Blick in die Sackgasse

Kolumne von Lucas Zeise

Lucas Zeise

Lucas Zeise

Japan ist exotisch. Da hat die Führung des Unternehmerverbandes Keidanren (entspricht in Deutschland einer Kombination von BDA und BDI) den bei ihr organisierten Großkonzernen empfohlen, im kommenden Jahr 2016 die Löhne für ihre Arbeiter stärker zu erhöhen als im laufenden Jahr, als der durchschnittliche Lohnzuwachs 2,52 Prozent betragen habe. Dabei muss man wissen, dass die Inflation in Japan seit Jahren minimal, manchmal sogar leicht negativ ist. Spinnen die japanischen Bosse?

Natürlich. Aber nicht mehr als die unsrigen. Der japanische Unternehmerverband folgt den Anweisungen oder Empfehlungen des seit drei Jahren erfolglos amtierenden Premierministers Shinzo Abe. (Vielleicht folgt auch Abe dem Keidanren. Das ist wie in Deutschland, nicht immer ganz klar.) Abes Plan war es, das in der Dauerstagnation verharrende Land wieder in Fahrt zu bringen, indem der Staatshaushalt sich massiv bei der Notenbank verschuldete, ein großes Ausgabenprogramm (in Rüstung und Infrastruktur) aufgelegt und der Yen zur Förderung des Exports verbilligt wurde. Danach sollte die Staatsverschuldung (von zurzeit 245 Prozent des BIP) abgebaut werden – durch eine Verdoppelung der Mehrwertsteuer in zwei Schritten von fünf auf zehn Prozent. Die Mehrwertsteuererhöhung sollte auch die Inflation auf zwei Prozent anheben. Der sinkende Yen verschaffte tatsächlich den exportorientierten Großunternehmen steigende Umsätze und Gewinne. Der erste Teil der Mehrwertsteuererhöhung im April 2014 fraß die Kaufkraft der Lohnabhängigen und Rentner. Die Inflationsrate sprang hoch, der Absatz von Konsumgütern aller Art brach ein. Die Lage ist jetzt schlimmer als zuvor. Herr Abe sah sich veranlasst, den zweiten Teil der Mehrwertsteuererhöhung von 2016 auf 2017 (oder nie) zu verschieben.

Der Appell an die Unternehmer, die Löhne deutlich zu erhöhen, ist deshalb ein Akt der Verzweiflung. Die exportstarken Großkonzerne können sich zwar die bessere Bezahlung eines Teils ihrer Arbeiter gut leisten. Die breite Masse der Lohnabhängigen aber wird davon nicht nennenswert profitieren. Die Spaltung der Arbeiterklasse in einigermaßen gut Bezahlte und Niedriglöhner ist in Japan schon länger Praxis. Wenn Toyota und Mitsubishi die Löhne in den noch in Japan verbliebenen Fabriken anheben, wird das die effektive Nachfrage nach Konsumgütern im ganzen Land nicht nennenswert anheben – genauso wenig, wie die Sonderzahlungen für einen Teil der Beschäftigten bei Daimler, VW, Porsche und BMW die deutsche Konjunktur vorangetrieben haben.

Japan ist in mancherlei Hinsicht ähnlich wie Deutschland zum Beispiel in der radikalen Ausrichtung der Wirtschaftspolitik auf die Förderung des Exports. Der Binnenmarkt wird dagegen in beiden Ländern stark vernachlässigt. Die Wirtschaftskrise im Gefolge des Crash am Finanzmarkt kam in Japan früher als im Rest der Welt. Das exotisch wirkende Land ist schon tiefer in die Sackgasse gefahren, aus der nur eine radikale Kehrtwende herausführt.

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Über den Autor

Lucas Zeise (Jahrgang 1944) ist Finanzjournalist und ehemaliger Chefredakteur der UZ. Er arbeitete unter anderem für das japanische Wirtschaftsministerium, die Frankfurter „Börsen-Zeitung“ und die „Financial Times Deutschland“. Da er nicht offen als Kommunist auftreten konnte, schrieb er für die UZ und die Marxistischen Blättern lange unter den Pseudonymen Margit Antesberger und Manfred Szameitat.

2008 veröffentlichte er mit „Ende der Party“ eine kompakte Beschreibung der fortwährenden Krise. Sein aktuelles Buch „Finanzkapital“ ist in der Reihe Basiswissen 2019 bei PapyRossa erschienen.

Zeise veröffentlicht in der UZ monatlich eine Kolumne mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspolitik.

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"Blick in die Sackgasse", UZ vom 11. Dezember 2015



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