Das inoffiziell Irrationale: „CON5P1R4.CY“ am Theater Bremen

Böse Selbstbefriedigung

Schwarzpädagogisch sitzt man am 22. Januar im Saal des „Jungen Theaters“ Bremen in weißen Stühlen und wird in eine gerade Rückenposition gezwungen. Das Hartplastematerial macht so laute Geräusche, wenn man sich bewegt und mit dem Reißverschluss dagegen kommt, dass man sich keine Rührung mehr traut. Die Lehne reicht bis über den Kopf und links und rechts hat sie Ohren, dass man nicht rüberspicken kann, was die neben einem macht. Pandemiebedingt hält man eh viel Abstand auf den vier kleinen Tribünen, in deren Mitte sich eine schwarze Drehbühne befindet. Darüber hängen asymmetrische Bildleinwände.

Die Zahl der Tribünen entspricht der Zahl der Darstellenden, alle vier tragen Schafskostüme. „Schlafschafe“, die bald Elon Musk absprechen, Monopolkapitalist zu sein und ihm andichten, er sei so etwas wie Satan, nur schlimmer, weil da.

Bevor es losgeht, noch etwas weiße Pädagogik, Warnhinweise ans Publikum: „Wir werden euch manipulieren.“ Im Gespräch zwischen Dramaturg Sebastian Rest und Regisseur Konradin Kunze über „CON5P1R4.CY“, das bereits 2020 premierte, lange aber nur online gezeigt und jetzt wieder auf der Bühne aufgeführt wird, betont Kunze, man sei sich der Gefahr bewusst, mit dem Stück „Verschwörungsgläubige in ihrer Weltsicht (zu) bestätigen“. Dass das Stück dagegen einen Erziehungsanspruch hat, trägt es nach außen und ist explizit für ein jüngeres Publikum, ab 14 Jahren, gedacht. Am Abend selber sind unter dem Publikum nur wenige aus der Zielgruppe, dafür ein erstes Date mit ungleichen Redeanteilen im Vorraum.

Geredet wird auf der Bühne viel, verteilt und oft parallel, das Körperliche hat Nachrang, geht teils ganz. Wenn Darsteller Fabian Eyer den Saal verlässt, nachdem er sein Schafskostüm gewendet hat und sich in Camouflage auf die Fahrt zu einem Attentat macht, dann sehen wir das auf einem Bildschirm. Als Anne Sauvageot die Erklärbärin gibt und aus dem Off kommentiert, was die drei anderen des Ensembles an Verschwörungsnarrativen von sich geben, geschieht das körperlos: man setzt sich dafür nur ein paar Stereokopfhörer auf, wie im Museum.

Die kommentierte Version bekommt man als Ergebnis einer Entscheidung: schluckt man die rote oder die blaue Pille? Die gibt es am Abend physisch nicht, weil Corona. Das ist schade, denn das bis zum gesamtgesellschaftlichen Erbrechen breitgetretene schiefe Hauptbild aus „Matrix“, der jüngst mit „Resurrections“ seine dritte Fortsetzung erfuhr, wäre damit auf die Stufe erniedrigt, auf die es gehört: Friss die blaue Pille und leb‘ dein Leben im Falschen, nimm die rote und schau die Welt hinter den Spiegeln. Uff. Neo könnte sich verweigern und die von einem wahrscheinlich zivilpolizeilich Aktiven feilgebotenen Apothekenpröbchen ausschlagen oder er könnte wenigstens darüber nachdenken, beide gleichzeitig einzuschmeißen und zu schauen, was passiert. „Dann wäre der Film nach 29 Minuten vorbei“, heißt es im Stück. Das will ja keiner.

Schlecht geschrieben sind Verschwörungserzählungen selbst allemal: Was soll es da für Eliten geben, die die Geschicke der Welt lenken und sich dabei vor der von ihnen diktierten Welt in den Hinterzimmern zu verkriechen brauchen? Wie viel unnütze Kraft an Produktivität und Propaganda braucht es, um eine Nebelwand hochzuziehen, die die faktische, in einer Klassengesellschaft bei Tageslicht waltende Macht- und Besitzverteilung zum bloßen Zwischenbau nutzen und dahinter emsig und aus bösmotivierter Selbstbefriedigung heraus Strippen ziehen?

„Wer sind denn die Bösen?“, fragt ein Viertel des Ensembles, herausgetreten aus dem Kreis, und die Truther (soghafte Abgeklärtheit, unter der Wahnsinn nur durch die Starre der Augen ins Äußere schlüpft: Frederik Gora) und Influencerinnen (samt Insta-Filtern: Judith Goldberg) stocken. Was schon mit ihrer Anthroposophie dämlich menschelt, hängt sich da auf, wer der allen fremde Feind der ohne sie einträchtig miteinander schmusenden Menschengemeinde denn nun genau ist.

Die wenigsten Verschwörungsideologen sagen es, „aber gemeint sind immer ‚die Juden‘“, heißt es gegen Ende des Stücks, die Anführungszeichen gestisch hervorgehoben.

Die antisemitischen Pogrome und rassistischen Anschläge aus 2000 Jahren – nicht wenige aus den letzten vier, fünf – die letztlich aufgelistet werden, überwältigen. Das Ende wird nicht herbeigehandelt. „CON5P1R4.CY“ ist postdramatisch, ohne Figuren, die Konflikte untereinander austragen, weil sie für ihr jeweiliges Interesse stehen. Ein Zwischenspiel, indem sich eine schockiert zeigt vom geistigen Zustand der Freundin, die etwas Großes entdeckt haben will, geht als kleiner Nebenfaden ins Leere der versprengt lebenden Internetgesellschaft: „Du kannst mir das nicht verbieten, du kannst mich höchstens blocken.“

Nur mit der Stimme aus dem Off mag man freundeln – und fühlt sich in seiner Naivität ertappt: Die Aura der Amtlichkeit, der man Faktizität und Philantropie abnimmt. Amtlichkeit auch: der damalige US-Präsident Trump erklärt den systemischen Gegner China im Premierenjahr von „CON5P1R4.CY“ zum Corona-Labor. Auch 2020: der Mythos des Marktes, den die FDP anbetet, hat auch Einzug in die sogenannten „Hygienedemos“ gefunden, heute verwaltet sie als Mitregierung gewollten Mangel an PCR-Tests. Für Leugnungen der Gefährlichkeit von Covid-19 muss man nicht erst montags an Spaziergängen teilnehmen – oder sie bepöbeln. Es reicht, das geplante Versagen des Staates als Ausdruck eines über seine Haltbarkeit hinaus ins offiziell Irrationale abstürzende System zu beobachten. Nichts davon passiert nur nachts.


CON5P1R4.CY (Keine Zufälle)
Theater Bremen, nächste Vorstellungen: 3. 2., 4. 2., 5. 2.


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Über den Autor

Ken Merten (seit 1990) stammt aus Sachsen. Er hat in Dresden, Hildesheim und Havanna studiert. Seine Schwerpunkte sind die Literatur der Jetztzeit, Popkultur und Fragen von Klassenkampf und Ästhetik. 2024 erschien sein Debütroman „Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist“ im Berliner XS-Verlag.

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"Böse Selbstbefriedigung", UZ vom 4. Februar 2022



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