Die Berliner Flick-Sammlung sucht ein neues Zuhause

Die Nöte reicher Kunstsammler

Jürgen Meier

Als die Stadt Zürich dem Kunstbesitzer Friedrich-Christian Flick eine Abfuhr erteilte, der mitten in der Stadt auf eigene Kosten ein Museum bauen lassen wollte, um dort seine Sammlung zu zeigen, freute sich Gerhard Schröder. Denn am 21. September 2004 durfte der damalige Bundeskanzler in den Berliner Rieckhallen, die Flick mit acht Millionen Euro hatte umbauen lassen, die wohl umfangreichste Ausstellung zeitgenössischer Kunst in Europa eröffnen.

Das ist nun Geschichte. Am 30. September 2021 läuft der Leihvertrag mit Flick aus. Die Eigentümerin der Hallen, die österreichische Immobiliengesellschaft CA Immo, will diese abreißen. Schon vor der Eröffnung hatten viele in der Vergangenheit des Mäzens gebohrt und förderten Unrat ans Licht: „Blutgeld“ seien die Milliardenwerte der Kunstsammlung. „Blutgeld“, geerbt vom Großvater Friedrich Flick, der zu Hitlers wichtigsten Waffenlieferanten gehörte. Berlin müsse ablehnen, so die damaligen Protestler. Half nicht, aber warum sammeln die Erben des „Blutgeldes“, wie auch andere Superreiche dieser Welt überhaupt Gemälde, Grafiken oder Skulpturen?

Der Kunstsammler Otto Gerstenberg (1848 bis 1935), einer der ersten großen Kunstsammler Berlins, Mitbegründer der Victoria Versicherung, die unter anderem durch die Bismarckschen Pflichtversicherungen zur größten Lebensversicherung Deutschlands wurde, sammelte zunächst Dürer, Rembrandt, Goya und andere. Im Todesjahr Nietzsches (1900), der die Kunst als die „eigentlich metaphysische Tätigkeit des Menschen“ bezeichnete, die der „Steigerung des Lebens“ diene, wechselte der reiche Sammler Gerstenberg zur Moderne, zu den Impressionisten.

Als das Arbeiterkind Erich Marx (1921 bis 2020), Besitzer vieler Reha-Kliniken, eine Grafik von Friedrich Mecksepers entdeckte, war es um ihn geschehen: „Und plötzlich war da eine Faszination, die mich nicht mehr losgelassen hat.“ Er wurde Kunstsammler. „Angesichts schwieriger Börsenzeiten suchen Anleger zunehmend beständige Werte, der Kunstmarkt ist in den Spitzenbereichen langfristig renditestärker als die Wertpapiermärkte“, so der Kunstmarktexperte der Dresdner Bank. Am begehrtesten bei Sammlern sind Gemälde der Moderne. Anders als im alltäglichen Warenaustausch, wo die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit den Wert eines Produktes bildet, gibt es diese objektive Größe auf dem Kunstmarkt nicht. Der Preis der modernen Kunst steigt durch die Deutungen, die Kritiker formulieren. Echte Kunst, also „das Hier und Jetzt des Originals“ (Walter Benjamin), ist eine Luxusware geworden, deren Besitz nur wenigen vorbehalten bleibt. Diese Luxusware wird nicht konsumiert wie ein Bentley oder Porsche, sondern ihr Preis, bei richtiger Anlage, steigt sogar und mit ihm das Ansehen seiner Besitzer. „Der eine baut ein Unternehmen auf, der andere baut eine Sammlung auf, möchte aber natürlich auch Ansehen dafür, Bestätigung.“ Das „echte Kunstwerk“, worunter die Sammler stets das Original verstehen, wird zu einem Fetisch. Mit jedem neuen Original nimmt die Wichtigkeit der eigenen Person zu. Fast jeder Museumsstifter wird irgendwann Ehrenbürger oder erhält das Bundesverdienstkreuz.

Seit knapp 100 Jahren taucht ein anderer Typ auf: der „Art Consultant“. Diese Experten verfügen über ausgezeichnete Kontakte zum internationalen Kunsthandel und verwandeln auf Wunsch für den solventen Kunden eine ererbte Sammlung alter Meister in eine der klassischen Moderne. Bilder der Kunst sind Bilder des Zeitgeistes, der von Sammlern geprägt wird. Intellektuelle verschiedenster Sparten bannen dieses Leitbild in Worte. Bedingt durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung, liefert dann der Stab an Intellektuellen den Künstlern-Sammlern das geistige „Material“. Nicht die Gegenständlichkeit, sondern die „Intuition“ soll zum Ausdruck gelangen, deren Quelle ins Reich des Mythischen führt. „Höhere Wesen befahlen mir, Flamingos zu malen“, fabulierte Sigmar Polke (1941 bis 2010), auf dessen Haus sicher ein Blitzableiter und nicht Jupiter verhindern sollte, dass es in Flammen aufgeht.

Nietzsche ist der geistige Ziehvater dieser Gedankenwelt in der Kunst, was nicht nur an den häufigen Darstellungen dieses Mannes deutlich wird. Der Theoretiker des Expressionismus, Wilhelm Worringer, setzte Nietzsches Philosophie für die Kunst um: Der Expressionismus sei ein Mittel, sich zu „emanzipieren von jenem Rationalismus des Sehens, der dem gebildeten Europa als das natürliche Sehen erscheint“. Man begann vor der Wirklichkeit in eine abstrakte Opposition gegen die „Bürgerlichkeit“ oder das „Spießige“ zu flüchten, ohne sich dabei der historischen und gesellschaftlichen Bedeutung dieser Begriffe im klaren zu sein.

„Die Vielfalt und Wirklichkeit verschwinden doch beinahe“, behauptet Anselm Kiefer, „vor den unendlichen Kolonnen der bloßen Möglichkeit.“ Für Franz Marc war die Kunst „Symbol für die Altäre des kommenden Geistigen“, das im Nazi-Ideologen Alfred Rosenberg seinen Vollstrecker fand. Die Kunst war für Rosenberg eine „Religion an sich“, die als „Medium der Weltüberwindung“ dienen sollte. Gerhard Richter und Sigmar Polke eignen sich für diese Art der Wirklichkeitsflucht besonders gut, denn ganz im Sinne Kandinskys, der die Entkopplung der Kunst von jeglicher äußerer Sinnbestimmung forderte, sagt Gerhard Richter: „Bilder, die deutbar sind und die Sinn enthalten, sind schlechte Bilder.“ Sind Richters Bilder also sinnlos? Nein! Sie gaben und geben den Sammlern Burda, Marx, Flick, Ludwig und wie die Superreichen alle heißen eine Grundlage für ein Lebenswerk, das öffentliche Bewunderung erzielen soll, denn Reichtum macht, allein genossen, offensichtlich nicht glücklich.

Doch wohin nun mit der Flick-Sammlung, werden sich viele fragen, die Kunst mit „kapitalistischem Realismus“ verwechseln. Sinnvoller wäre allerdings die Frage: Müssen die Berliner Rieckhallen, die 2007 vom Bund (Bahn AG) an die österreichische CA Immo verkauft wurde, abgerissen werden, damit ein Finanzhai das Gelände mit Luxusimmobilien bebauen kann? Sollten sie nicht besser in öffentliches Eigentum rückgeführt werden? Wo bleibt der Widerstand gegen die Superreichen im Leben und in der Kunst?

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"Die Nöte reicher Kunstsammler", UZ vom 20. November 2020



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