„Maid“ zeigt, was es kostet, einen brutalen Partner zu verlassen

Die vielen Formen der Gewalt

Herrscherdramen haben es einfacher, für sich zu werben, als Alltagsstorys. Wenn es gleich um ganz Schottland geht, dann ist klar, dass die Fallhöhe hoch ist und damit ist das Stück auf den ersten Blick legitimiert. Macbeth bekommt Macht, also hat er was zu entscheiden und das kann richtiger sein oder falscher. Das Leben der meisten hält weniger Spielraum historischen Ausmaßes bereit. Mieten müssen bezahlt, Wäsche gewaschen, Kinder versorgt sein. Das eigene Gesichtsfeld hat selten höfische Regierungsränke zu bieten, Streamingdienste schon. „Game of Thrones“ zum Beispiel.

Warum also Alex, der Hauptfigur der Netflix-Miniserie „Maid“, zusehen? Wieso sollte man dann einer Putzkraft zuschauen, wie sie den allzumenschlichen Dreck anderer, meist reicherer Leute wegwischt? Wenn Leben und Lohnarbeit einem bereits die Erfahrung hat zuteil werden lassen, dass man genau sechs Mal würgen muss, bevor man ein völlig verdrecktes Klo reinigt, und pro weiterer Toilette in der gleichen Schicht dann nur noch kein bis ein Mal, außer es muss ein Unfall entfernt werden, dann fängt man neu bei sechs an.

Vielleicht weil die eigene Erfahrung auch im eigenen Kontext nicht immer ausreicht. Vielleicht, weil zu der verzeihlichen Fehlannahme, alle müssten genau sechs Mal würgen, noch fatalere Falschannahmen gehören, wie etwa die, dass Mütter mit Reinigungsarbeit ja lockerleicht klarkommen müssten, schließlich ist ihr Alltag ja voll Pipi, Kacka und Breche. „Maid“, die Serialisierung des 2019 erschienen, autofiktional gehaltenen Debüts der US-Autorin Stephanie Land, weiß um blinde Flecken im gesellschaftlichen Bewusstsein, nicht nur um die in der Sorgearbeit. Denn, klar, zehn einstündige Folgen, die ausschließlich die Arbeit einer Putze protokollieren, wären schwer erträglich. Hierzulande schrubbt schließlich auch Bjarne Mädel als „Tatortreiniger“ von Mord und Tod verschmutzte Orte und kommt dabei mit den Hinterbliebenen ins Schwatzen über tiefste Sinnfragen. „Maid“ zeigt Existenzielles anders: Alex, gespielt von Margaret Qualley, flieht mit ihrer zweijährigen Tochter Maddy über Nacht aus dem Trailer, in dessen Innenwand kurz zuvor die Faust ihres Partners Sean (Nick Robinson) einschlug, paar Zentimeter links neben ihrem Kopf. Was dann Freiheit in einem sozialstaatsfeindlichen Staat bedeutet, erfahren Alex und Maddy in ganzer Breite: Obdachlosigkeit, Hunger und die verzweifelte Suche nach einem Job. Alex findet einen bei „Value Maids“, für den sie selbst für Reinigungsmittel und Sprit aufkommen muss. Und um für beide vorübergehend ein Dach über den Kopf zu bekommen, muss sie sich mit ihrem eigenen Alltagsverständnis konfrontieren, das ihr zunächst sagt, Opfer häuslicher Gewalt, die Anspruch auf einen Platz in einer Zuflucht bietenden Einrichtung haben, haben Schlimmeres erlebt als sie – die Faust hätte dafür paar Zentimeter weiter rechts landen müssen. Dass es viele Arten gibt zu missbrauchen, wird in „Maid“ nach und nach aufgezeigt, ohne dass die Rückschläge ausbleiben. Die Freundin, die Alex im Shelter kennenlernt, kehrt zu dem Mann zurück, der an ihrem Hals Würgemale hinterlassen hatte. Auch Alex kapituliert vor der Alternativlosigkeit und zieht wieder bei Sean ein. Dass es bei dem alkoholkranken Sean wieder dazu kommt, dass Alex jede Form von Selbstbestimmung, und sei es das Guthaben auf dem Handy, abgenommen bekommt, ist erwartbar.

Männer lernen in „Maid“ nicht dazu. Dass sie Gift versprühen, das machen sie lieber unter Männern mit dem lieben Herrgott da oben aus, wie Alex‘ Vater, der sie und ihre manische Mutter (Andie MacDowell als wirbelnder Hippie-Wortschwall) in die Flucht – ja, genau: schlug. Frauen leisten die emotionale Arbeit und Solidarität untereinander. Auch wenn die Läuterung dafür manchmal sichtlich aufgesetzt aussieht, wie die der stinkreichen Anwältin Regina (Anika Noni Rose), die sich vom menschenschindenden Hausmädchenschreck zu Alex‘ freundschaftlicher Unterstützerin mausert.

„Maid“ fordert Einsicht in den Alltag vieler, der nicht der aller und der, nicht wie Alltag sein sollte, auch nur annähernd aushaltbar ist. Wenn man dann mit Alex, die das Stipendium für eine Schreibschule ablehnte, weil sie schwanger war, von der Abbildung dieses Alltags in Tagträume hinüberschwappt, dann zeigt sich, dass Flucht vor Unerträglichem Sinn ergeben kann. Denn in der Fantastik ist Alex, die alleinerziehende Reinigungskraft, als Kreative mit jener Macht ausgerüstet, die sie sich nicht nehmen lassen will.


Maid
USA 2021 | 10 Folgen
Netflix


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Über den Autor

Ken Merten (seit 1990) stammt aus Sachsen. Er hat in Dresden, Hildesheim und Havanna studiert. Seine Schwerpunkte sind die Literatur der Jetztzeit, Popkultur und Fragen von Klassenkampf und Ästhetik. 2024 erschien sein Debütroman „Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist“ im Berliner XS-Verlag.

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"Die vielen Formen der Gewalt", UZ vom 15. Oktober 2021



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