Von Sönke Hundt

„Solidarität ist unsere Stärke“ – so hieß es am 27. November 2015 wieder zum 50. Solidaritätsbasar in Bremen. Es ist deprimierend, aber die Welt ist heute nicht weniger kriegerisch als vor 50 Jahren, als der Basar von einigen Frauen aus Solidarität mit dem vietnamesischen Volk gegründet wurde. Niemals gab es mehr Flüchtlinge als in diesen Tagen, und 60 Millionen sind auf der Flucht, weil ihr Leben bedroht ist. Der Solidaritätsbasar fand dieses Mal an einem neuen Ort, im Gemeindezentrum Zion in der Neustadt statt. Es kamen etwa 200 Menschen, um viele alte und neue Bekannte zu treffen, ihre Solidarität zu bekunden und zu spenden. Es gab – wie es schon Tradition in der Stephani-Gemeinde über all die Jahre gewesen ist – einen bunten Basar mit Büchern, Kunsthandwerk, Gekochtem, Gestricktem, Gebackenem u. a. m. sowie mit Essen und Trinken.

Zu Anfang spielte die Bremer Gruppe „Das Rote Krokodil“ richtig gute politische Unterhaltungsmusik, lebendig und mitreißend. Eva Böller, Sprecherin des Organisationskomitees, leitete den Abend ein und Pastor Thomas Lieberum begrüßte die Anwesenden im Namen der Vereinigten Evangelischen Gemeinde Bremen-Neustadt. Er sagte, am ersten Advent werde das Lied „Macht hoch die Tor macht weit“ aus dem 24. Psalm gesungen. „Und das“, so Thomas Lieberum, „ist unser Auftrag, die Tür weit aufzumachen und hereinzulassen diejenigen, denen es schlecht geht“.

Karin Leukefeld war eingeladen, über Syrien zu berichten. Sie ist als Journalistin in Syrien akkreditiert und informiert schon seit vielen Jahren über die Kriege im Nahen Osten und über die immer weiter gehenden Zerstörungen. Sie hat in Syrien gelebt, kennt dort viele Menschen aus unterschiedlichen Gruppierungen und Schichten, auch aus verschiedenen Religionen. Sie fährt auch jetzt regelmäßig und trotz der Kriegsverhältnisse in dieses Land.

Leukefeld schilderte die Vorgeschichte des Krieges. Als Bashar Al-Assad als junger Präsident Syriens an die Macht gekommen sei – nicht durch demokratische Wahlen übrigens –, habe er eine Fülle von politischen und sozialen Problemen vorgefunden und versucht, sie durch eine Reformpolitik zu lösen. Viele wären ihm am Anfang auf diesem Kurs gefolgt, vor allem die jungen Leute, die die Modernisierung des Landes und eine Öffnung zum Westen hin begrüßten. Karin Leukefeld hat in dieser Zeit in Syrien gelebt und gemerkt, wie auch für sie während dieser Zeit der ersten gesellschaftlichen Veränderungen das Leben immer einfacher geworden sei. Eine Politik der Öffnung, ein besseres Miteinander der Staaten des mittleren Ostens nach dem Vorbild der Europäischen Union, das hatte der junge Präsident gewollt, und das hatten sich viele in Syrien erhofft. Andererseits aber hätte die Öffnung nach Westen und die Liberalisierung der Märkte auch dazu geführt, dass immer mehr Investitionen und Produkte vor allem aus der Türkei über die vielen neu geschaffenen Grenzübergänge in das Land gekommen seien und damit viele Familienbetriebe in Syrien in der (kleinen) Industrie, im Handwerk und in der Landwirtschaft in große Schwierigkeiten und auch in den Ruin getrieben habe. „Das schürte den Zorn bei vielen auf diese neue Politik. Und mit dem Beginn des arabischen Frühlings gab es auch zunehmend Proteste in Syrien, die nun in relativ kurzer Zeit in Gewalt und in eine allgemeine Militarisierung der Konflikte umschlugen.“

Im Jahr 2011 wäre dann die Entwicklung schnell eskaliert. Sehr früh sei von den umliegenden Staaten, also von Jordanien, Saudi-Arabien, von der Türkei aus und aus den westlichen Ländern Einfluss auf diese Protestbewegung genommen worden. Schon im Juni 2011 habe es dann eine erste große Konferenz mit über 150 Teilnehmern der syrischen Opposition in Damaskus gegeben (woran Karin Leukefeld teilgenommen hat), von der ein klares Signal ausgegangen sei: Sie wollten mit der Regierung reden, aber es dürfe keine Gewalt geben. Die Regierung solle alle politischen Gefangenen freilassen und mit den oppositionellen Gruppen in Syrien in einen Dialogprozess eintreten.

Außerhalb Syriens, in der Türkei, wäre aber in dieser Situation die „Freie syrische Armee“ gegründet worden, die diesen Prozess des Dialogs frontal angegriffen und medial unglaublich heftig diffamiert habe. Diese „FSA“ sei umgehend von den westlichen Ländern beraten und medial und finanziell unterstützt worden. Drei Monate nach der Konferenz im Juni 2011 sei die Situation schon völlig eskaliert und eine Flugverbotszone und der Militäreinsatz der NATO zum Sturz der syrischen Regierung gefordert worden.

Karin Leukefeld ist davon überzeugt, dass Krieg immer vermieden werden muss. Sie stimmt darin Helmut Schmidt zu, der mal gesagt habe, 100 Stunden Verhandlungen seien immer besser als eine Stunde Krieg. Deshalb auch müsse man dem jüngsten Beschluss des Sicherheitskabinetts der Bundesregierung, jetzt die Bundeswehr in Syrien einzusetzen, ein entschlossenes NEIN! entgegen setzen. „Für mich ist klar“, sagte sie, „es ist in Syrien kein Bürgerkrieg, es ist ein Stellvertreterkrieg.“ Es existiere in diesem Land immer noch der „gewebte Teppich“, der die syrische Gesellschaft repräsentiere und der nach wie aus vielen Gruppen, Schichten, Völkern und Religionen bestünde. Sie wisse von vielen Versöhnungskomitees, die schon über 40 lokale Waffenstillstände hätten aushandeln und den Krieg in ihrem Gebiet stoppen können. Diese Art von gesellschaftlicher Versöhnung wäre ein großes Hoffnungszeichen. Ein Vertreter der Vereinten Nationen habe ihr in einem Gespräch bestätigt, dass, wenn die Syrer unter sich gelassen würden, ein Frieden schnell erreicht werden könnte, weil alle vom Krieg müde und erschöpft seien. Wer an einem Frieden überhaupt kein Interesse hätte, das wären die vielen bewaffneten Kämpfer, die als Söldner kein Interesse an Waffenstillständen oder Ähnlichem hätten, weil sie, sollte der Krieg aufhören, ihren Job und ihren hohen Lohn verlieren würden. Wer den Frieden verhindere, das wären die ausländischen und geostrategischen Interessen, die den Krieg weiterhin mit Geld und Waffen befeuern würden. Hier in Deutschland müssten wir die Bundesregierung auffordern, nicht noch mehr Militär und Waffen in die Region zu schicken, sondern die Botschaft in Damaskus wieder aufzumachen, mit der Regierung Kontakt aufzunehmen und friedliche Entwicklungsprojekte zu unterstützen.

Karin Leukefeld erhielt viel und langanhaltenden Beifall.

Ihr Referat diente nebenbei auch der Werbung für die neue Auflage ihres Buches „Flächenbrand: Syrien, Irak, die Arabische Welt und der Islamische Staat“, das an dem Abend verkauft und von der Autorin signiert wurde. Es ging reißend weg, weil viele sich gründlicher und über das Gehörte hinaus informieren wollten.

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"„100 Stunden Verhandlungen sind immer besser als eine Stunde Krieg“", UZ vom 11. Dezember 2015



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