Wie ist der Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie zu bewerten?

Der IGM-Vorstand schürt Illusionen

UZ-Debatte

In der vergangenen Ausgabe der UZ erschien ein erster Debattenbeitrag zum Tarifabschluss in der Metall- und Elektroindustrie. In diesem widersprach Isa Paape der in der UZ dokumentierten Einschätzung der „Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften“, die den Abschluss als „mickrig“ bezeichnet hatte (siehe UZ vom 27. März). An dieser Stelle sei ergänzend darauf hingewiesen, dass Paape sich in ihrem Beitrag auf den im März abgeschlossenen „Solidartarifvertrag“ konzentriert, der eine Laufzeit bis Ende 2020 hat. Paape legt Wert auf die Feststellung, dass die Gespräche zum „Zukunftspaket“ wieder aufgenommen werden sollen, sobald dies möglich ist.

Die IG Metall hat die Tarifrunde 2020 für die Metall- und Elektroindustrie schon viele Wochen vor Corona mehr als defensiv begonnen. Bereits am 24. Januar hat der IG-Metall-Vorstand den Arbeitgeberverbänden ein Moratorium vorgeschlagen, in dem er dem Kapital anbot, vor Beginn der Tarifverhandlungen für die Metall- und Elektroindustrie in allen Regionen in Verhandlungen über ein „Zukunftspaket“ zu treten. Ohne konkrete Forderungen und ohne Diskussion in der Mitgliedschaft ging die IG Metall in die Gespräche. Ohne Arbeitskampfmaßnahmen wollte der IG-Metall-Vorstand schon vor Ende der Friedenspflicht zu einem Ergebnis kommen. Dies war eine offene Einladung an das Kapital für eine Nullnummer. Und genau dies kam raus – für 2020 keine Tariferhöhung und nur wenige ganz geringfügige Verbesserungen. So waren zum Beispiel die fünf zusätzlichen bezahlten freien Tage für Kinderbetreuung bis Ende März befristet, was eine Inanspruchnahme fast unmöglich machte, weil dies ja erst am 20. März beschlossen wurde.

Was sind unsere Aufgaben als Kommunistinnen und Kommunisten in der Gewerkschaftsarbeit? In der Ende letzten Jahres neu erstellten Handlungshilfe „Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit“ wird diese Aufgabe so definiert: „Eine zentrale Aufgabe der Kommunistischen Partei ist die Entwicklung von Klassenbewusstsein. Das ergibt sich aus unserem Verständnis, dass die Arbeiterklasse die entscheidende gesellschaftsverändernde Kraft ist. Von ihrem bewussten und aktiven Handeln hängt darum in erster Linie der Erfolg im Ringen um den gesellschaftlichen Fortschritt ab (…) Klassenbewusstsein umschreibt damit nicht nur das individuelle Denken und Fühlen, sondern den Einblick in grundlegende Erkenntnisse der kapitalistischen Gesellschaft. Dazu gehört: Die Erkenntnis vom Interessengegensatz von Arbeit und Kapital.“

Das Moratorium hat ausdrücklich jegliche Arbeitskampfmaßnahmen ausgeschlossen, also keine verhandlungsbegleitenden Aktionen, keine Warnstreiks und natürlich erst recht keine Tagesstreiks. Das war das Programm des IGM-Vorstandes. Dies schürt gewaltige Illusionen, dass dem Kapital ohne Kampf Wesentliches abgerungen werden kann, dass es möglich ist, im Einvernehmen mit dem Kapital Löhne und Arbeitsplätze zu sichern, Verlagerungen und Standortschließungen zu verhindern. Dies schafft kein Klassenbewusstsein und verschleiert die Interessengegensätze zwischen Kapital und Arbeit. Alle bisherigen Erfahrungen aus den gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen lehren, dass ohne Kampf bestenfalls ein paar Krümel abfallen, aber keine substanziellen Verbesserungen. Aber Aufgabe der Gewerkschaften ist, auch in der Krise, auch wenn die Bedingungen schwierig sind, die Interessen der lohnabhängig Beschäftigten zu verteidigen und Verbesserungen durchzusetzen. Dazu hat das Moratorium nicht getaugt.

Ein Kampf ist auch unter schwierigen Bedingungen möglich. Sicher war die Situation schwieriger als in vergangenen Tarifauseinandersetzungen, weil sich die zyklische kapitalistische Krise bereits 2019 angekündigt hat. Aber es waren nicht alle Bereiche der Metall- und Elektroindustrie gleichermaßen betroffen. Viele Maschinenbauer haben volle Auftragsbücher. Selbst in der Autoindustrie gibt es Firmen, wo es brummt, zum Beispiel Porsche. Sie haben schon angekündigt, in diesem Jahr noch 20 Samstagsschichten zu fahren. Mit einer geschickten Streiktaktik wären deshalb druckerzeugende Aktionen möglich gewesen. Der IGM-Vorstand hat von vornherein keinen Streik gewollt – und dies hatte nichts mit Corona zu tun, sondern war eine bewusste Entscheidung, die wir als Kommunisten kritisieren müssen. Die Folgen müssen jetzt die Kolleginnen und Kollegen ausbaden. Trotz steigender Inflation – verstärkt noch durch die Pandemie – gibt es keine Entgelterhöhung. Am 1. April 2018 gab es 4,3 Prozent – und bis Ende 2020 gibt es jedenfalls keine tabellenwirksame Erhöhung, also fast drei Jahre. Die Vereinbarung zum Kurzarbeitergeld fällt noch weit unter das Niveau bestehender IGM-Tarifverträge, zum Beispiel unter den von Baden-Württemberg. Und prompt folgt jetzt auch hier der Angriff von den Metallkapitalisten von Südwestmetall, dass sie diese Aufzahlung beim Kurzarbeitergeld absenken und Schichtzuschläge kürzen wollen sowie das 2018 durchgesetzte tarifliche Zusatzentgelt von 400 Euro pro Jahr streichen wollen. Das zeigt doch ganz deutlich, dass, wenn die Gewerkschaften Schwäche zeigen, das Kapital dies ausnützt und weitere Angriffe startet (siehe UZ vom 15. Mai).

Die schwierige Situation durch die Pandemie wird jetzt ausgenutzt, um soziale Standards zu verschlechtern, sei es bei der Verlängerung des Arbeitstages auf bis zu 12 Stunden oder der Verkürzung von Ruhezeiten zwischen zwei Arbeitseinsätzen auf 9 Stunden. Und da gab und gibt es leider keinen Aufschrei der Gewerkschaften, keine Skandalisierung, nichts. Wir brauchen dringend, gerade in der Krise, eine kämpferische Ausrichtung der Gewerkschaftspolitik – weg von der Sozialpartnerschaft –, um die Angriffe abzuwehren, um zu verhindern, dass die Krisenlasten auf uns abgewälzt werden. Wird der Schmusekurs von Seiten der IGM allerdings weiter gefahren, werden soziale Errungenschaften fallen.

Dass auch unter Corona-Bedingungen gekämpft werden kann, zeigt der mutige Streik der Belegschaft bei Voith Sonthofen.

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"Der IGM-Vorstand schürt Illusionen", UZ vom 22. Mai 2020



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