Die Gründung der SDAP vor 150 Jahren war ein großer Schritt in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung

Das Signal von Eisenach

Von Erik Höhne

Vom 7. bis zum 9. August 1869 kamen in der Gaststätte „Zum Goldenen Löwen“ in Eisenach 262 Delegierte aus 193 Orten der deutschen Länder zusammen, um die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) aus der Taufe zu heben. Führend beteiligt waren die zwei bedeutenden Revolutionäre Wilhelm Liebknecht und August Bebel. Mit der Gründung der SDAP entstand zum zweiten Mal in Deutschland eine revolutionäre, an den Lehren von Marx und Engels orientierte Arbeiterpartei.

Was hatte diesen Schritt erforderlich gemacht? Die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848 hatte eine vernichtende Niederlage erlebt. Der Bund der Kommunisten, für den Marx und Engels ihr berühmtes Manifest verfassten, hatte sich im Zuge von Fraktionsstreitigkeiten 1852 aufgelöst. Es herrschte Depression und Niedergeschlagenheit unter den fortschrittlichen Kräften und mancher vormalige Revolutionär nahm das zum Anlass, sich von seinen „Träumen“ zu verabschieden. Zwar bestanden nach wie vor Arbeitervereine, aber diese befanden sich oft unter Führung linksliberal-bürgerlicher Kräfte. Diese Hegemonie konnte gebrochen werden, als unter maßgeblicher Beteiligung Ferdinand Lassalles am 23. Mai 1863 in Leipzig der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein gegründet wurde. Lassalles historisches Verdienst bestand darin, dass er die deutsche Arbeiterbewegung aus dem Gefolge des linken Bürgertums herausgelöst hatte. Allerdings waren Lassalle und auch seine Nachfolger außerstande, den Arbeitern ein revolutionäres Programm zur Überwindung der Klassenherrschaft in die Hand zu geben. Lassalle huldigte einem illusionär-klassenneutralen Staatsverständnis. Marx‘ Idee der proletarischen Revolution war ihm bekannt, aber letztlich blieb sie ihm fremd. Einer reformistischen Konzeption folgend hoffte er, durch demokratische Wahlen ließe sich das Staatswesen so weit modifizieren, dass es den Arbeitern Hilfe zur Bildung von Produktionsgenossenschaften gewähren werde. Gewerkschaftlichen Kämpfen wurde nur geringe Bedeutung beigemessen. Und auch in der Frage der Überwindung der reaktionären deutschen Kleinstaaterei setzte der ADAV nicht auf revolutionäre Masseninitiative, sondern unterstützte Otto von Bismarck in seinem Einigungsbestreben im Zeichen des preußischen Militarismus. Hinzu kam die extrem undemokratische Organisationsstruktur des ADAV.

Marx, Engels und Liebknecht arbeiteten zeitweise am Zentralorgan des ADAV, dem „Social-Demokrat“, mit. 1865 endete die Kooperation aufgrund der deutlich gewordenen Kumpanei der Vereinsführung mit Bismarck. Der ADAV schien ernsthaft gewillt, diesen als Partner gegen die aufstrebende deutsche Bourgeoisie zu akzeptieren. Offenbar gab es kein Verständnis dafür, dass man sich in einem solchen Fall mit der äußersten Reaktion zusammentat. Im Gegenzug war es aber für den ADAV in seiner nationalistischen Beschränktheit nicht möglich, mit der 1864 gegründeten, als „Erste Internationale“ bekannt gewordenen Internationalen Arbeiterassoziation zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit zu kommen.

Ein zeitgenössisches „Ketten-bild“, das den Theoretiker Marx und führende Köpfe der jungen Sozialdemo-kratischen Arbeiterpartei zeigt.

Ein zeitgenössisches „Ketten-bild“, das den Theoretiker Marx und führende Köpfe der jungen Sozialdemo-kratischen Arbeiterpartei zeigt.

1866 gründeten Bebel und Liebknecht die Sächsische Volkspartei, in der kleinbürgerliche Einflüsse durchaus präsent waren, die aber dennoch eine Operationsbasis gegen die opportunistische Linie der Lassalleaner bildete. Bebel warb zudem erfolgreich für seine revolutionären Positionen in den Reihen des Verbandes deutscher Arbeitervereine, der ihn 1868 zu seinem Präsidenten wählte.

In Gestalt des revolutionären Programms der SDAP konnten 1869 die Früchte dieser zähen Arbeit geerntet werden. Das Programm stellte fest: „Die heutigen politischen und sozialen Zustände sind in höchstem Grade ungerecht und daher mit der größten Energie zu bekämpfen … Die politische Freiheit ist die unentbehrliche Vorbedingung zur ökonomischen Befreiung der arbeitenden Klassen.“ Dem System der kapitalistischen Ausbeutung wurde unmissverständlich der Kampf angesagt und die Errichtung eines demokratischen, säkularen Staatswesens mit sozialer Arbeitsgesetzgebung und allgemein garantierten Bildungsmöglichkeiten gefordert. Militaristische Bestrebungen wurden zurückgewiesen. Die SDAP stellte sich ausdrücklich an die Seite der Internationalen Arbeiterassoziation. Bestimmte begriffliche Unklarheiten blieben bestehen, wie die Formulierung vom zu errichtenden „freien Volksstaat“ zeigte. Die marxistische Erkenntnis, dass ein Staat, gleich welcher Prägung, kein Ausdruck von „Freiheit“, sondern von Herrschaft einer Klasse über eine andere ist, wurde hier nicht klar zum Ausdruck gebracht. Marx und Engels sahen dies kritisch, stimmten der grundsätzlichen Richtung des Programms aber zu und sprachen von „unsrer Partei“.

Ausgehend von einem abstrakten Einheitsbegriff ließe sich gegen die SDAP-Gründung einwenden, dass Bebel und Liebknecht damit die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung vertieft hätten. Zum einen aber hatten die Versuche, in den Reihen des ADAV revolutionär zu wirken, ihre Untauglichkeit praktisch bewiesen. Und zum anderen kann festgestellt werden, dass diese „Spaltung“ in dialektischem Sinne einen Beitrag zur kommenden Einheit der deutschen Arbeiterbewegung auf höherem Niveau darstellte. Dem Reformismus im Geiste Lassalles stand das revolutionäre Programm von Marx und Engels nun auch in organisatorischer Form gegenüber. 1875 vereinigten sich ADAV und SDAP auf dem Gothaer Parteitag zur Sozialistischen Arbeiterpartei. Die Konzessionen, welche die revolutionären Kräfte hier ihren Vereinigungspartnern machten, fanden Marx‘ scharfen Widerspruch und flossen zusammen in seiner berühmten „Kritik des Gothaer Programms“. 1890 benannte sich die Partei um in Sozialdemokratische Partei Deutschlands und gab sich ein Jahr darauf beim Erfurter Parteitag ein revolutionäres Programm, das Engels mit den Worten kommentierte: „Wir haben die Satisfaktion (Anm.: Genugtuung), dass die Marxsche Kritik (des Gothaer Programms) komplett durchgeschlagen hat.“

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Das Signal von Eisenach", UZ vom 9. August 2019



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol LKW.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit