Auszüge aus dem Referat der 2. Tagung des DKP-Parteivorstandes zur Einschätzung der Krise

Auf dem Weg in die Verelendung

Am 19. und 20. September tagte der DKP-Parteivorstand im Essener DGB-Haus (UZ berichtete in der Ausgabe vom 25. September). Im Hauptreferat befasste sich Stephan Müller, Bildungsverantwortlicher der DKP Südbayern, mit den Auswirkungen der Krise auf die arbeitende Klasse und zog Schlussfolgerungen für die Aufgaben der Kommunisten in diesem Land. Im Folgenden dokumentieren wir einen Auszug. Das komplette Referat sowie weitere Materialien und die Beschlüsse der Tagung sind im „DKP-Intern“ zur 2. Tagung des Parteivorstands veröffentlicht, das online im Mitgliederbereich auf dkp.de abrufbar ist. Das Referat steht zudem auf unsere-zeit.de zur Verfügung.

Mit Hilfe der Krisenprogramme versuchen die Finanzoligarchie und ihre Regierung, die Krise nun in diesem Rahmen zu halten. Wirtschaftsminister Altmaier, der allerdings dafür bezahlt wird, ein optimistisches Bild zu zeichnen, hat vor zwei Wochen seine Schätzung vorgelegt, nach der das gelingen würde:

Der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts soll unter sechs Prozent bleiben. Dank der bereits vor Corona vorbereiteten Kurzarbeitsregelung ist die gemeldete Arbeitslosenzahl bisher nicht über 3 Millionen gestiegen. Von den gut 10 Millionen angemeldeten Kurzarbeitern waren bis zu 7 Millionen im April und Mai tatsächlich in Kurzarbeit geschickt worden. Damit war ein größerer Nachfrageeinbruch im Inland verhindert worden.

Die Nachfrage hängt aber in der BRD-Ökonomie zu etwa 50 Prozent am Export, angeführt vom Autoabsatz. Von dem wurde im 1. Halbjahr nach Schätzungen weltweit nur die Hälfte der bereits reduzierten Planung realisiert. Zwei Drittel des BRD-Exports bleiben in Europa, vor allem in den EU-Ländern. Daher stimmt die BRD den 750-Milliarden-EU-Hilfsmaßnahmen zu.
Weitere 15 Prozent des Exports gehen etwa je hälftig nach China und in die USA. Im so genannten „Handelskrieg“ der USA gegen China ist die BRD deshalb vorsichtig und muss auf baldige Stabilisierung in beiden Ländern hoffen. In den USA ist mit einem Ansteigen der Massenkaufkraft wegen der hohen Arbeitslosigkeit nicht zu rechnen, während die Autoverkäufe in China nach Ende des Lockdown wieder zunehmen.

Wie sieht es realistisch aus, ohne Altmaiers Optimismus?

Im Inland soll der Einbruch der Kaufkraft durch die Verlängerung der Kurzarbeitsregelung und der Insolvenzregelung stabilisiert werden. Die Größenordnung des Problems wird in folgenden Zahlen deutlich: 2009 hatten 25.000 Betriebe Kurzarbeit für gut 3 Millionen Kollegen angemeldet, von denen knapp 1,5 Millionen dann tatsächlich in Kurzarbeit geschickt wurden. Derzeit haben zirka 750.000 Betriebe über 10 Millionen zur Kurzarbeit angemeldet, von denen zwischen 3 und 7 Millionen dann tatsächlich kurzarbeiten. (…)

Von den etwa 5 Millionen kleinen Selbstständigen und Kleinbetrieben stehen nach Schätzungen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform knapp eine Million vor dem Aus, wenn die Regeln zur Insolvenzanmeldung ab 1. Oktober beziehungsweise für Überschuldung ab 1. Januar wieder in Kraft treten.

Für große Unternehmen erhöht der Bund den Garantierahmen zur Kreditabsicherung um 357 Milliarden Euro auf nun 820 Milliarden Euro. Dazu kommen Steuergeschenke. Auch dadurch gehen die Steuereinnahmen zurück. Die Steuerlast wird in der BRD allerdings zu etwa zwei Dritteln mit der Lohn- und Umsatz- beziehungsweise Mehrwertsteuer von der Masse der Bevölkerung getragen, die so schon letztlich die Hilfspakete für die Kapitalisten finanzieren wird. Das Kurzarbeitsgeld wird sogar aus unseren eigenen Sozialkassen bezahlt, bis die leer sind, geschätzt Ende des Jahres.

Zunächst wird der Bund zur Finanzierung der „Rettungspakete“ neue Kredite in Höhe von über 200 Milliarden Euro aufnehmen, das entspricht fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2019. Die Maßnahmen der Bundesländer kommen hinzu. (…)
Das „Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket“ des Koalitionsausschusses vom 3. 6., das so genannte „Eckpunktepapier“, trägt den Titel „Corona-Folgen bekämpfen, Wohlstand sichern, Zukunftsfähigkeit stärken“. Wer fragt, wessen Wohlstand, wessen Zukunft, erhält die Antwort in der programmatischen Einleitung: „Dazu bedarf es nicht nur der Reaktion auf die Auswirkungen der Krise, sondern viel mehr eines aktiv gestalteten innovativen Modernisierungsschubs … Diese Krise wird einschneidende Veränderungen bewirken, Deutschland soll gestärkt daraus hervorgehen.“

Die geänderten Machtverhältnisse in der deutschen Finanzoligarchie und im Rahmen der Gesamtstrategie des deutschen Imperialismus werden sichtbar. Macht verteilt sich nach Kapitalkraft, das heißt nach erwarteten zukünftigen Marktanteilen und Gewinnen. Auf der Kapitalstärke bauen die Netzwerke der Finanzoligarchie auf, mit denen sie die Gesellschaft überzogen haben. Überraschend ist die Zielrichtung insgesamt nicht: In den bisherigen Krisenzyklen nach 1945 ist es dem deutschen Imperialismus jedes Mal gelungen, innerhalb Europas stärker als die Konkurrenten herauszukommen. Im weltweiten Rahmen stellt sich zunehmend die Frage nach der relativen Stärke der EU im Verhältnis zu den USA und China.

Das optimistische Szenario von Altmaier wird natürlich auch nicht von allen bürgerlichen Ökonomen geteilt. Das Handelsblatt Research Institute (HRI) prognostizierte zum Beispiel im Juni trotz all der Regierungsmaßnahmen für 2020 in der BRD einen Rückgang des BIP von 9,0 Prozent, einen Rückgang an Ausrüstungsinvestitionen von 13,6 Prozent und einen Einbruch des Exports um 20 Prozent. Wegen der Wahlen 2021 empfahl man, zumindest bis dahin das Kurzarbeitergeld zu verlängern, um Massenarbeitslosigkeit zu vermeiden, was inzwischen erledigt ist, und ein Hilfsprogramm zum Mieterschutz aufzulegen gegen Massenobdachlosigkeit. Das darf man im SPD-Wahlprogramm erwarten.

Wegen der zwei Schwachpunkte der BRD-Wirtschaft, Abhängigkeit vom Export und der Autoindustrie, ist mit einer Stabilisierung auch im nächsten Jahr eher nicht zu rechnen. BDI und DGB fordern bereits wieder einträchtig Krisenprogramme vom Staat, mindestens 500 Milliarden, unter dem bewährten Propaganda-Titel „Digitalisierung und Dekarbonisierung“. Inzwischen sind auch die Grünen auf dieses Trittbrett gesprungen und fordern vom Staat, nicht so bald zur schwarzen Null zurückzukehren und stattdessen ebenfalls ein 500-Milliarden-Programm für die nächsten Jahre. (…)

Bei der Aufteilung der Milliarden zeigt sich, dass die Absicherung der Monopole und da wieder schwerpunktmäßig der Digitalmonopole so weit im Vordergrund standen, dass die systemabsichernde Eindämmung der Arbeitslosigkeit, der Masseninsolvenzen und Massenobdachlosigkeit durchkreuzt wurde.

Dazu einige Fakten: Die etwa 31 Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der BRD arbeiten in etwa vier Millionen Betrieben. Von den 31 Millionen sind aber nur 3,6 Millionen in den nur gut 4.000 so genannten Großbetrieben des verarbeitenden Gewerbes, das sind die mit mehr als 250 Beschäftigten. Die Rettung dieser Betriebe stand bei den Maßnahmen im Vordergrund. Dort ist auch die Mehrzahl der Kollegen gewerkschaftlich organisiert, vor allem in der IG Metall. Die anderen etwa 7 Millionen in der verarbeitenden Industrie sind in den kleineren Betrieben, inklusive Bau. Etwa 10 Millionen Kolleginnen und Kollegen sind in Handel, Transport und Gastronomie beschäftigt, auch im Wesentlichen in Kleinbetrieben, bei denen ab Herbst Insolvenzwellen erwartet werden. Rund 10 Millionen Haushalte sind bei einem Einkommensverlust von 100 bis 200 Euro im Monat in Gefahr, die Miete beziehungsweise Kreditzinsen für die Wohnung nicht mehr bezahlen zu können.

Wenn mit den Staatsmilliarden die Abwärtsspirale nicht aufgehalten wird, ist ein pessimistisches Szenario anzunehmen mit einem BIP-Einbruch in der BRD von vielleicht 20 Prozent, das hieße dann auch ein Wegbrechen eines großen Teils der produzierenden Industrie mit weiteren Folgen für die anderen Bereiche der Wirtschaft. Das würde Erwerbslosigkeit für weitere Millionen in der Arbeiterklasse bedeuten, noch mehr Millionen ruinierte Kleinbürger, Börsencrash, Eurokrise, Systemkrise und entsprechende Notstandsmaßnahmen. Deutlicher als je, seit der deutsche Imperialismus sein Überleben an der Seite des US-Imperialismus 1949 durch die Spaltung Deutschlands sicherte, zeigt sich seine Überlebtheit, seine Angreifbarkeit und dass alle materiellen Voraussetzungen geschaffen sind, um dieses mörderische System zu überwinden. Das ist den Herrschenden durchaus bewusst, wie in den bekannt gewordenen Strategiepapieren aus Regierung und Kapital deutlich wird.

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"Auf dem Weg in die Verelendung", UZ vom 2. Oktober 2020



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