Die Allparteienkoalition

Eine Glosse von Guntram Hasselkamp

Da wächst zusammen was zusammen gehört. Was hatten sie nicht zuvor getönt: Niemals! Unvorstellbar! Der bürgerliche Polit-Zirkus lebt vom Streit – unter Brüdern (und Schwestern). Es soll ja so aussehen als hätte der „Wahlpöbel“ eine Wahl. Und nun: Jeder mit jeder. Wenn es nach Gregor Gysi geht: „Die Linke“ mitten dabei.

Es geht um die politischen Futtertröge. Wählerstimmen werden mit Geld aufgewogen. Und wenn es genügend sind, auch mit wohldotierten Abgeordneten- und Ministersesseln. Um das (Agenda)-Regierungsprogramm braucht sich ohnehin niemand groß zu kümmern. Es ist von den Bertelsmänner und diversen anderen Think Tanks längst vor gedacht und wird von den Leitmedien täglich verkündet. Es heißt: Sparen, den Gürtel enger schnallen, Rationalisieren und Privatisieren. Und Kriege führen, um diese unsere heiligen Werte in die Welt zu tragen. Es ist selbstredend auch das Programm der AfD. Gesucht wird bei der Wahl: Der/die beste Kommunikator(in).

Wer das für übertrieben hält, der wird nun wieder einmal eines Besseren belehrt. Schwarz-Oliv in Baden-Württemberg, Schwarz-Rosa-Oliv in Sachsen-Anhalt, Rosa-Gelb-Oliv in Rheinland-Pfalz. Der „Sachzwang“ AfD macht alles möglich. Es gehe um die „Existenz“ von CDU und CSU, raunt es aus München. „Wir müssen über parteipolitische Schatten springen“, verkündet der geschmeidige „Auschwitz“-Krieger Joseph Fischer bei einem Auftritt mit dem nicht weniger geschmeidigen Winfried Kretschmann, „und unabhängig, wo wir sortiert sind, anerkennen, was geleistet wird.“ Kretschmann, das ist CDU, und nicht mal mit Veggie-Day. Über die Geschmeidigkeit der SPD ist nicht viel zu sagen. Sie ist ja seit 1914 nur allzu bekannt. Die logische Frage: Warum überhaupt wählen gehen?

Neoliberalismus heißt bekanntlich: Die Reichen sollen reicher werden und die Armen ärmer. Das ging lange Zeit gut, Arme haben keine Lobby und das, was dazwischen lag und mit Mittelschicht nur arithmetisch ungenau definiert ist, hoffte nicht zu den Verlierern zu gehören. Bekanntlich ein Irrtum. Den vielleicht zwei Mio. Flüchtlingen stehen in der EU 120 Mio. „von Armut Bedrohte“ gegenüber. Nicht leicht zu verkraften, weil diese Mittelschicht aus vielerlei Gründen zu den eifrigsten Verfechtern des neoliberalen Sozialdarwinismus gehört. Zu den Verlierern zu gehören, heißt da persönlich gescheitert zu sein. Und scheitern will niemand. Da aber der Neoliberalismus und die Requirierung der reichlich vorhandenen Privatvermögen außerhalb der Diskussion stehen (vom Kapitalismus erst gar nicht zu reden) bleibt nur der Ausweg Externalisierung. Ein Sündenbock muss her. Die ewig-alte Krisenlösungsstrategie des Kleinbürgermilieus hat ein neues Vehikel: Die AfD.

Es kamen die Flüchtlinge und der Untergang des Abendlandes in der Silvesternacht; der Sündenbock war gefunden und die AfD boomt. Bezeichnenderweise insbesondere da, wo es kaum Sündenböcke, dafür aber umso mehr neoliberale Zerstörung gibt. Und nun lautet die große, alte Erklärung für die ganz große Anti-AfD-Koalition: „Gemeinsamkeit der Demokraten“. Was gegen Links half, soll nun gegen Rechts helfen. Allerdings, diese Frontstellung ist ein Bluff.

Das offizielle AfD-Bashing soll verschleiern, dass es in der entscheidenden Kernfrage deutscher wie auch deutsch-europäischer Politik diese Frontstellung überhaupt nicht gibt. Dass es im Gegenteil die große Gemeinsamkeit der neoliberalen Austeritätsfanatiker gibt, die sich allenfalls in Nuancen von Schäubles Nullfetischismus und Merkels „schwäbischer Hausfrau“ unterscheiden. Auch für die AfD steht die neoliberale Agenda außer Frage. Nur brauner und nationalistischer sollte sie sein. Und wie es in der Euro/Europa-Frage aussähe, wenn es zum Schwur käme, ist noch lange nicht entschieden. Die „Alternative“ ist keine Alternative. Ihre Wähler jedenfalls haben von ihr ebenso wenig eine Lösung ihrer Probleme zu erwarten, wie von den etablierten neoliberalen Blockparteien.

Der erste Effekt: Beschleunigung der neoliberalen Zurichtung der Gesellschaft. Wie in der Flüchtlingsfrage wird man die AfD zu verhindern suchen, indem man sie im vorauseilenden Gehorsam kopiert. Der Focus hat schon einmal sechs „Koalitions-Bomben“ ausgemacht, die nun „scharf gestellt“ werden würden. Prioritär der Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik, dann die Blockade des SPD-Gesetzesvorhabens zu Leiharbeit und Werkverträgen, die Kassierung von Gabriels Sozialpaket, und die Durchsetzung von Schäubles Sparhaushalt.

Der zweite Effekt: Mit dem Schreckgespenst AfD und dem exkommunikativen Kampfbegriff „Querfront“ sollen zögerliche „Bedenkenträger“ unter den „Demokraten“, speziell die Linke, auf die neoliberale Kriegs-Agenda eingeschworen werden. Gelänge es tatsächlich unter dem Label „Gemeinsamkeit der Demokraten“ die Linke strategisch ins neoliberale Boot zu holen, wäre mit dieser Landtagswahl der ganz ganz großen neoliberalen Blockpartei ein politischer Erdrutschsieg gelungen.

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"Die Allparteienkoalition", UZ vom 25. März 2016



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