Zum 100. Geburtstag von Günter Westerhoff am 26. März

Arbeiter, Dichter, Musiker

Paul Sielaff

„Günter Westerhoff gehört zu den bedeutendsten Arbeiterautoren der Gegenwart.“ Dies schrieb in den 1970er Jahren Walter Köpping, einst Leiter der Bildungsabteilung der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie. Köpping war auch Herausgeber des umfangreichen Standardwerks „100 Jahre Bergarbeiter-Dichtung“, das im Oberhausener Asso Verlag erschien. Damit die Würdigung Westerhoffs nicht einfach verblasst, sei aus Anlass seines 100. Geburtstages am 26. März an den Arbeiterschriftsteller erinnert.

„Die Arbeiterliteratur war immer ein Stiefkind“, sagte Günter Westerhoff, als ich ihn um das Jahr 2000 herum in seinem Wohnort Mülheim an der Ruhr besuchte. Zwar hatte er mittlerweile einige Werke veröffentlichen können, aber es war schon wieder ruhiger um ihn und andere Arbeiterschriftsteller der alten Bundesrepublik geworden. Doch Resignation war Günter Westerhoff fremd und so arbeitete er an seinen Kriegserlebnissen und anderen Werken. Immerhin: Seine Kriegserlebnisse konnte er im Jahr 2005 unter dem Titel „Zwangsvereidigt“ veröffentlichen.

Geboren wurde Günter Westerhoff 1923 in Essen. Volksschule, Schlosserlehre, Einberufung zur Wehrmacht, Arbeit als Grubenschlosser – zunächst ein Lebenslauf wie andere auch. Aber es gebe „Ausnahmemenschen, die über soziale Erfahrungen und zugleich über die Worte verfügen“, diese Erfahrungen aufzuschreiben, betonte Fritz Hüser, einer der wenigen Förderer der Arbeiterliteratur im Westen. Und zu diesen Menschen gehöre Günter Westerhoff. Dieser wirkte einst in der damals bekannten Dortmunder „Gruppe 61“ mit, zu der auch der ungleich bekanntere Max von der Grün zählte.

1966 erschien von Westerhoff ein schmales Bändchen „Gedichte und Prosa – Neue Industriedichtung“ im Recklinghäuser Paulus Verlag. Ein Jahr später war Westerhoff in der Anthologie „Seilfahrt“ vertreten. Darin stellte der Berliner Aufbau Verlag einige Autoren der „Gruppe 61“ vor. Annie Voigtländer wies in einem Nachwort darauf hin, dass die Literatur in Westdeutschland ein Thema ausspare, nämlich „den Arbeiter und seine Probleme, den Alltag des Menschen, der im Wesentlichen von der Arbeit bestimmt wird“.

Endlich dann im Jahr 1978 erschien der Einzelband „Vor Ort – Gedichte und Erzählungen eines Arbeiters“ im Asso Verlag. Günter Westerhoff präsentierte einen umfassenden Querschnitt seines Schaffens. Titel wie „Im Arbeitslärm“, „Akkordarbeit“, „Am Kohlenleseband“, „Alter Schlosser in der Nachtschichtpause“ oder „Bergleute der Jahrgänge um 1900“ stehen stellvertretend für die vielen Gedichte und Geschichten, die die Arbeitswelt zum Thema haben. In dem oben genannten Sammelband „100 Jahre Bergarbeiter-Dichtung“, der 1982 erschien, war Westerhoff dann noch einmal mit zahlreichen Werken vertreten.

„Es war nicht viel, was ich als Heimat hatte, Lokomotivengeheul von nah und weit und das Kolbenstampfen am Förderturm, das war mein stetig Schlaflied …“, schrieb Westerhoff, der allerdings politische Themen aussparte, einmal über seine Lebenssituation. Er war ein Arbeiterkind und selbst Arbeiter, der in mehreren Betrieben tätig war; er lebte in Arbeitersiedlungen in Essen und Mülheim. Den Anstoß zu schreiben beschrieb er so: „Da waren die Nachbarn in der Kolonie an der Zeche, auf deren Arbeitsleben schon immer meine Blicke gingen.“ 1980 erhielt der Arbeiterdichter für sein Werk den „Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaft“ der Stadt Mülheim.

Die Würdigung Günter Westerhoffs wäre unvollständig, würden wir nicht auch an seine musikalische Begabung erinnern. Er war ein hervorragender Bandoneonspieler, der mit herausragenden Musikern zusammen spielte. Hinzuweisen ist auf zwei Filme, die bei Youtube unter dem Titel „Bandonion“ zu sehen sind. Und zu guter Letzt sei an die Hörspiele „Ratten im Kanal“ und „Abkehr mit Martinshorn“ verwiesen, die ebenfalls von Günter Westerhoff stammen. Er starb am 15. Juli 2015 in seinem Wohnort Mülheim.

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"Arbeiter, Dichter, Musiker", UZ vom 31. März 2023



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