Stellungnahme der VVN-BdA Bayern zur Vorstellung des bayrischen Verfassungsschutz-Berichtes 2019

Antifaschismus ist Gemeinnützig

Am Freitag, den 17. April, präsentierte das Innenministerium des Freistaats Bayern der Öffentlichkeit den gedruckten Verfassungsschutzbericht 2019. Die Erwähnung unseres bayrischen Landesverbandes steht dabei erneut in der Kritik.

Im Dezember 2019 hatten sich die Landtagsfraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und SPD im Dringlichkeitsantrag „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes muss gemeinnützig bleiben“ für die sofortige Beendigung der Diffamierung der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten“ (VVN-BdA) durch den bayrischen Verfassungsschutz ausgesprochen. Dieser wurde mit den Stimmen der AfD abgelehnt. Eine entsprechende Petition fand bis heute über 35.000 Unterstützerinnen und Unterstützer. Die Erwähnung im Verfassungsschutz (VS)-Bericht und der daraus resultierende Entzug der Gemeinnützigkeit auch für unseren Bundesverband wurde medial breit skandalisiert. Überlebende der Konzentrationslager protestieren gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit der VVN-BdA.

Als Beweis für unsere „linksextremistische Beeinflussung“ gilt dem bayrischen Innenministerium in diesem Jahr die Beteiligung an einer antimilitaristischen Kundgebung in München und die Mitveranstaltung des Vortrags in Augsburg mit dem Thema „Die Militarisierung der EU“. In beiden Städten wird das Engagement der VVN-BdA gegen Faschismus und Krieg geschätzt und gewürdigt. So wurde zum Beispiel 2002 Ernst Grube, Überlebender des KZ Theresienstadt und Gründungsmitglied der VVN-BdA, mit der Medaille „München leuchtet“ der Landeshauptstadt München geehrt. Der Augsburger Vorsitzende der VVN-BdA, Dr. Harald Munding, erhielt von CSU-Oberbürgermeister Dr. Kurt Gribl die Verdienstmedaille „Für Augsburg“. Anna Pröll, Gründungsmitglieder der VVN in Bayern wurde 2003 Ehrenbürgerin der Stadt Augsburg. Das bayrische Innenministerium unter Joachim Hermann versperrt sich in seiner Bewertung der VVN-BdA jeder Realität unserer Arbeit. Stattdessen werden die Fronten des kalten Krieges gepflegt, so als hätte es die letzten dreißig Jahre nicht gegeben. Bayern ist das einzige Bundesland, in dem die VVN-BdA durch den Verfassungsschutz beobachtet, im Verfassungsschutzbericht erwähnt und dort als „linksextremistisch beeinflusst“ eingestuft wird.

Um die Beobachtung der VVN-BdA durch den bayrischen Verfassungsschutz richtig einordnen zu können, lohnt die Lektüre des Berichtes 2019 allemal. Interessanter als das, was dort steht, ist allerdings das, was dort nicht steht. Rechtsextremismus-Experte Robert Andreasch äußert sich gegenüber dem BR enttäuscht: „Hier werden linke Hip-Hop Bands, die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und Initiativen wie Ende Gelände auf die gleiche Ebene wie rechtsterroristische Netzwerke gestellt. Und hier wird nur das ausgeführt, was Expertinnen und Experten, Antifaschisten und Medien schon seit Jahren ausführlich thematisieren.“ Oft noch nicht einmal das. Nicht im Fokus des bayrischen Verfassungsschutzes stehen etwa Organisationen wie Südkreuz, Nordkreuz oder Uniter, sowie rechte Netzwerke in den Sicherheitsbehörden ganz allgemein. Im Presseerklärung: Stellungnahme zur Vorstellung des bayrischen VS-Berichtes 2019 Verein „Uniter e.V.“ organisieren sich ehemalige und aktive Soldaten und Polizisten aus Spezialeinheiten, es werden aber auch Zivilisten in Militärtaktik geschult. Gründer ist der ehemalige KSK-Soldat André S., der unter dem Pseudonym „Hannibal“ eine Vielzahl von Chatgruppen administrierte, in denen sich Mitgliedern von Bundeswehr, Polizei und Verfassungsschutz gemeinsam mit Gleichgesinnten auf den „Tag-X“ vorbereiteten. Nicht wenige Mitglieder dieser Netzwerke stehen unter Terrorverdacht.

Das bayrische Landesamt für Verfassungsschutz fällt wie andere deutschen Inlandsgeheimdienste immer wieder auf durch die Diffamierung zivilgesellschaftlich-demokratischen Engagements bei gleichzeitiger Verharmlosung rechtsextremistischer Umtriebe und Untätigkeit bei rechtsterroristischen Aktivitäten. So wurden „Reichsbürger“ von den Behörden erst als rechtsextremes Phänomen wahrgenommen, nachdem in Georgensgmünd 2016 ein Polizist durch die Schüsse eines „Reichsbürgers“ tödlich verletzt worden war. Die Mitglieder des NSU lebten dreizehn Jahre im Untergrund, ermordeten zehn Menschen (davon fünf in Bayern), überfielen ein Dutzend Banken und begangen mehrere Sprengstoffanschläge. Die V-Männern des Verfassungsschutzes hatten sie dabei stets im engsten Umfeld, Schulter an Schulter. „(…) dass das Netzwerk des NSU groß und bundesweit war und dass von einem abgeschottet agierenden Trio ebenso wenig die Rede sein kann wie davon, dass die VS-Behörden keine Kenntnisse über Ursprung und Existenz des NSU hatten“, wurde etwa von Antonia von der Behrens in ihrem Plädoyer vor dem OLG München herausgearbeitet. Wie andere Vertreter der Nebenklage im „NSU-Prozess“ ist sie sich sicher, „dass nichts für Fehler, sondern alles für gezieltes Handeln spricht“. Ein ungeheuerlicher Befund, an dessen Entkräftung man sich beim Inlandsgeheimdienst gar nicht erst abmühte. Axel Minrath, der Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz begann am 11.11.2011, unmittelbar nach dem Aufliegen des NSU damit, Akten mit NSU-Bezug zusammensuchen und vernichten zu lassen.

Trotz der öffentlich gewordenen Verstrickungen des „Verfassungsschutzes“ in das mörderische neonazistische Netzwerk des NSU und der militanten Neonaziszene entzieht sich der Inlandsgeheimdienst nach wie vor weitgehend der parlamentarischen und bürgerrechtlichen Kontrolle. Ein wirksamer Schutz der Demokratie gegen die Bedrohungen von Rechts ist nicht durch die Stärkung von Geheimdiensten zu haben, sondern nur durch eine wachsame, demokratische und antifaschistische Zivilgesellschaft, deren anerkannter und oft geehrter Teil wir als Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes sind. Die Diffamierung unserer Organisation durch das bayrische Landesamt für Verfassungsschutz muss ein Ende haben. Antifaschismus ist Gemeinnützig.



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