Eine Graphic Novel über Ali vs Foreman 1974

Das Comeback des Größten

Ein Fotograf versucht sich im Gedränge einen Platz zu sichern, es ist heiß, es ist voll, trotz aller Bemühungen bleiben dem Mann mit der Kamera ganze 40 Zentimeter, um Bilder zu machen. Dann betritt der Star des Abends die Bühne. Der Fotograf ist niemand anderes als die Magnum-Legende Abbas, die Bühne ist ein Ring, es ist vier Uhr morgens am 30. Oktober 1974 in Kinshasa, es ist der Morgen des Kampfes von Muhammad Ali gegen George Foreman. Ein ganzes Stadion, ein ganzes Land, ein ganzer Kontinent feuert Ali an: Ali, boma yé! (Ali, töte ihn!)

Dass es eine Graphic Novel über den Kampf gibt, in dem Muhammad Ali trotz des ungeschriebenen Gesetzes des Boxens „They never come back“ (Sie kommen nie zurück) seinen Weltmeistertitel zurückerobert hat, ist einem besonderen Projekt des französischen Comic-Autors Jean David Morvan zu verdanken. Morvan hat sich in der Zusammenarbeit mit Magnum-Photos daran gemacht, die Leben großer Fotografen als Comics darzustellen, quasi die Geschichte hinter dem Bild im Bild festzuhalten. Und so ist die Hauptfigur in „Muhammad Ali. Kinshasa 1974“ weder der „Greatest of all Times“ noch sein Kontrahent Foreman, sondern der Fotograf Abbas, der im Auftrag der Zeitschrift „Jeune Afrique“ den Kampf dokumentierte. Dank der Regeln, die sich Magnum und Morvan für ihr Projekt gegeben haben, werden hier keine Fotos platt nachgezeichnet, sondern die Zeichnungen von Rafael Ortiz (Kolorierung von Hiroyuki Ooshima) machen die bisher unsichtbare Geschichte zwischen den Fotos von Abbas sichtbar und zeigen in Kombination mit seinen Bildern die ganze Stimmung im „Stadion des 20. Mai“ an jenem Morgen und erzählen davon, wie es dazu kam.

Abbas wurde im Iran geboren, zog mit seinen Eltern nach Frankreich um, „das heißt, nach Algerien, aber damals gehörte Algerien ja noch zu Frankreich“. Dort erlebt er den „Putsch von Algier“ und verspürt den Drang, selbst berichten zu wollen. „Wenn man so etwas als 11-Jähriger erlebt, hinterlässt das bleibende Spuren.“ Der Entschluss, mit Bildern und nicht mit Worten zu berichten, begründet seine Karriere, die ihn 1974 nach Kinshasa führt.

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Am Ende ging alles ganz schnell: Fünf Schläge Alis …

Dort treffen mit Ali und Foreman zwei Boxer aufeinander, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Obwohl Ali zum Zeitpunkt des Kampfes nur zwei Kilo leichter war als Foreman und die beiden fast die gleiche Armspannweite hatten (Forman 1,99 m, Ali 1,98 m) wirkte Ali deutlich schmächtiger als Foreman, zudem war er bereits 32 Jahre alt. Foreman war 25, sechs Jahre zuvor in Mexiko Olympiasieger geworden und amtierender Schwergewichts-Weltmeister – und führt bei den Buchmachern mit 3:1. Doch Ali, der neben Boxgenie auch unbestritten ein Großmaul war, macht von Anfang an klar, dass er als Sieger aus dem Ring steigen wird: „Float like a butterfly, sting like a bee, his hands can‘t hit what his eyes can‘t see“ hatte er bereits 1964 vor seinem Kampf gegen Sonny Liston prophezeit, zu seiner Vorbereitung auf Foreman gibt er an: „Ich habe Neues für diesen Kampf getan. Ich habe mit einem Alligator gerungen, mit einem Wal gerauft, dem Blitz Handschellen angelegt und den Donner eingekerkert. Ich bin böse. Letzte Woche hab’ ich einen Felsen ermordet, einen Stein verletzt und einen Ziegel hospitalisiert.“ Aber nicht nur wegen seines losen Mundwerks (im englischen Original reimen sich die Sprüche auch noch, es ist eine vergnügliche frühe Form des Battle-Rap), sondern wegen seiner konsequenten Haltung erobert Ali die Herzen. 1964 legte der schon erfolgreiche Boxer Cassius Clay seinen Sklavennamen ab und nannte sich Cassius X, er trat der „Nation of Islam“ bei und wurde Muhammad Ali. 1967 verweigert er in einem Rekrutierungsbüro der US-Army demonstrativ den Kriegsdienst und wird dafür vor Gericht gestellt. „No Vietcong ever called me nigger.“ (Kein Vietcong hat mich jemals Nigger genannt.) Er verliert seinen Weltmeistertitel und seine Boxlizenz und wird in erster Instanz zu fünf Jahren Gefängnis und einer Geldstrafe von 10.000 Dollar verurteilt. Seine vollständige Rehabilitation durch den Obersten Gerichtshof der USA erfolgt erst 1971. 1974 tritt Ali an, sich seinen Titel zurückzuholen. Sein Gegner Foreman ist politisch das Gegenteil von Ali. Als 1968 in Mexiko Tommie Smith und John Carlos barfuß und mit schwarz behandschuhter erhobener Faust gegen Rassismus und Ausbeutung protestierten, schlug sich Foreman auf die Seite des US-amerikanischen Staates und des Establishments und verkündete. „In keinem anderen Land als den Vereinigten Staaten von Amerika hätte ich all das geschafft!“ Und während Ali als Freund und Unterstützer der Befreiungsbewegungen nach Afrika kam, erschien Foreman mit einem deutschen Schäferhund an der Leine, dem Symbol für die belgischen Unterdrücker im Kongo. Der Schlachtruf „Ali, Boma yé!“ ist also nicht durch Zufall geboren – und richtet sich gegen so viel mehr als nur George Fore­man.

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… und Foreman ging zu Boden.

Der machte in Kinshasa alles andere als eine gute Figur. Mit einer neuen Taktik, die die dominierende Schlaghand änderte und in der er die Seile des Rings nutzte, um durch Zurücklehnen oder Aufrichten die Distanz zu Foreman zu kontrollieren, machte Ali den amtierenden Weltmeister fertig. In der achten Runde hat Foremans Kondition deutlich nachgelassen. Ali nutzt die Chance, zu beweisen, dass er der „Greatest of all Times“ ist: Eine harte Kombination aus fünf Schlägen und Foreman ist k.o., Ali erneut Weltmeister im Schwergewicht.

Hätte er seinen letzten Kampf nicht verloren, wäre Muhammad Ali am vergangenen Montag 80 Jahre alt geworden.


Jean-David Morvan, Séverine Tréfouel, Rafael Ortiz
Muhammad Ali. Kinshasa 1974
Aus dem Französischen von Mathias Althaler
Bahoe Books, 22 x 32 cm, Hardcover mit Schutzumschlag
138 Seiten, 24,- Euro

(Alle Abbildungen in dem Artikel aus diesem Buch)


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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Das Comeback des Größten", UZ vom 21. Januar 2022



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