Die SDAJ hat sich an einer Solidaritätsreise nach Syrien beteiligt

„Das Alte hinter sich lassen und nach vorne schauen“

Von Leo Zayya

Gekürzter Vorabdruck aus „Position – Magazin der SDAJ“

Nach mehr als sieben Jahren Bürgerkrieg steht Syrien für viele hierzulande als Synonym für Tod, Flucht und Zerstörung. Als iranischer und russischer Verbündeter war Syrien der NATO und EU seit Langem ein Dorn im Auge. Vor 2011 gab es von Seiten der USA wie auch der EU Versuche, Syrien durch gegenseitige politische und wirtschaftliche Kooperation aus dem Einflussbereich Irans und Russlands zu lösen. Mit dem Aufkommen von Unruhen im Land zögerte man jedoch nicht lange, die nur bedingt verlässliche Regierung direkt loszuwerden.

Im Rahmen einer Solidaritätsmission des Weltbundes der demokratischen Jugend (WBDJ) und des Weltfriedensrates vom 27. Oktober bis zum 1. November hatte ich die Möglichkeit, mir selbst ein Bild über die Lage im Land zu machen. Als einer von insgesamt 92 Delegierten, die 55 Organisationen aus 37 Ländern vertraten, nahm ich drei Tage lang an offiziellen Treffen teil. Außerdem besuchten wir Orte inner- und außerhalb von Damaskus. Zudem trafen wir mehrere hundert Studenten sowie Gewerkschaftsvertreter und Angehörige des Parlaments. Aber auch darüber hinaus bot sich mir immer wieder die Gelegenheit, eigenständig Gespräche mit syrischen Jugendlichen zu führen und mich mit ihnen über den Krieg auszutauschen.

In Damaskus haben sieben Jahre Krieg ihre Spuren hinterlassen. Im Stadtzentrum tummeln sich neben den ursprünglichen Bewohnern der Stadt auch Tausende Flüchtlinge aus allen Landesteilen. Viele Menschen haben Freunde und Verwandte verloren, mussten fliehen oder haben seit Jahren keinen Kontakt mehr zu ihren Familien. Alaa beispielsweise stammt aus der Stadt Deir-ez Zor und studierte 2011 zu Beginn des Konflikts in Damaskus. Während sie sich entschied, im Land zu bleiben, floh ihre Familie ins Ausland. Seitdem hat Alaa ihre Familie nicht mehr gesehen und nur über Telefon und Skype Kontakt mit ihr. Ein anderes Beispiel ist Fawzi, der als Spanisch-Übersetzer arbeitet. Er lebte mit seiner Familie in Duma, einem Vorort von Damaskus, musste 2011 aber mit seinen Angehörigen ins Stadtzentrum fliehen, nachdem er von Islamisten Todesdrohungen erhalten hatte.

Die syrischen Jugendlichen wie Alaa und Fawzi wollen vor allem eins: ein Ende des Krieges und damit die Möglichkeit, endlich wieder ein normales Leben führen zu können. „Die Leute kümmert es nicht, mich kümmert es nicht, wer am Ende regiert, wir möchten in Frieden leben, ohne uns jeden Tag davor fürchten zu müssen, dass wir sterben könnten. Die Menschen wollen das Alte hinter sich lassen und nach vorne schauen“, erzählt mir Alaa.

Viele Syrer haben seit Beginn des Krieges keine zivilen Ausländer mehr zu Gesicht bekommen. Syrische Jugendliche haben wenig bis keine Möglichkeiten, sich mit Gleichaltrigen anderer Länder auszutauschen, und selbst Reisen ins unmittelbare Umland waren über lange Zeit kaum bis gar nicht möglich. Die syrische Jugend ist seit sieben Jahre von der Außenwelt abgeschnitten und nicht wenige fühlen sich politisch im Stich gelassen, besonders im Hinblick auf die anhaltenden Sanktionen, die politischen Strafmaßnahmen und die anhaltende Förderung islamistischer Kämpfer durch NATO, EU und andere Staaten.

Soziale und politische Missstände gibt es in Syrien nach wie vor. Aber grundlegende Veränderungen in diesen Bereichen und gesellschaftlicher Fortschritt im Inneren werden nicht durch NATO-Interventionen und die von reaktionären arabischen Regimen finanzierten Dschihadisten erfolgen. „Es geht hier schon lange nicht mehr wirklich um Politik, es gab gute Rebellen, vielleicht ein paar in den ersten Wochen, aber das war es dann auch“, meint Fawzi zu mir, als ich mich mit ihm über den Ursprung des Krieges unterhalte. Es hat Gründe, warum sich viele Oppositionelle und auch unsere Genossinnen und Genossen dazu entschieden haben, letztlich unter den bestehenden Bedingungen zu leben und sich auch weiter auf ihre Art und Weise für Veränderungen einzusetzen, anstatt einen Regime-Change herbeizusehnen, wie er von EU, NATO und anderen propagiert wird.

So waren die zwei großen syrischen Kommunistischen Parteien, die Syrische Kommunistische Partei (Bakdasch) und die Syrische Kommunistische Partei (Vereint), bei unserer Solidaritätsmission ebenfalls anwesend. Beide Parteien kritisieren die Regierung und taten dies bereits vor 2011, beispielsweise im Hinblick auf die damals eingeleiteten Wirtschaftsreformen. Sie weisen dennoch darauf hin, dass das Hauptaugenmerk in der gegenwärtigen Situation auf den Aggressionen von außen und auf dem Kampf gegen reaktionäre Kräfte im Inneren liegen muss. So wichtig es ist, den Kampf für politische und soziale Rechte in der Zukunft weiterzuführen, so wichtig ist es jetzt, der Regierung nicht in den Rücken zu fallen und kein Szenario wie in Libyen zuzulassen.

Bereits jetzt hat sich einiges im Vergleich zur Vorkriegssituation getan und damit sind nicht nur die sich im Prozess befindlichen offiziellen Reformen gemeint, sondern ganz greifbare Veränderungen. Sowohl syrische Jugendliche als auch mehrere arabische Delegierte, die das Land bereits vor dem Krieg besucht hatten, berichteten mir von mehr politischen Freiräumen und vor allem von einem Rückgang des Einflusses der Geheimdienste. Ein Großteil der Posten in Verwaltung und Politik wurde in den vergangenen Jahren neu besetzt und noch immer finden Umstrukturierungen statt. Mehrere Syrer berichteten mir, dass sich damit bereits das Problem der Korruption gebessert habe. Auch wurden die alten Machtstrukturen infolge des Krieges mitunter radikal aufgebrochen, einst einflussreiche Familien in Politik und Militär wie der Clan des von 1972 bis 2004 amtierenden Verteidigungsministers Mustafa Tlass sind durch ihr Überlaufen zu den Aufständischen zu Beginn des Krieges praktisch in Bedeutungslosigkeit versunken, ein Umstand, der nicht unbedingt viele Syrer traurig stimmt.

Der lange und blutige Krieg hat aber auch unübersehbare Risse innerhalb der syrischen Gesellschaft hervorgerufen. Viele Bewohner von Damaskus sind misstrauisch gegenüber Syrern, die über längere Zeit in aufständischen Gebieten gelebt haben. Andere wollen Rache für vergangene Verbrechen und diejenigen, die außer Landes geflüchtet sind, werden nicht selten als Verräter angesehen. Die Reintegration der Flüchtlinge und vor allem die Versöhnung zwischen Nachbarn, Familien und verschiedenen Bevölkerungsgruppen wird neben dem Wiederaufbau eine der Hauptaufgaben sein, die es in den nächsten Jahren zu bewältigen gilt.

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"„Das Alte hinter sich lassen und nach vorne schauen“", UZ vom 14. Dezember 2018



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