Der ersehnte Crash

Lucas Zeise • Die Rezession war lange angekündigt

Lucas Zeise

Lucas Zeise

Die Spekulanten, vornehmer auch Investoren genannt, warten darauf, dass der Finanzmarkt in eine Krise gerät. Das deutlichste Zeichen dafür sind die rekordniedrigen Renditen für Staatsanleihen. In der vergangenen Woche sind Bundesanleihen so teuer geworden und damit so tief in den negativen Renditebereich vorgedrungen wie nie zuvor in der Geschichte. Der Käufer von zehn Jahre laufenden Anleihen muss damit jährlich 0,7 Prozent des Nennbetrags zahlen, um in den Genuss zu kommen, dem deutschen Staat Geld leihen zu dürfen. Ein nie dagewesener und zugleich absurder Zustand. Die Investoren wollen schließlich Geld verdienen. Warum lassen sie sich, und zwar massenhaft, auf ein derartiges Verlustgeschäft ein?

Sie fliehen aus Finanzanlagen, von denen sie meinen, dass ihr Besitz weitaus größere Verluste mit sich bringen könnte – in erster Linie Aktien. Das Kalkül ist etwa Folgendes. Wenn der Aktienmarkt, also zum Beispiel der Aktienindex Dax, in den Monaten September und Oktober Verluste von etwa 25 oder 30 Prozent macht, ist es eine sinnvolle Strategie, die Aktien jetzt zu verkaufen. Was tun mit dem Geld? Die Hausbanken der Fonds sind nicht begeistert, wenn so viel Geld bei ihnen herumliegt, sie haben selber genug und nehmen Geld, das jederzeit wieder abfließen kann, nur noch – wenn überhaupt – gegen satte Gebühren an. Da ist es schon besser, deutsche Staatsanleihen zu erwerben. Ihr großer Vorteil ist es erfahrungsgemäß, dass sie jederzeit wieder verkauft werden können und dass ihre Preisschwankungen relativ gering sind. Wenn der Dax nach dem kleinen oder großen Crash sich einigermaßen stabilisiert hat, so lautet der Plan, werden die Staatsanleihen wieder zu Geld gemacht, das dann in – nun deutlich billigere – Aktien getauscht werden kann. Die Staatsanleihen sind also für die Spekulanten und Fondsmanager eine Art Bargeld.

Man kann von der derzeit absurden Teuerung (und damit den absurd niedrigen Renditen) der Staatsanleihen darauf schließen, dass zur Zeit die Angst vor einem Finanzcrash grassiert. Angst ist wohl das falsche Wort, besser ist wohl Erwartung, denn es wird ja Vorsorge getroffen. Noch besser ist es, davon zu sprechen, dass ein Börsencrash geradezu herbeigesehnt wird. Die Leser mögen mir verzeihen, dass ich mich so ausführlich mit dem Kalkül (oder Handwerk) der Spekulanten beschäftige. Reale Gründe dafür, dass ein Einbruch am Aktienmarkt fällig ist, gibt es zuhauf. Ein wichtiger Grund ist wohl, dass die Profitraten vieler Unternehmen im Zuge langsamer werdenden Absatzwachstums seit einiger Zeit wieder sinken. Das gilt nicht nur für die deutschen Konzerne. Für viele von diesen trifft es allerdings in besonderem Maße zu, weil die Sondervorteile, die sie in den letzten zehn Jahren genossen haben, nun verloren gehen. Ein zweiter Grund ist der von den USA forcierte internationale Handelskrieg. Der wichtigste Grund aber ist, dass die Preise für Vermögenswerte (vor allem Aktien und Immobilien) seit der Delle von 2007/08 wieder in lichte Höhen gestiegen sind. Die Vermögen der Reichen und Superreichen sind heute absolut und relativ zum Rest der Welt höher als vor der großen Finanzkrise. Der jährliche Vermögenszuwachs erhöht im gleichen Maß den Anlagebedarf. Das wiederum treibt die Preise am Aktien- und Immobilienmarkt wiederum weit über das Maß hinaus, welches den nach realistischem Kapitalistenkalkül zu erwartenden Gewinnen aus diesen Objekten entspricht. Die große Masse des nach Anlage suchenden Geldkapitals ist denn auch der wichtigste Grund für das allgemein niedrige Zins- und Renditeniveau, auf dessen Grundlage erst so absurde Erscheinungen wie die oben genannten Minuszinsen von 0,7 Prozent möglich sind.

Die beginnende Rezession hat sich, anders als 2007, lange angekündigt. Damit es zum Crash kommt, muss eine erhebliche Zahl vermögender Spekulanten in Panik geraten oder, noch besser, aus Geldnot zum Verkauf gezwungen sein. Nur dann akzeptieren sie jeden Preis. Wie oben gezeigt, bereiten sich die Spekulanten aber auf einen Crash vor. Damit aber wird er wahrscheinlich verhindert. Die ohnehin verschleppte Überproduktionskrise wird weiter verschleppt und die Stagnationsphase der vergangenen Jahre zieht sich noch hin.

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Über den Autor

Lucas Zeise (Jahrgang 1944) ist Finanzjournalist und ehemaliger Chefredakteur der UZ. Er arbeitete unter anderem für das japanische Wirtschaftsministerium, die Frankfurter „Börsen-Zeitung“ und die „Financial Times Deutschland“. Da er nicht offen als Kommunist auftreten konnte, schrieb er für die UZ und die Marxistischen Blättern lange unter den Pseudonymen Margit Antesberger und Manfred Szameitat.

2008 veröffentlichte er mit „Ende der Party“ eine kompakte Beschreibung der fortwährenden Krise. Sein aktuelles Buch „Finanzkapital“ ist in der Reihe Basiswissen 2019 bei PapyRossa erschienen.

Zeise veröffentlicht in der UZ monatlich eine Kolumne mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspolitik.

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"Der ersehnte Crash", UZ vom 23. August 2019



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