Langzeitwirkungen des faschistischen Erbes in der BRD

Der braune Gründungsmakel

Kolumne

Nun also die Bundesanwaltschaft. Die Professoren Kießling und Safferling beschreiben in ihrem Buch „Staatsschutz im Kalten Krieg“, wie hochrangige Juristen nach 1945 aus den Hakenkreuztalaren unter die Roben des Bundesadlers krochen. Die Adenauer-Regierung begründete die Reanimation des braunbelasteten Apparats mit der Unverzichtbarkeit von juristischer Erfahrung, meinte im aufziehenden Kalten Krieg aber vor allem dessen antikommunistische Expertise. Ein Bruch mit der NS-Vergangenheit wäre durch Personalentscheidungen für Juristen, die aus politischen oder rassischen Gründen entlassen beziehungsweise strafversetzt wurden, möglich gewesen. Aber der ministeriell vernetzte Korpsgeist hintertrieb diese Option, tilgte belastende Karriereentwicklungen alter Seilschaften aus Akten und Gedächtnis und fühlte sich dank attestierter Alternativlosigkeit wieder staatstragend. Im Gründungsjahr der Bundesanwaltschaft war deren höherer Dienst zu 60, 1956 gar zu 78 Prozent von einstigen NSDAP-Mitgliedern besetzt. 1970, als Willy Brandt am Mahnmal des Warschauer Gettos kniete, waren noch 10 von 17 Bundesanwälten alte Nazis.

09 Kolumne koenig hartmut 1331 - Der braune Gründungsmakel - Braunbuch, BRD, Bundesanwaltschaft - Positionen

Das verdienstvolle Buch zur Hand, bilden sich erneut viele Willkürurteile ab, dazu die biografischen Verstrickungen in die „Verrottung des Rechts und des Rechtsgefühls“, wie ein Verteidiger Ossietzkys die Knebelung Justitias hellsichtig beschrieben hatte. „Berufung auf geltendes Recht“ war die Zauberformel, mit der die Westen der Blutjuristen gebleicht wurden. Von den an der Ermordung Dietrich Bonhoeffers, Hans von Dohnanyis und anderer Nazigegner durch SS-Standgerichte beteiligten Juristen Huppenkothen und Thorbeck verurteilte 1956 der Bundesgerichtshof lediglich Huppenkothen. Und auch nur wegen des „Formfehlers“, sich das Urteil vor der Exekution nicht von Ernst Kaltenbrunner bestätigen zu lassen. Oder: Der Richter am Volksgerichtshof Rehse hatte in seiner Juristenkarriere an 231 Todesurteilen mitgewirkt. In erster Instanz wurde er wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Der Fall ging in Revision. Bundesrichter Adolf Schmidt regte in einem Votum die Aufhebung des Urteils und die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung an. Es sei nicht nachzuweisen, dass unverjährbarer Mord vorgelegen hätte. Mit der Todesstrafe habe Rehse eine „Schwächung der Wehrbereitschaft des deutschen Volkes vermeiden“ wollen, und derlei Beweggründe seien nicht als „niedrig“ anzusehen. Senatsmitglied Börker assistierte noch: Aus der Gesetzestreue, „den Bestand des Reichs und den Sieg zu sichern“, lasse sich kein Rechtsbeugevorsatz ableiten. Nach Rückverweisung ans Landgericht erfolgte Freispruch. Schandurteile mit System, die jeden Antifaschisten ekeln mussten.

„Staatsschutz im Kalten Krieg“ redet späten Klartext. Denn schon 1965 erregte ein in der DDR erschienenes „Braunbuch“ internationales Aufsehen, das die einflussreiche Präsenz von Kriegs- und Naziverbrechern in Westdeutschland enthüllte und fast zweitausend Namen nannte. Bereits drei Jahre zuvor war in der DDR-Broschüre „Von der Reichsanwaltschaft zur Bundesanwaltschaft“ der unheilvolle Weg des 1962 zum Generalbundesanwalt aufgestiegenen Wolfgang Fränkel enthüllt worden, der vor 1945 in sadistischem Eifer Bagatelldelikte mit der Todesstrafe ahnden ließ.

Der braune Rattenschwanz hinter Gehlen, Globke oder Kiesinger marschierte unfassbar lange durch die Institutionen der alten BRD. Dass westdeutsche Kommunisten nach dem KPD-Verbot vor Gericht alsbald Déjà-vus mit ihren Anklägern aus der Nazizeit erleben mussten, bleibt ein Hohn deutscher Geschichte. Die Bonner Republik hat ihren braunen Gründungsmakel nie abstreifen können. Er ist ein Erbe mit Langzeitwirkung. 1990 kam er als Mit-Gift über die Elbe.

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"Der braune Gründungsmakel", UZ vom 4. Februar 2022



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