In „Y: The last Man“ sterben die Männer aus

Da waren‘s nur noch Frauen

In der von Autor Brian K. Vaughan und Zeichnerin Pia Guerra erdachten und zwischen 2002 und 2008 bei Vertigo erschienen Comic-Serie „Y: The last Man“ kommt die Apokalypse anders daher als normalerweise in diesem Genre. Keine Zombies. Kein Komet, der auf die Erde zurast. Keine Naturkatastrophe. Keine Außerirdischen. Kein saurer Killerregen, kein Atomkrieg. Innerhalb weniger Stunden sterben in der nun von Produzentin Eliza Clarke für FX als Serie verfilmten Geschichte alle Männer. Männliche Tiere, Föten, Spermien – alles mit einem Y-Chromosom ist tot. Und in der Folge wird das Leben für die überlebenden Frauen schnell unerträglich. Und es ist nicht die Trauer, die jede nun empfindet, die die Gesellschaft innerhalb von Tagen ins Wanken bringt. Es ist der Sexismus, der Frauen bisher von Schlüsselpositionen der Gesellschaft ferngehalten hat: Zum Zeitpunkt des Erscheinens des Comics waren 95 Prozent der Menschen, die Flugzeuge steuern, Männer – am Tag der Katastrophe stürzen sie zuhauf vom Himmel. Kaum Ingenieurinnen bedeutet keine funktionierenden Kohle-, Wasser- oder Atomkraftwerke und damit keinen Strom, kaum Landbesitzerinnen bedeutet kaum noch Lebensmittelproduktion, kaum Lkw-Fahrerinnen bedeutet kaum Transporte der knappen Güter und wenig Wissenschaftlerinnen in Spitzenpositionen bedeutet kaum eine Chance, der Ursache für die Katastrophe auf die Spur zu kommen.

Und so sitzen dann die übriggebliebenen Frauen im Weißen Haus um die bisher unbedeutende Kongressabgeordnete Jennifer Brown (Diane Lane), die aus Mangel an männlicher Konkurrenz auf einmal Präsidentin ist, und zucken – anders als ihre männlichen Apokalypsen-Darstellerkollegen – nicht mit den Schultern, um cool einen Angriff auf irgendwen oder was zu befehlen, auch wenn schon der Zombie an der eigenen Schulter nagt. Nein, sie sitzen da und fragen sich, was zum Henker sie denn nun bitte tun sollen.

Ein Mann hat die Apokalypse allerdings überlebt. Yorick (Ben Schnetzer) hat bisher versucht, sich als Zauberkünstler durchzuschlagen und ist rein zufällig der Sohn von Neu-Präsidentin Brown. Zusammen mit Agent 355 (Ashley Romans), die den letzten Mann auf der Welt beschützen soll, und seinem ebenfalls männlichen Kapuzineräffchen macht er sich auf den Weg zu Dr. Allison Mann (Diana Bang), einer Genetikerin, die herausfinden könnte, warum er nicht gestorben ist und so das Aussterben der Menschheit aufhalten könnte. Und auch auf der ISS halten sich zwei Astronauten auf, die dem Schicksal ihrer Artgenossen entgangen sein könnten.

„Y: The last Man“ stellt viele Fragen danach, warum die kapitalistische Gesellschaft so funktioniert, wie sie ist, ohne sie zu beantworten. Ganz dem aktuellen Trend entsprechend hat die Serie Figuren hinzugefügt wie die aufdringliche erzkonservative Tochter des ehemaligen US-Präsidenten oder Sam (Elliot Fletcher), einen Transsexuellen, dessen größte Angst in der Apokalypse fehlendes Testosteron ist. Die gesellschaftlichen Fragen werden von individualistischen verdrängt. Das macht die Serie aber nicht weniger nett anzuschauen. FX wird trotzdem keine zweite Staffel produzieren.


Y: The last Man
Unter anderem mit Ashley Romans, Ben Schnetzer, Diane Lane und Diana Bang,
Jeden Mittwoch eine neue Folge auf Disney+


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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Da waren‘s nur noch Frauen", UZ vom 22. Oktober 2021



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