Vor 50 Jahren wurde der MSB Spartakus gegründet

Bewegt und lehrreich

Soll man an das 50. Gründungsdatum einer Organisation erinnern, die seit 30 Jahren nicht mehr existiert? Die weitaus meisten, die mal im Marxistischen Studentenbund (MSB) waren, denken gern an diese Lebensphase zurück, oft sogar mit Stolz. Der mit der DKP solidarisch verbundene MSB Spartakus war eine Kraft, die etwas bewegte. Beim Gründungskongress am 21. Mai 1971 vertraten 218 Delegierte etwa 45 Gruppen und 1.000 Mitglieder. In den 1970er Jahren hatte der MSB 6.500 Mitglieder und Gruppen an fast allen Hochschulen der BRD. Er war vielfach in den gewählten Organen der Studierenden vertreten, von der Fachschaft vor Ort bis zum Dachverband VDS.

Die Herausbildung des Spartakus fiel in eine Phase der Umgruppierung der Studentenbewegung. Er ging aus dem „Traditionalisten“-Flügel des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) hervor. Im SDS dominierten 1967 bis 1969 die Antiautoritären, die es verstanden, handelnd voranzugehen, Aktion mit Aufklärung zu verbinden. Nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze und in einer Zeit neuer Hochschulgesetze, die das Ende der Ordinarienherrschaft und mehr Einfluss von Staat und Kapital brachten, hatte sich die Lage geändert. Die antiautoritären Strategien hatten sich erschöpft. Immer mehr Studenten schwante, dass grundlegende Veränderungen nur an der Seite der Arbeiterklasse erreichbar waren. „Kapital“-Schulungen, Projekte zur „Klassenanalyse der Intelligenz“ und zur „revolutionären Berufspraxis“ erhielten massenhaften Zulauf.

Im Bündnis mit der Arbeiterklasse

Der Spartakus ging von der Analyse aus, dass sich im Zuge der wissenschaftlich-technischen Revolution große Teile der Intelligenz in ihrer Lage an die Lage der Arbeiterklasse annähern. Schon im Studium mussten künftige Angehörige der lohnabhängigen Intelligenz das Bündnis mit der Arbeiterklasse suchen. Gemeinsamer Gegner war das Monopolkapital. Es war Hauptprofiteur und Triebkraft von Sozial- und Demokratieabbau, reaktionärer Hochschulformierung, Aufrüstung, Militarisierung und Neokolonialismus. Dagegen waren die sozialistischen Länder eine Stütze im Befreiungskampf. Es galt, die Macht des Monopolkapitals zu überwinden.

Dialektik von Reform und Revolution

Teile des Monopolkapitals benutzten den Schwung der 1968er-Bewegung, um den Reformstau aus 20 Jahren CDU-geführter Regierungen aufzulösen. Die Produktivkraftentwicklung erforderte den Ausbau des Bildungs- und Hochschulwesens. Zugeständnisse bei der Mitbestimmung zielten auf die Einbindung von Hochschulangehörigen in die Umsetzung einer technokratischen Hochschulreform. In dieser Situation war die Dialektik von Reform und Revolution zu beachten. Gestützt auf den Massenkampf mussten Mitbestimmungsrechte genutzt werden, um demokratische Lehrinhalte durchzusetzen. Zugleich war der Hauptstoß gegen die Rechtskräfte zu richten, die jeden kleinen Fortschritt zurückzudrehen suchten.

Die „sozialliberale“ Regierung Brandt/Scheel war angetreten, um überfällige Reformen einzuleiten. Dazu gehörte die Anerkennung der Ostgrenzen. Das Kolonialsystem war zusammengebrochen. Die befreiten neuen Staaten erkannten die DDR an. Die BRD drohte sich international zu isolieren. Revanchisten und CDU/CSU liefen Sturm gegen die „neue Ostpolitik“. Am 24. April 1972, dem Tag des Misstrauensvotums gegen Brandt, gingen Zigtausende Studenten und Arbeiter in vielen Städten der BRD gegen den Sturz der Regierung Brandt/Scheel und für die Ratifizierung der Verträge von Moskau und Warschau auf die Straße.

Radikalenerlass und Berufsverbote

Die kurze „Reformära“ unter Brandt war reformistisch und repressiv zugleich. Der Hamburger Senat lieferte die Vorlage für den berüchtigten „Radikalenerlass“ der Innenministerkonferenz 1972. Die SPD hielt es für nötig, „zu dokumentieren, dass außenpolitische Realpolitik, d. h. Verständigung mit dem Osten, keinesfalls identisch mit einem besseren inneren Verhältnis zu Kommunisten sei“, so der Politikwissenschaftler Thränhardt zur Funktion der Berufsverbote. Dem Sozialistischen Hochschulbund (SHB) verbot die SPD-Führung, sich sozialdemokratisch zu nennen. Trotz Berufsverbot und Repression erstarkte der MSB Spartakus in der Interessenvertretung und Organisierung des studentischen Massenkampfs mit antimonopolistischer Stoßrichtung.

Die Krise 1974/75 veränderte die Kampfbedingungen grundlegend. Der materielle Spielraum für Zugeständnisse wurde enger. Im Bildungsbereich regierte der Rotstift. Die Studentenzahlen verdreifachten sich von 1970 bis 1983, aber Bildung sollte möglichst wenig kosten. Für die Studentenbewegung trat die Abwehr von Verschlechterungen in den Vordergrund. In einem Klima der Unsicherheit und Skepsis verliefen Mobilisierungen zäh, mussten gegen Widerstände abwiegelnder JuSos mit überzeugenden Argumenten von unten durchgesetzt werden. Zugeständnisse der Regierenden blieben meist aus. Dennoch steigerten sich die Sternmärsche und Aktionstage der Jahre 1974 bis 1976 bis zum nationalen Studentenstreik im Wintersemester 1977/78. Zehn Jahre nach 1967 entdeckten die Konzernmedien eine „neue Studentenbewegung“.

1982 wollte Kohls „geistig-moralische Wende“ den Geist von 1968 vertreiben. Zeitgleich thematisierten „neue soziale Bewegungen“ die ökologische Krise, die AKW-Frage, die Frauenunterdrückung und Minderheitenrechte. Viele diagnostizierten eine Krise des Marxismus, der diese Fragen bisher vernachlässigt habe. In den akademischen Mittelschichten galt die „alte soziale Frage“, der ungelöste Gegensatz von Arbeit und Kapital, zunehmend als obsolet. Im Kampf gegen die Raketenstationierung gelang es noch einmal, das demokratische Potential in einer großen Friedensbewegung zu vereinen, die sich mit zahllosen Friedensinitiativen von unten entwickelte und auch die neue Partei „Die Grünen“ und die SPD einbezog.

Abwärtssog traf MSB besonders stark

Die Studentengenerationen nach der Krise 1974/1975 kannten keine sprunghaften Fortschritte, sondern nur den Abwehrkampf gegen stets neue Schübe der Rechtsentwicklung. Die Hoffnung auf die gesellschaftsverändernde Rolle der Arbeiterklasse ließ nach. Die Arbeiterbewegung steckte selbst eine Niederlage nach der anderen ein. Im Strukturwandel verlor sie kämpferische Sektoren. Der im Kampf um die 35-Stunden-Woche erreichte Kompromiss brachte zwar Arbeitszeitverkürzung, öffnete aber auch das Tor für Flexibilisierungen. Vielen erschienen jetzt die Grünen attraktiver, die damals als links galten und bei Wahlen auf Anhieb an der DKP vorbeizogen.

Der Hamburger Parteitag der DKP im April 1986, wenige Tage nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl, zeigte den tiefen Riss in der Partei. Von da an nahmen Stagnation, Austritte und Abspaltungen ihren Lauf. Dann kam mit dem Zusammenbruch des Sozialismus in Europa der schwerste Rückschlag. Er schwächte alle Linken nachhaltig. Die herrschende Klasse nutzte die Abwicklung und Deindustrialisierung der DDR für eine massive Welle der Prekarisierung. Die Spaltungen unter Lohnabhängigen nahmen zu und wurden tiefer.

Der MSB litt schon in den späten 1980er Jahren unter Mitgliederschwund und Überalterung. Der Abwärtssog traf ihn besonders hart. Das Einschwenken auf den Gorbatschowismus beschleunigte den Zerfall. Die Perestroika scheiterte noch vor der Auflösung des MSB. Bei 41 anwesenden von 57 gewählten Delegierten auf dem letzten Bundeskongress im Juni 1990, die noch ungefähr 500 Mitglieder aus 16 Orten repräsentierten, stimmten 34 für die Auflösung, vier dagegen, drei enthielten sich.

In den 1980er Jahren sahen bürgerliche Meinungsforscher ein nach links verschobenes Kräfteverhältnis an den Hochschulen. Zur heutigen Realität gehört die Hegemonie der Ideologie der „neuen sozialen Bewegungen“ und der Grünen in den Universitätsstädten und in weiten Teilen der lohnabhängigen Intelligenz und der akademischen Mittelschichten. Die maoistischen K-Gruppen der 1970er Jahre lösten sich in die Grünen auf. Die Grünen selbst mutierten zu einer neoliberalen NATO-Partei, die heute ähnlich wie die SPD nach Godesberg als potentielle Juniorpartnerin der Hauptpartei des Monopolkapitals CDU/CSU fungiert.

Gemessen an der antiimperialistischen 1968er-Bewegung ist dies eine deutliche Verschiebung nach rechts. War unsere Analyse zur Entwicklung der Klassenlage der Intelligenz zu optimistisch? Wie bei der Arbeiterklasse muss zwischen der Masse und den kleineren Segmenten privilegierter Aufsteiger aus der sozialen Schicht Intelligenz differenziert werden. Zudem führt eine objektiv nichtmonopolistische Lage nicht spontan zu linkem Bewusstsein. Linksentwicklung erfordert in der Arbeiterklasse wie in der Intelligenz das aktive Wirken marxistischer Kräfte. In diesem Sinn war der MSB Spartakus ein lehrreiches Beispiel antimonopolistischer Bündnispolitik der DKP.

Unsere Autorin war Mitbegründerin des MSB Spartakus und von 1977 bis 1979 dessen Vorsitzende.

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Über die Autorin

Beate Landefeld (Jahrgang 1944) ist Hotelfachfrau und Autorin.

Landefeld studierte ab 1968 Literaturwissenschaft und Soziologie an der Universität Hamburg, war Vorsitzende des Allgemeinen Studentenausschusses, Mitbegründerin des MSB Spartakus. 1971-1990 war sie im Parteivorstand der DKP, 1977-1979 Bundesvorsitzende des MSB Spartakus, später auf Bezirks- und Bundesebene Funktionärin der DKP.

Landefeld ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter. 2017 veröffentlichte sie bei PapyRossa in der Reihe Basiswissen das Buch „Revolution“.

Für die UZ schreibt Landefeld eine monatliche Kolumne.

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"Bewegt und lehrreich", UZ vom 21. Mai 2021



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