Kein Platz für Künstler, die aus der Formation tanzen

Wer nicht spurt, fliegt

In den Zeiten der Mobilmachung sortiert sich auch der Kulturbetrieb. Der 68-jährige Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, Waleri Gergijew, der das Pech hat, Wladimir Putin persönlich zu kennen, muss den Konzertsaal verlassen. Dieter Reiter, Oberbürgermeister der bayerischen Landeshauptstadt, die mit dem ukrainischen Kiew verschwistert ist, hatte ihm am Nachmittag des 25. Februar ein Ultimatum mit Dreitagefrist gestellt: „Gemeinsam mit den Orchestervertretern der Münchner Philharmoniker erwarte ich von Ihnen als Chefdirigent des Orchesters jetzt ein deutliches Zeichen der Distanzierung von den völkerrechtswidrigen Angriffen gegen die Ukraine“, schrieb Reiter an Gergijew. Der fügte sich nicht. Auch das nächste Ultimatum, diesmal vom Festspielhaus Baden-Baden, ließ er einen Tag später ablaufen. „Wir vertreten offensichtlich nicht mehr die gleichen Werte“, markierte Intendant Benedikt Stampa die Frontlinie zwischen Gut und Böse und lud den Dirigenten aus. Was einem sozialdemokratischen Bürgermeister recht ist, ist dem grünen Stuttgarter Finanzminister Danyal Bayaz lieb. Mit den Worten „Wer nicht mit dem Kriegstreiber bricht, hat keinen Platz bei uns!“ bläst er das Halali zur Jagd auf die russische Opernsängerin Anna Netrebko, die in München, Berlin und Baden-Baden nicht mehr singen darf und nun auch von einem für September geplanten Event im Stuttgarter Neuen Schloss wieder ausgeladen wurde. Auf Instagram hatte sie gepostet „Ich möchte, dass dieser Krieg aufhört und die Menschen in Frieden leben können. Das erhoffe ich mir und dafür bete ich.“ Das war der Stahlhelmfraktion auf den weichen Intendantensesseln zu wenig, wer nicht Putin mindestens einen Kriegsverbrecher nennt, ist draußen. Sie lasse sich nicht zwingen, „ihr Vaterland zu beschimpfen“, kommentierte die Sopranistin.

Anna Netrebko DRs Koncerthus - Wer nicht spurt, fliegt - Kriege und Konflikte, Kulturindustrie, Repression, Russland, Ukraine - Kultur
Auch Anna Netrebko ist einem Auftrittsverbot ausgesetzt. (Foto: Manfred Werner (Tsui) / Wikimedia Commons / CC BY-SA 3.0)

Der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, findet Gefallen daran, in Zukunft Künstlerinnen und Künstler per Dekret und Ultimaten auf Regierungs- und NATO-Kurs zu trimmen: Wer sich „Autokraten andient und sie unterstützt, muss mit Konsequenzen rechnen, dies sollte generell und nicht nur im Krieg gelten“. Ein Vorgeschmack kommender Zeiten. Die Chancen für Gergijew und Netrebko, gegen die Kündigungen juristisch vorzugehen, sind offen. Die für das jeweilige Engagement getroffenen Vereinbarungen sind frei ausgehandelte Dienstverträge, Arbeitsrecht ist streng genommen nicht anwendbar. Die Stadt München als Dienstherr wird sich darauf berufen, dass Gergijew durch sein Verhalten das Ansehen einer öffentlichen Institution geschädigt habe. Man bedient sich damit der Rechtsfigur, die auch aus dem Arbeitsrecht bei politisch bedingten Kündigungen unliebsamer Arbeitnehmer bekannt sind: der „Störung des Betriebsfriedens“. Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Mai 2018 (1 BvR 1149/17) wissen wir, welch hohes Gut der Betriebsfrieden ist, der höher stehen kann als die „Meinungsäußerungsfreiheit im Betrieb“. Doch in all den entschiedenen Fällen basierte die „Störung des Betriebsfriedens“ auf einem aktiven Verhalten und nicht auf der bloßen Verweigerung einer Ergebenheitsadresse.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Wer nicht spurt, fliegt", UZ vom 11. März 2022



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