10 000 Menschen in Duisburg ohne Krankenversicherung

Die Devise heißt Aussitzen

Von Sylvia Brennemann

Dass die Stadt Duisburg, getreu dem Zitat von Oberbürgermeister Sören Link (SPD), nichts unversucht lässt, um möglichst viele Roma zum Wegzug zu bewegen, findet einen Höhepunkt sicherlich in dem Umstand, dass nach wie vor 10 000 Menschen ohne hinreichende Gesundheitsversorgung leben müssen. Aussicht auf eine Krankenversicherung und somit eine Versorgung im Regelsystem haben nur jene, die in der Lage sind, die Kosten einer Versicherung selber zu bestreiten oder bereits in ein etwaiges Arbeitsverhältnis eingetreten sind. Im Alltag bedeutet dies, dass der gewöhnliche Gang zum Arzt verwehrt bleibt und die Betroffenen nicht selten in lebensbedrohliche Situationen bringt. Eine privatrechtliche Versorgung ist oft mit einer massiven Überschuldung der Betroffenen verbunden, wird jedoch von den allermeisten Ärzten abgelehnt. Das Ergebnis: Chronisch Erkrankte, etwa Diabetiker, haben keine Möglichkeit, ihr notwendiges Insulin zu bekommen. Schwangere und Kinder erhalten keinerlei Vorsorgen.

Der „Petershof“, ein katholisches Sozialzentrum in Duisburg-Marxloh, hat vor mehr als einem Jahr die Gesundheitssprechstunde für Menschen ohne Krankenversicherung ins Leben gerufen und versorgt nun jede Woche etwa 80 Patienten mithilfe von ehrenamtlich tätigen Ärzten, Schwestern und Übersetzerinnen. Im Verlauf des Jahres erlangte der „Petershof“ maximales öffentliches mediales Interesse bundesweit. Prominente Besuche wie von SPD-Vizekanzler Sigmar Gabriel haben jedoch an der Grundsituation nichts zu verändern vermocht. Während das Team vom „Petershof“ Woche für Woche an die Grenzen der Belastbarkeit stößt, sitzt man das Problem von Seiten der verantwortlichen Politiker offenbar weiterhin aus.

Der „Petershof“, der sich aus dem eigenen Selbstverständnis heraus nicht als Ersatzsystem verstanden wissen will, sondern als Übergangsszenario mit der Option auf schnellstmögliche Auflösung, ist von selbiger weiter entfernt denn je. Nicht ernst gemeinte Versuche der Stadt, einen etwaigen Versicherungsschutz mit den Herkunftsländern zu klären, verliefen im Sande. Der große öffentliche Aufschrei der Empörung ist bis heute ausgeblieben, wenngleich auch hier eine große Spendebereitschaft zu vermelden ist. Wenn man bedenkt, dass der „Petershof“ die einzige derartige Anlaufstelle für die Betroffenen ist, muss die Frage gestellt werden, wie viele Menschen die Sprechstunde nicht erreichen, wie viele Menschen schlicht auf der Strecke geblieben sind, wie viele Todesopfer diese menschenverachtende Politik des Wegsehens inzwischen zu verantworten hat. Erneut tritt die neoliberale Rathauspolitik Grundrechte mit Füßen, der Kampf für eine solidarische und lebenswerte Stadt ist heute nötiger denn je.

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"Die Devise heißt Aussitzen", UZ vom 22. Januar 2016



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