Zum Treffen zwischen Joseph Biden und Xi Jinping

Die Welt ist groß genug für alle – eigentlich

Die westlichen Kampfmedien waren auf das schlichte Narrativ eingeschworen worden: Das Treffen Xi-Biden sei ein Erfolg gewesen. Der chinesische Staatschef sei gewissermaßen eigens nach San Francisco gereist, um Joseph Biden zu treffen. Nun rede man wieder miteinander. Der US-Präsident sagte dann auch pflichtgemäß, die Gespräche seien „einige der konstruktivsten und produktivsten, die wir gehabt haben“. Xi Jinping werde in Zukunft auch „ans Telefon gehen“, wenn er anrufe. Die US-Diplomatie, soweit man von so etwas überhaupt reden kann, hatte in Peking mächtig antichambriert, um dieses Treffen zu ermöglichen und um die entsprechenden Bilder produzieren zu können. Angesichts des Desasters in der Ukraine, des drohenden Flächenbrands im Nahen Osten und der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen ist man in Washington erkennbar wenig an einer Eskalation in Ostasien interessiert – zumindest nicht momentan. Seit dem offenen Ausbruch des Ukraine-Konflikts im Februar 2022 hatte sich die Biden-Regierung bemüht, Peking ins US-Boot zu holen. Das gilt erst recht, wenn sich der zionistische Versuch, die Palästinenser aus Gaza zu vertreiben, zu einem Großkonflikt bis hin zu einem Krieg gegen Iran ausweiten sollte.

Die chinesische Seite hatte sich, insbesondere seit der Ballon-Affäre, ziemlich abweisend gegenüber den US-Avancen gezeigt. Wozu mit jemanden verhandeln, der selbst die absurdesten Geschehnisse zu einer Eskalation nutzt und der in Peking das eine sagt und in Washington so ziemlich das Gegenteil tut? Was vornehmlich für die Ein-China-Politik, konkret die Taiwan-Frage, gilt. Außerdem wollte man, bei aller taktischen Distanz zum russischen Vorgehen, die strategische Partnerschaft mit Russland nicht beschädigen. Auch diesmal dürften die chinesischen Hoffnungen auf reale Ergebnisse nahe bei null gelegen haben. Aber immerhin bot sich anlässlich des APEC-Gipfels (Asia-Pacific Economic Cooperation) die Chance auf einen klaren Punktsieg im Propagandakrieg: Man würde nach Bali die chinesische Position wieder einmal einem breiteren Publikum zugänglich machen können. Vor ziemlich genau einem Jahr hatte sich Xi mit Biden beim G20-Treffen auf der indonesischen Insel zum ersten Mal persönlich getroffen. Schon damals waren viele Hoffnungen mit dieser Begegnung verbunden gewesen, die sich im Folgenden – ebenso wie vermutlich die von San Francisco – nicht erfüllten.

Das chinesische Kommuniqué griff denn auch in seiner atmosphärischen Beschreibung das taktische Bemühen der US-Führung positiv auf, um im Weiteren aber deutlich zu machen, dass Präsident Xi in fünf Punkten unmissverständlich klargestellt habe, was denn zu einer wirklichen Verbesserung des chinesisch-US-amerikanischen Verhältnisses wirklich nötig wäre. Es gäbe zwei Optionen, die es seit einem Jahrhundert nicht gegeben habe: Entweder „Solidarität und Kooperation zu stärken“, zusammen „die globalen Herausforderungen anzugehen“ und „Sicherheit und Zusammenarbeit zu verbessern“ – oder weiterhin einer „Nullsummen-Mentalität“ anzuhängen, „Rivalität und Konfrontation zu provozieren“ und damit die „Welt in Richtung Chaos und Spaltung zu treiben“. Die Welt sei „groß genug, beide Länder (die USA und China) aufzunehmen“. Dass Verbesserungen möglich wären, es dazu aber entschlossener Schritte bedürfe.

Man kann sich beim Lesen des chinesischen Textes des Eindrucks nicht erwehren, dass – abgesehen von der Tatsache, dass man überhaupt mit­einander geredet hat – in der Sache kein ernsthafter und erst recht kein zielführender Dialog stattgefunden hat. Zumindest ist nicht erkennbar, wie sich die US-Seite zu der chinesischen Sichtweise verhalten hat, wenn sie sich denn überhaupt zur Sache geäußert hat.

Biden, in seiner ihm eigenen Art, hatte in einer nachfolgenden separaten Pressekonferenz noch einmal für gute Stimmung gesorgt und den noch in San Francisco weilenden chinesischen Präsidenten wieder einmal einen Diktator genannt. Die Bilder von einem entgeisterten Antony Blinken, dem buchstäblich sämtliche Gesichtszüge entgleisten, gingen viral. Nun schaffte es der offensichtlich noch in der Kommunistenhysterie des Kalten Krieges verhaftete US-Präsident locker, die Arbeit von Monaten mit einem Satz zunichtezumachen. Der chinesischen wie auch der russischen Führung ist natürlich klar, dass Biden längst nicht mehr den Anforderungen seines Amtes gewachsen ist, wenn er es denn je war. Aber das macht den Umgang mit dem im Abstiegskampf befindlichen US-Imperium nicht gerade einfacher.

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"Die Welt ist groß genug für alle – eigentlich", UZ vom 24. November 2023



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