Söders Gender-Verbot ist Marktschreierei, um sich nicht mit eigentlichen ­Problemen befassen zu müssen

Ablenkungsmanöver

Kolumne

Nach seiner Wiederwahl und pünktlich zur Adventszeit erklärt Markus Söder, dass er aufräumen wolle mit dem „Gender-Gaga“ an Bayerns Schulen. Diese sind wohl zu einem Hort linksgrüner Ampel-Ideologen verkommen, vor der es die Abc-Schützen zu schützen gilt. Dagegen kündigt Söder an: In Bayern wird ab jetzt Deutsch gesprochen. Das Vorhaben, auf geschlechtsneutrale Formen oder gar Sonderzeichen zu verzichten, sorgt in den bürgerlichen Feuilletons für Aufregung. Dabei bleibt im Grunde vieles beim Alten, weil es in Bayern keine Schule und keinen Lehrplan gibt, den die regierende CSU nicht bisher schon kontrolliert hat.

Zwar ist allgemein bekannt, dass das Gendern von Sprache weder zur Lohnangleichung noch zu solidarischem Bewusstsein führt, und so begrenzt sich die Verbreitung dieser Sprachmode auf akademische und liberale Kreise. Drei Viertel der Deutschen halten ein Gender-Verbot sowieso für richtig. Und trotzdem ist das „Gender-Verbot“ Thema für eine Regierungserklärung in Bayern. Denn Söder bewegt sich in einem Mainstream, der vorgibt, gegen den herrschenden Zeitgeist zu stehen, dafür aber in den Köpfen gut verankert ist und nicht selten in Regierungsämtern sitzt.

Ob in Russland oder im Westen, also in den USA und auch hierzulande: Ein scheinbarer Kulturkampf zwischen „Woken“ und Wertkonservativen hat Konjunktur. Dafür gibt es zig Steilvorlagen, die allesamt ablenken von realen Einschränkungen sozialer und politischer (Grund-)Rechte. Die Konzeption des Kulturkampfes als Alternative zum Klassenkampf bewegt sich wie auch die Annahmen von Teilen der orientierungslosen Linken, hier komme die Einordnung in rechts und links an ihre Grenzen, auf der Erscheinungsebene einer klassenbasierten ideologischen Auseinandersetzung.

Nicht das Gendern ist das Problem, sondern das damit verbundene Ablenken von sozialen und politischen Forderungen, wie sie die sozialistisch geprägte Frauenbewegung und andere Emanzipationsbewegungen einst hochgehalten hatten. Auch die Reaktionen wertkonservativer „Kulturkämpfer“ sind in der Regel von fundamentalistisch-christlichen Gruppen geprägt und stellen die vermeintliche Naturwüchsigkeit von angeblich „normalen“ Beziehungsformen in den Vordergrund.

Wir wissen aus der westlichen Ideologieproduktion, dass skurrile Minderheiten vielfältig sein können: So ist die AfD-Frontfrau Weidel zwar mit einer Frau verheiratet, möchte aber vor allem betonen, dass sie nicht „queer“ sei, weil sie ihre Frau „seit 20 Jahren kenne“. Als seien queere Lebensformen grundsätzlich anonym, schnelllebig und instabil. In den USA beschuldigt der radikalkonservative Gouverneur DeSantis aus Kalifornien den ehemaligen US-Präsidenten Trump, dass dieser angeblich „zu freundliche“ Politik für nicht-heterosexuelle Menschen gemacht habe – dabei hat Trump sich in diesem Feld genauso aufgeführt wie es die wertkonservativen Gralshüter seit Jahrhunderten tun: wertkonservativ.

Wozu dieser Überbietungswettbewerb, der in jeder reaktionären Mehrheitsgesellschaft Vorboten kommunistischer Eigentumslosigkeit wähnt mitsamt der Vergesellschaftung von Frau und Familie? Mit dem Geschimpfe über angeblich unsittliche Zustände lenken diese Marktschreier ab von den eigentlichen Schweinereien.

Statt sich mit der mangelnden Finanzierung von Schule oder fehlenden sozialpolitischen Zugängen zu Bildung auseinandersetzen zu müssen, wird Bildung in öffentlichen Schulen schlechtgeredet. Das gilt sowohl in der Bayerischen Staatskanzlei als auch im Weißen Haus.

So antwortet Trump auf DeSantis, dass er nach einer Wiederwahl als Präsident der USA als erstes das Geld für Schulen sperren will, die sich für den „Transgender-Wahn“ stark machen. Keine guten Aussichten für diejenigen Kinder, die nicht zur kleinen Schicht der Besitzenden gehören, sondern auf öffentliche Schulbildung angewiesen sind – jenseits und diesseits des großen Teichs.

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"Ablenkungsmanöver", UZ vom 22. Dezember 2023



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