Sportler schreibt Offenen Brief gegen „Defender 2020“

Der deutsche Friedensschwimmer

Sportler kennt man in unseren Medien eher als Grinsegesichter für Sponsoren, Kommentatoren des eigenen Versagens (oder des Schiedsrichters) und vor allem als Soldaten. Das fällt im ersten Moment gar nicht so auf, denkt man doch bei Sport in unseren Breitengraden automatisch an Fußball. Wenn man sich allerdings andere Sportarten anschaut, Leichtathletik, Biathlon oder Triathlon, dann sind dort meistens Menschen aktiv, die von der Bundeswehr dafür bezahlt werden.

Da ist es natürlich wenig verwunderlich, dass sich Sportler in diesem Land äußerst selten politisch zu Wort melden. Das gilt auch für den bundeswehrfreien Fußball, der Sponsor sieht alles und verzeiht wenig. Nicht umsonst ist Ewald Lienen, ehemaliger Bundestagskandidat der „Friedensliste“, nicht nur für Fußballkünste und spektakuläre Oberschenkelverletzungen bekannt.

Ein weiterer von denen, die sich nicht an das ungeschriebene Gesetz der politischen Nichteinmischung halten, ist Marcus Klöckner. Der ehemalige Triathlet und jetzige Langstreckenschwimmer hat in der Russischen Föderation eine Schwimmtrainerausbildung absolviert und ist seit 2017 Repräsentant der Wolga-Liga. In einem Offenen Brief wandte er sich jetzt an Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer.

In dem Brief drückt er sein tiefe Besorgnis über das kriegerische Gebaren gegenüber der Russischen Föderation aus, insbesondere über das Militärmanöver „Defender 2020“, das zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus wieder Soldaten (auch deutsche) an die russische Grenze bringt.

Er fragt Kramp-Karrenbauer: „Haben Sie, Deutschland und die NATO-Streitkräfte, vergessen, was für ein Wahnsinn in Europa und der Welt vor über 70 Jahren tobte?“ und kritisiert die Berichterstattung der deutschen Medien und die Bundespressekonferenz, die Russland als den „ewigen Aggressor“ hinstellen. „Wenn sich die NATO um Russland ‚sorgt‘, frag‘ ich mich, warum NATO-Truppen an der russischen Grenze stehen und nicht umgekehrt! Russland gibt jährlich circa 80 Milliarden US-Dollar gegenüber circa 900 Milliarden US-Dollar an Rüstungsausgaben der Vereinigten Staaten und NATO aus! Allein in diesem Verhältnis sehe ich die Aggression deutlich auf Seiten der NATO und nicht auf der russischen Seite!“

Sein Appell, den Kurs Richtung Russland in einen Kurs Richtung Frieden zu ändern, wird vermutlich ungehört verhallen. Weder wird Kramp-Karrenbauer auf Klöckner hören, noch wird es ein Echo in den Medien geben, von wenigen Ausnahmen mal abgesehen.

Das wird Klöckner nicht daran hindern, weiter seine Meinung kund zu tun. Klar geworden, wie entscheidend und kostbar der Frieden mit Russland ist, ist ihm dies bei einem Triathlonwettkampf in der Nähe von Sankt Petersburg in einem deutsch-russischen Team. In einem Interview mit den „NachDenkSeiten“ beschreibt er, wie ihm und seinem Teamkollegen in den Wäldern Leningrads bewusst wurde, dass sie an gleicher Stelle gemeinsam in einem Sportwettkampf kämpfen, wo ihre Großväter in einem Weltkrieg gegeneinander kämpfen mussten.

Wer so für Frieden mit Russland wirbt, hat bei Sponsoren keine Chance mehr. Auch Klöckner wurde vor die Wahl gestellt, entweder ein linientreuer Sportler ohne öffentliche Meinung zu sein oder auf den Sponsor zu verzichten. Klöckner verzichtete. Russische Medien nennen ihn den „deutschen Friedensschwimmer“.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Der deutsche Friedensschwimmer", UZ vom 21. Februar 2020



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