Personen, Organisationen und Netzwerke der extremen Rechten zwischen 1918 und 1933

Die geistigen Wegbereiter der braunen Barbarei

Von Manfred Weißbecker

die geistigen wegbereiter der braunen barbarei - Die geistigen Wegbereiter der braunen Barbarei - Nationalsozialismus, Politisches Buch - Theorie & Geschichte

Daniel Schmidt, Michael Sturm und Massimiliano Livi (Hrsg.): Wegbereiter des Nationalsozialismus. Personen, Organisationen und Netzwerke der extremen Rechten zwischen 1918 und 1933 (= Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte. Beiträge, Bd. 9), Klartext Verlag Essen 2015, 290 S., ISBN 978–3-8375–1303-5, 19,95 Euro

Berlin, 13. März 1920: Mit dem Einmarsch der Marinebrigade Ehrhardt, die später zur sogenannten Schwarzen Reichswehr gehörte, zu der im besprochenen Buch leider kein Beitrag aufgenommen wurde, beginnt der Kapp-Putsch.

Berlin, 13. März 1920: Mit dem Einmarsch der Marinebrigade Ehrhardt, die später zur sogenannten Schwarzen Reichswehr gehörte, zu der im besprochenen Buch leider kein Beitrag aufgenommen wurde, beginnt der Kapp-Putsch.

( Bundesarchiv, Bild 183-R16976 / CC-BY-SA 3.0)

1933, nach dem 30. Januar, kam in Deutschland rasch ein Buch auf den Markt, herausgegeben von Wilhelm Freiherr von Müffling, einem bedeutungslosen Nachkömmling des bekannten Adelsgeschlechts, aus dem im 18. und 19. Jahrhundert mehrere hohe Militärs hervorgegangen waren. Es enthielt Bilder und kurze Charakterisierungen von 168 Personen, die für den Weg in das „neue Deutschland“ einen wesentlichen Beitrag geleistet hatten. Im selben Jahr veröffentlichte auch Rudolf von Sebottendorf, eine schillernde Figur aus den völkischen Kreisen und der berüchtigten Thule-Gesellschaft, ein den Vorläufern des „Nationalsozialismus“ gewidmetes Buch. Ja, es waren viele Völkische, die, nachdem die Regierungsgewalt an Hitler übertragen worden war, ihren Anteil am „Sieg“ über die organisierte Arbeiterbewegung und die Weimarer Demokratie herauszustreichen versuchten – dies nicht zuletzt in der Hoffnung auf anerkennende Ehrung und lukrative Posten in dem sich neu formierenden Machtapparat. Allerdings galt ihnen und anderen „Wegbereitern“ im Dritten Reich, sofern sie nicht zu „Mitgestaltern“ wurden, wenig Aufmerksamkeit. Sie unterlagen oft einer Taktik des Verschweigens und der Missachtung. Mitunter wurde mit perfide zu nennender Bosheit und Kleinkariertheit gegen sie vorgegangen. So manche Publikation geriet auf den Index, einige ihrer Organisationen wurden verboten. Vor allem fortgesetztes Konkurrenzgebaren, aber auch siegestrunkene Bemühungen, alte Streitigkeiten im Nachhinein erfolgreich zu beenden, sowie persönliche Animositäten und lokale Interessen spielten eine beträchtliche Rolle. Vom „Kampf ums Urheberrecht“ sprach einer der Betroffenen in seiner Auseinandersetzung mit Alfred Rosenberg, dem insbesondere daran liegen musste, jeden Anschein eines epigonalen Charakters der Ideologie des „Nationalsozialismus“ zu vermeiden. Mehr noch: Der um den „Führer“ entfesselte Kult, ein geradezu konstitutives Element des neuen Machtsystems, vertrug sich in keiner Weise mit allem, was an der behaupteten Originalität und der erwünschten Einmaligkeit Hitlers zu zweifeln erlaubt hätte. Ideologische Rechtfertigung des Faschismus an der Macht und der forcierten Aufrüstung für einen neuen Krieg verlangten anderes als die meisten der geistigen Helfershelfer auf dem Weg zur Macht bis dahin geboten hatten. Die hielten still, zeigten sich enttäuscht oder marschierten mit in Reih und Glied.

 

Erst nach 1945 gelangte das Wegbereiter-Problem wieder in den Fokus der Öffentlichkeit. Da legten Betroffene keinen Wert mehr auf früher gepriesene „Verdienste“. Durchaus passend zu dem Entlastung heischenden Motto „Der Hitler war’s“ begann in den westlichen Besatzungszonen und in der frühen BRD eine eifrige Suche nach Möglichkeiten, Streitpunkte und Differenzen mit dem braunen Regime darzustellen. Tatsächlich vorhandenes kritisches, zumeist aus elitären Vorstellungen abgeleitetes Verhalten gegenüber einzelnen Aktionen des Nazi-Führungspersonals dienten nun als Grundlage sogenannter Persilscheine, die allenfalls von opportunistischem Mitläufertum zu künden hatten. Anders im Osten Deutschlands: Hier wurden neben jenen Großunternehmern und Politikern bürgerlicher Parteien, welche die NSDAP gefördert und unterstützt hatten, ebenfalls zahlreichen Intellektuellen ihr gerüttelt Maß an Schuld und historischer Verantwortung zugesprochen. Am deutlichsten geschah Letzteres in den Arbeiten des Historikers Joachim Petzold. Sein 1978 veröffentlichtes Buch über die geistigen Wegbereiter der faschistischen Diktatur[1] erschien auch in Westdeutschland. Hinsichtlich jener Organisationen, die als Vorläufer, als Wegbegleiter oder als Bündnispartner gewirkt hatten, bot das vierbändige „Lexikon zur Parteiengeschichte“ aus den frühen 1980er Jahren reichhaltiges Material. Es kam ebenfalls auf den westdeutschen Buchmarkt, jüngst sogar in digitalisierter Fassung.[2] Diese Publikationen zu erwähnen hielten indessen die Herausgeber des zu besprechenden Buches, zumeist ihren Anspruch auf wissenschaftlich-akribisches Arbeiten bekennend, nicht für notwendig.[3]

Mit der Hinwendung zur sogenannten Täter-Forschung und den neu gegebenen Möglichkeiten umfassender empirischer Untersuchungen, die u. a. auch für die Herausgabe der kommentierten Ausgabe von Hitlers „Mein Kampf“ erforderlich waren, offensichtlich aber auch im Zusammenhang mit der in den letzten Jahren arg zunehmenden Ausbreitung alter und neuer völkischer Ideologeme scheint gegenwärtig hinlänglich Anlass geboten, das Wegbereiter-Thema erneut aufzugreifen. Fragen zu Wirksamkeit und Bedeutung geistig-kultureller Faktoren für den Aufstieg der NSDAP gewinnen an politischer Aktualität. Man muss es daher nicht unbedingt als zufällig betrachten, dass um die Jahreswende 2015/16 einige das Thema betreffende Publikationen erschienen. Die eine liegt als Sammelband vor, der Beiträge zu einer im Herbst 2013 veranstalteten Tagung[4] vereint. In den zwölf Artikeln des Sammelbandes wird an einzelnen Beispielen gefragt, in welchem Maße die behandelten Personen, Organisationen oder Netzwerke als Wegbereiter, Weggefährten, Schrittmacher, Steigbügelhalter, Vordenker, Helfershelfer, Türöffner, Bündnispartner usw. bezeichnet werden können. Die Antworten gerieten zwiespältig. Auf der einen Seite tragen alle Autoren dazu bei, das einende Dach zwischen der NSDAP und denen, die ihr halfen, den Weg zum 30. Januar 1933 zu bereiten, hervorzuheben und bisherige Forschungsergebnisse aus neu erschlossenen Quellen zu bestätigen. Behandelt wird die nach dem Ersten Weltkrieg und nach der Novemberrevolution ausgesprochen nationalistisch argumentierende Fundamentalopposition gegen die Weimarer Demokratie, ferner die strikte Ablehnung aller universalistischen Postulate von Aufklärung und Französischer Revolution, der völkisch-rassistische Antisemitismus, Aversionen gegen Parteienwesen und Parlamentarismus, die überbordende Gewaltbereitschaft – generell also mehrere Erscheinungsformen einer spätbürgerlichen Gegenrevolution.

In der Tat kann die Etablierung der hitlerfaschistischen Herrschaft nur vollständig erklärt werden, wenn auch all jene Kräfte berücksichtigt werden, die sich nationalistischer, völkisch-rassistischer und antisemitischer Gesinnung verschrieben hatten, selbst wenn sie nicht unmittelbar zu den Organisationen der NSDAP gehörten. Brigitte Zuber verweist zum Beispiel auf die breite Zustimmung katholischer Kreise zu völkisch-antisemitischen Positionen – eine Haltung, die sich vor allem aus dem vorherrschenden Antikommunismus speiste. Zudem spricht sie in ihrer Analyse des Netzwerks bayerischer Eliten von „protofaschistischen Wegbereitern“ (S. 145), verdeutlicht durch eine interessante grafische Darstellung (S. 148 f.) Ihr Fazit: Es sei belegt, „dass die zum Sturz der Weimarer Republik gegründeten Organisationen sowohl im paramilitärischen als auch im parteipolitischen und kulturpolitischen Bereich ihren Ursprungsort nicht an der Basis – ‚im Volk‘ oder bei den Arbeitern – hatten, sondern gezielt durch die gesellschaftlichen Eliten eingerichtet oder gefördert wurden“. (S. 160) Ein solches Urteil ist sehr bemerkenswert angesichts der neuerlich von Historikern sowie von meinungsbildenden Medien betriebenen Zuschreibung aller historischen Verantwortung einzig und allein auf Hitler, allenfalls auch – völlig undifferenziert – auf „die“ Deutschen.

Andere Autoren des Sammelbandes versuchen, die Wegbereiter-These als „plakativ“ und „eindimensional“ zu bewerten und unterscheiden zwischen Faschisten nationalsozialistischer Prägung einerseits (hauptsächlich bestimmt durch Kriterien wie Vernichtungskrieg und antisemitischer Massenmord) und völkisch-rassistischen Kräften andererseits, die oft als „moderat Völkische“, „naive Wegbereiter“ und ähnliches mehr erscheinen. Abgesehen von einer notorischen Ablehnung der Demokratie (so dürftig fassen die Herausgeber es zusammen) hätte die extreme Rechte „ein in sich höchst differenziertes, häufig durch ideologische Grabenkämpfe und persönliche Animositäten geprägtes Spektrum“ dargestellt. Dessen Verhältnis zum „Nationalsozialismus“ sei „durch temporäre, regionale und personelle Bündnisse sowie bisweilen ostentative Nähe, aber auch durch Distanzierungsprozesse, Verwerfungen und unverhohlene Konkurrenzen gekennzeichnet“ gewesen (S. 9). Dass diese jedoch keinesfalls überbewertet werden dürfen, zeigen insbesondere die aussagestarken Beiträge über den Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund (Uwe Lohalm/Martin Ulmer), die Deutschvölkische Freiheitspartei (Stefanie Schrader), die Gesellschaft zum Studium des Faschismus (Manfred Wichmann), die paramilitärischen Verbände der österreichischen Heimwehren (Martin Moll), die im Hintergrund wirkende Figur des thüringischen Politikers Max Robert Gerstenhauer (Alexandra Esche), die „Wegbereiterinnen“ Mathilde Ludendorff (Annika Spilker) und Edith Salzburg (Heidrun Zettelbauer). Jan-Philipp Pomplum und Alexander Graf kommen in ihren Analysen zweier südwestdeutscher Freikorps beziehungsweise studentischer Verbindungen zu der Schlussfolgerung, die biografischen Kontinuitäten hin zu den NS-Organisationen ließen nicht zu, sie als „Keimzellen“ der NSDAP zu betrachten. Einige Beiträge behandeln unter dem Stichwort „regionale Netzwerke“ die Karrieren führender NS-Funktionäre in den NSDAP-Gauen Südhannover-Braunschweig und Osthannover (Detlef Schmiechen-Ackermann) sowie den Bund für Deutsche Kirche in der schleswig-holsteinischen Landeskirche (Hansjörg Buss).

Bedauerlich ist, dass einige Vorträge, die 2013 in Gelsenkirchen gehalten worden sind, nicht in den Band aufgenommen worden sind oder, aus welchen Gründen auch immer, nicht gedruckt werden konnten. Immerhin wäre z. B. etwas zu erfahren gewesen über die sogenannten Alten Kämpfer der Berliner NSDAP, deren Herkunft und Milieuzugehörigkeit in bildungsbürgerlichen Schichten zu verorten seien, ferner über das Verhältnis der bündischen Jugend zur Nazipartei, zu den Nazis in der Schwarzen Reichswehr oder auch zur Übertragung politischer Ideen in die christliche Religion. Schließlich mag erstaunen, dass nicht einmal ansatzweise über die geistige und politische Wegbereitung hinaus auf die ganz reale Förderung der NSDAP durch Großindustrielle, Großagrarier, Reichswehr, Staatsbeamte und Parteipolitiker geschaut worden ist. Ganz und gar verrannt dürften sich allerdings die Herausgeber haben, wenn sie glauben machen wollen, es ließe sich bis 1933 und auch noch in die Regimephase hinein bei den im Band thematisierten individuellen und kollektiven Wegbereitern „alternative“ (sic!) Strömungen feststellen, weshalb die NSDAP nicht nur als Catch-All-Party, sondern auch als Sammlungsbewegung eines Milieus verstanden werden solle, das seine Heterogenität bewahrte (S. 18). Vielleicht darf ein Lapsus vermutet werden, da es im Tagungsbericht ausdrücklich heißt, es sei von „alternativen faschistischen Strömungen“ geredet worden. Dies würde durchaus Sinn machen, nicht aber die nahe liegende Schlussfolgerung, dass jene Kreise, deren „Heterogenität“ die Herausgeber bewahrt sehen, nicht dem 1933/34 errichteten Diktatursystem zugeordnet und nicht als Nazis bezeichnet werden sollten. Demgegenüber hält es der Rezensent eher mit der These von Karl Heinz Roth, dass die fünf von ihm benannten Strömungen (der Jungkonservatismus, die militaristisch-nationalistischen Kampfbünde und Freikorps, die völkisch-rassistische Bewegung, der politisch-paramilitärische Arm des Hugenberg-Konzerns sowie der Stahlhelm – Bund deutscher Frontsoldaten und die Deutschnationale Volkspartei, der universalistisch-rechte Rand des politischen Katholizismus) als unterschiedliche Ausprägungen des deutschen Faschismus zu deuten sind. Für die Zeit zwischen 1933 und 1945 spricht er von „vielstimmigen Mitgestaltern des deutschen Faschismus“. Gerade mit dem Blick in die Gegenwart scheinen die überzogenen Differenzierungsbemühungen jene zu stützen, die zwar offen faschistischen Ungeist zur Schau stellen, zugleich lautstark und inständig beteuern, man sei doch kein Nazi.

 

Anmerkungen

[1] Joachim Petzold: Konservative Theoretiker des deutschen Faschismus. Jungkonservative Ideologen in der Weimarer Republik als geistige Wegbereiter der faschistischen Diktatur, Berlin 1978 und 2./1982.

[2] Siehe Dieter Fricke (Hg.) in Zusammenarbeit mit Manfred Weißbecker u. a.: Lexikon zur Parteiengeschichte 1789–1945. Band I – IV. Die bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien und Verbände in Deutschland. PapyRossa Verlag Köln (2015).

[3] Lässt sich diese politisch motivierte Selektion noch erklären mit wie auch immer zu bewertenden Aversionen gegen die Geschichtswissenschaft in der DDR, so scheinen diese aber ebenso jenen Publikationen zu gelten, die in den alten Bundesländern aus der Feder von links orientierten Wissenschaftlern stammen (z. B. bleiben Reinhard Kühnls bündnistheoretischen Überlegungen völlig außen vor) oder die nach der sogenannten Wende in den neuen Bundesländern erschienen.

[4] Siehe den Tagungsbericht von Kathrin Bass und Astrid Mohr unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index

Gekürzte Fassung (Fußnoten), Vorabdruck aus den Marxistischen Blättern, Heft 3_2016

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"Die geistigen Wegbereiter der braunen Barbarei", UZ vom 22. April 2016



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