Bunt und großdeutsch: Regierung lässt Mauerfall feiern

Bojen im Mainstream

Von OM

Orchester und Projektoren, Installationen und Präsidenten, Zeitzeugen und Dokumentationen: Es ist der große Rummel, den Behörden und Medienkonzerne veranstalten, um feiern zu lassen, dass vor 30 Jahren die DDR ihre Grenze öffnete und der Weg frei war für D-Mark, Treuhand und großdeutsche Begeisterung. Damals glaubten irgendwelche Bürgerrechtler noch, nun könne sich die DDR als unabhängiger Staat erneuern. Nur, die Geschichte richtete sich mehr nach den Kräfteverhältnissen als nach frommen Wünschen – Mauerfall hieß Kolonisierung.

Der Rummel schmiert jeden Riss zu, den soziale Widersprüche in dem Bild aufplatzen lassen, das das dreißigjährige Großdeutschland als frei, freundlich, mutig und offen zeigt. Eine ganze „Festivalwoche“ veranstaltet der Berliner Senat.

Dass eine Landesregierung ein Budget von 10 Millionen Euro bereitstellt, um PR-Leute ein Festival des Antikommunismus organisieren zu lassen, hat natürlich nichts mit staatlich verordneter Meinungsmache zu tun. Schließlich drückt sich die Meinungsfreiheit darin aus, dass die immer gleichen Sonderbeilagen und -sendungen der Medienkonzerne und des Staatsfernsehens die Regale und Mediatheken verstopfen. Die Meinungsfreiheit drückt sich darin aus, dass sozialdemokratische Politiker mal fragen dürfen, ob das Etikett „Unrechtsstaat“ die DDR wirklich so genau beschreibt – solange man sich einig ist, dass sie in jedem Fall sehr schlecht und unfrei war.

Die gefühligen Geschichten der „Zeitzeugen“ sorgen in der Mauerfall-Euphorie dafür, jede Frage nach den wirklichen Zusammenhängen der Geschichte zu verstellen: Warum sagte selbst US-Präsident John F. Kennedy, ohne die Mauer hätte es Krieg geben können? Was hatten die alten Nazis, Konzernherren und US-Vertreter damit zu tun, dass im Osten Deutschlands der West-Parlamentarismus für wenig demokratisch gehalten wurde? Waren das Gefühl sozialer Sicherheit, von Gleichberechtigung und Stolz am Arbeitsplatz wirklich nur eine Nische im totalitären DDR-System, waren Treuhand-Entlassungen und Angst um den Arbeitsplatz die Freiheit, von der die Zonen-Brüder und -Schwestern geträumt hatten?

Die Eventmanager haben der vereinigten Feierei in Berlin die passenden Symbole entworfen: 30 000 Bänder ließen sie vor dem Brandenburger Tor aufhängen, darauf Wünsche von 30 000 Menschen. Die Botschaft: Heute dürfen wir haben, was im SED-Regime unmöglich war: Individuelle Träume. Darf es noch platter sein? Neon-Leuchtstoffröhren, auf Bojen montiert, markieren den Verlauf der DDR-Grenze auf der Spree. Hübsch – die richtige Deko dafür, dass uns der Bundespräsident am Samstag erklären kann, dass das vereinigte Großdeutschland Grund zur Freude ist und wir uns wegen ein bisschen Armut und Unsicherheit, wegen ein paar Nazis und Kriegen nicht so anstellen sollen.

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"Bojen im Mainstream", UZ vom 8. November 2019



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