Zu Lukas Rietzschels Roman „Mit der Faust in die Welt schlagen“

Arbeitslos – Hoffnungslos

Von Rüdiger Bernhardt

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Lukas Rietzschel

Mit der Faust in die Welt schlagen

Roman

Berlin, Ullstein Buchverlage 2018

320 Seiten., 20,-Euro

Lukas Rietzschel, geboren 1994, sein Geburtsjahr ähnlich dem seiner Protagonisten Philipp und Tobias, bietet „Mit der Faust in die Welt schlagen“ als Autor ein überraschendes Debüt mit einem zeitkritischen Roman. Er beginnt 2000 und endet 2015 mit einem Brandanschlag. Eine organisierende Handlung ist in Ansätzen vorhanden; der Ablauf orientiert sich an ausgewählten historischen Ausschnitten und Vorgängen wie dem 11. September 2001, dem Hochwasser in Dresden 2002, den Pegida-Aufmärschen 2015 und anderen. Über solche Vorgänge verbindet sich der kleine Ausschnitt um Neschwitz in der Lausitz mit Sachsen, der Bundesrepublik Deutschland und der Welt. Zwar ist der Handlungsraum die Lausitz, also eine Gegend in der ehemaligen DDR. Aber geschildert wird eine Entwicklung, die sich hier zugespitzt und schnell vollzog, grundsätzlich aber charakteristisch für eine auf Kapital, Gewinn und Konkurrenzkampf gegründete Gesellschaft ist. Der Roman ist ein Versuch, „das Abrutschen einer Gesellschaft zu beschreiben und warum man sich von einer Gruppe, dem Staat, seiner Geschichte und seinen Idealen entfernt“.

Zwei Brüder, Philipp und Tobias, wachsen in der Lausitz auf, die Eltern bauen 2000 ein neues Haus, nachdem Philipp 1992 als Erster und 1995 Tobias als Zweiter geboren worden waren. Ein Leitmotiv begleitet ihre Entwicklung bis 2015: Das Schamottewerk, bestimmendes Bauwerk der Landschaft zu Zeiten der DDR und einst Zentrum des Arbeitens und Lebens, ist zu Beginn des Romans mit seiner „Ziegelesse, die nicht mehr rauchte“, zu sehen und am Ende stehen von ihm „was davon übrig geblieben war nach den Jahren“, ein paar Trümmer. Arbeitslosigkeit ist ein bestimmendes Merkmal der Region und taucht in den vielfältigsten Erscheinungen auf. Die Folge ist ein moralischer Verfall, bei dem Menschenleben und von Menschen Geschaffenes wenig wert sind; Vernichtung ist beherrschend. Die Nähe zu faschistischem Denken und Handeln entwickelt sich anscheinend logisch, ist aber nicht charakteristisch für den Osten nach 2000, sondern gehört mit der Arbeitslosigkeit zusammen. Sie ist generationsübergreifend: „Söhne, Väter, Großväter. Kamen gemeinsam nach Hause. Wurden gemeinsam arbeitslos.“ Daraus folgen Interesselosigkeit, Langeweile, Neid und Hass auf alles, was anders als sie selbst ist; das richtet sich gegen die Sorben, die dort sesshaft sind, und reicht bis zu ausländischen Flüchtlingen, die gerade ins Land kommen. Das gesellschaftlich bestimmende Verhalten wird von dem Faschisten Menzel bezeichnet und gab dem Roman den Titel: „Und dann will ich auf alles einschlagen, richtig rein mit der Faust, bis alles blutet. Der ganze Mist, den einfach keiner rafft.“ Für den radikal gewordenen Tobias ist die Zukunft erkennbar: „Es braucht mal wieder einen richtigen Krieg.“ Der Übergang ist fließend: Der Roman endet, als Tobias und Menzel die alte Schule, die längst außer Dienst gestellt wurde, unter Wasser setzen und sie gleichzeitig anzünden. Der Weg von der Arbeitslosigkeit in ein sinnloses Leben und zu menschenfeindlichem Verhalten, kriminell erscheinenden Taten und vernichtenden Vorhaben erscheint fast zwanghaft; kaum etwas führt zu Alternativen. Der Roman beschreibt auch keine Lösungen, er ist genaue Beschreibung, Chronik eines Verfalls mit dem Ergebnis der Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit und in dieser Genauigkeit eine Warnung.

Es handelt sich damit kaum um einen sogenannten „Wenderoman“, denn seit 1989 sind bei Handlungsbeginn zehn Jahre vergangen. Bedenkt man, was in anderen Zeitabständen zehn Jahr bedeuteten, so ist es ein Roman über das geeinte Deutschland. Um 2000 hatte sich die bundesdeutsche Wirklichkeit im Osten Deutschlands fest etabliert, ihre Manager und die Treuhand hatten die ostdeutsche Wirtschaft ruiniert oder angeeignet, völlig neue Verhältnisse geschaffen und die Ostdeutschen gezwungen, sich an eine Wirklichkeit zu gewöhnen, die viele so nicht gewollt hatten und die ihnen fremd war. Das Lebenswerte der Vergangenheit wurde als beschränkend denunziert, dafür eine einzige Größe eingesetzt: „Am Ende ging es immer ums Geld.“ Die einzigen großen Neubauten, die in dem Roman entstehen, sind Autohäuser. Zu diesem Zeitpunkt beginnt der Roman. Philipp und Tobias wachsen hinein und reagieren unterschiedlich darauf: Fast traditionslos – die Traditionen von einst wurden verdächtigt und totgesagt – werden ihre Interessen vom Hass auf alles Störende, alles Fremde bestimmt. Philipp zieht sich vereinsamend in sich selbst zurück, Tobias wird immer aggressiver.

Erzählt wird schnörkellos, schlicht, manchmal schlicht unliterarisch, auch brutal, das erinnert an Dialoge von Truman Capote, anderes an John Steinbeck, US-Autoren, die Rietzschel bevorzugt. Es entsteht der Eindruck, als vollziehe der Autor in der Sprache den Verfall mit: Unvollständige Sätze häufen sich, finite Verbformen sind weggelassen worden, die Verben selbst sind oft ohne sprachliche Kraft. Fäkalausdrücke werden ebenso verwendet wie diskriminierende Bezeichnungen und präzisieren Situationen und Verhalten. Das ist weniger kunstvoll als vielmehr die Wirklichkeit abbildend. Es gibt keine Erzählergestalt, das personale Erzählen ist aber unorganisch. Doch muss ein trister Stoff mit tristen Abläufen nicht zwingend durchgehend trist erzählt werden. Dabei hindert die Ablehnung des Autors gegen andere Literatur seine Erzählmöglichkeiten: Thomas Mann sollte man lesen, nicht nur der „Adligen“ (Rietzschel) willen, die Rietzschel ablehnt, die aber tatsächlich Bürgerliche sind, sondern um zu lernen, wie man erzählen könnte. Man muss nicht nachmachen, aber man sollte es wissen, wenn man das eigene Erzählen sucht. Sein Thema hat Rietzschel gefunden, anderes muss er noch lernen, es wird gelingen.

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Über den Autor

Rüdiger Bernhardt (Jahrgang 1940). Nach dem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, Skandinavistik und Theaterwissenschaft (Prof. Dr. sc. phil.) tätig an Universitäten des In- und Auslandes und in Kulturbereichen, so als Vorsitzender der ZAG schreibender Arbeiter in der DDR, als Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung (1994-2008) und in Vorständen literarischer Gesellschaften. Verfasser von mehr als 100 Büchern, Mitglied der Leibniz-Sozietät, Vogtländischer Literaturpreis 2018.

Er schreibt für die UZ und die Marxistischen Blätter Literaturkritiken, Essays und Feuilletons zur Literatur.

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"Arbeitslos – Hoffnungslos", UZ vom 1. Februar 2019



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