CDU und CSU einigen sich trotzdem in der Flüchtlingsfrage auf eine Limitierung

Das Grundgesetz kennt keine Obergrenze

Von Nina Hager

Viele Stunden wurde am Sonntag über die Flüchtlingspolitik debattiert. Doch dann einigten sich die Vertreter der CDU und der CSU. Auf einen „klassischen Kompromiss“, wie Angela Merkel auf einer Pressekonferenz am Montag betonte. Man habe nun eine „sehr gute Basis“, um in die Sondierungsgespräche mit der FDP und den Grünen zur Bildung einer Regierungskoalition zu gehen. „Wir haben es uns wirklich nicht einfach gemacht“. Dabei wollten die CDU und vor allem Angela Merkel zuvor auf keinen Fall am Grundrecht auf Asyl rühren und aus diesem Grunde auch keine Obergrenze für Flüchtlinge festlegen.

Nun hat sich, auch wenn der Begriff „Obergrenze“ nicht auftaucht, in der Flüchtlingspolitik Seehofer doch durchgesetzt, der damit wohl nicht nur den internen Machtkampf in der CSU für sich entscheiden möchte. Merkel kann dagegen darauf verweisen, dass man ja aber auch am Grundrecht für Asyl festhalten wolle. Wie das? Denn weder im Grundgesetz noch in internationalen Rechtsnormen, die das Grundrecht auf Asyl gewähren, findet sich nämlich irgendeine Limitierung. Maximal 200 000 Menschen sollen künftig nach den Plänen der Unionsparteien im Land aufgenommen werden. Pro Jahr. Ausgenommen sind EU-Bürgerinnen und -Bürger sowie zugewanderte Arbeitskräfte. Deren Zuzug, möglichst gut ausgebildeter Fachkräfte, soll in einem Zuwanderungsgesetz geregelt werden. Eine Forderung, die Kapitalvertreter schon länger stellen.

Für die anderen gilt, wie die „Süddeutsche“ am Montag klarstellte: „Die Rechnung geht so: neue Asylbewerber plus Familiennachzügler plus Kontingentflüchtlinge minus freiwillige Rückkehrer minus Abgeschobene ist gleich 200000. Maximal.“ Das heißt aber auch: Die einen werden gegen die anderen ausgespielt. Weiter aufmerksam muss machen, dass die Neuankommenden dann auch noch in „Entscheidungs- und Rückführungszentren“ „gebündelt“ werden, man beachte die peinliche Vermeidung von Vokabeln, die unschöne Assoziationen wecken könnten. In solchen „Zentren“ werden Menschen teilweise über Jahre leben müssen.

Und um eine höhere Zahl von Abschiebungen zu erreichen, werden immer mehr Länder zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt. Zumindest in dieser Frage ist man sich mit der FDP wohl schon einig und will auch die Grünen überzeugen. Wie sich im Zusammenhang mit den Abschiebungen nach Afghanistan gezeigt hat, interessiert die tatsächliche Sicherheitslage im jeweiligen Land die politisch Verantwortlichen nicht im Geringsten. Ein zynisches Spiel. Und was passiert, wenn sich die Situation von 2015 wiederholt? Wenn Hunderttausende Menschen kommen, die vor Krieg, Verfolgung, unsäglicher Not fliehen? Im Unionspapier heißt es, dass im Falle eines Großandrangs Bundesregierung und Bundestag „geeignete Maßnahmen“ beschließen sollen. Jeder Neuangekommene – also die, die dann überhaupt noch durchkommen – könne aber einen Asylantrag stellen, der geprüft werden muss.

„Die flüchtlingspolitischen Ergebnisse der Verhandlungen von CDU und CSU sind eine menschenrechtliche Bankrotterklärung“ so Ulla Jelp­ke, innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Partei „Die Linke“. „Das zynische Verrechnen von Abschiebungen mit der Aufnahme von Flüchtlingen spottet jeder Humanität und den Menschenrechten. Dies ist die Fortsetzung der Anbiederung an den rechten Sumpf, die schon vor den Wahlen die Rassisten von der AfD stark gemacht hat.“

Mit ihrem Kurs versuchen offenbar CSU und auch CDU unter anderem jene Wählerinnen und Wähler zurückzuholen, die bei den Bundestagswahlen AfD gewählt haben. Seehofer und Co. wollen auch dafür die Unionsparteien möglichst stramm rechtskonservativ ausrichten. Dazu gehört die jetzt beschlossene Limitierung. Nur: Eine Antwort auf die sozialen Probleme oder Abstiegsängste, die Verunsicherung vieler im Land geben sie nicht. Deren Unzufriedenheit nimmt weiter zu. Doch die zunehmende Armut, die wachsende Verunsicherung vieler Menschen im Land ist keine Folge der Flüchtlingsströme. Sie ist, durch die Agendapolitik, durch die Ausweitung prekärer Beschäftigung usw. selbst gemacht. Seit 2005 hat sich in Deutschland die Zahl der Menschen, die arbeiten und trotzdem arm sind, verdoppelt.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Das Grundgesetz kennt keine Obergrenze", UZ vom 13. Oktober 2017



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