Als schwarzgelber Tourist in der Hauptstadt

Dit find ick schau!

Von Karl Rehnagel

Freundin M. aus Berlin blieb zu Hause, „Da hab ich mal meine Ruhe vor euch“, und keiner konnte es besser verstehen als ich. Verkleidet mit BVB-Trikots waren Bruder S. und ich am Freitagabend für einige Zeit zu Sancho (er) und Mchitarjan (ich) mutiert. Autogramme wollte merkwürdigerweise trotzdem keiner von uns haben auf dem Weg durch Kreuzberg Richtung des legendären „Intertanks“. Die Chefin vom türkischen Büdchen schickte uns noch ein „Schaffta, wa?!“ hinterher. Dit find ick schau!

Der „Tank“ selber: Klein, verbaut, voller Raucher und einer Luft mit der Konsistenz von verdorbener Milch – das sollte mein Domizil für die nächsten zweieinhalb Stunden werden. Vernünftig, erkältet wie ich war. Um uns herum nette Gestalten, echte Kreuzberger Typen ebenso wie einige Dortmunder Touristen, die sich hierher verlaufen hatten. Der Kacksender DAZN, der uns heute das Spiel zeigen wollte, ruckelte nur dumm rum und bereits nach 3 Minuten Spielzeit pöbelte die halbe Kneipe „Scheiße“, „Ist doch immer die gleiche Kacke hier“ und ähnliches. Aber immerhin: Auch immer wieder laute Gesänge über unseren „schönen BVB“, das kenne ich aus Dortmund kaum.

Das Spiel glich sich der miserablen Übertragungsqualität an, da half auch die zwölfte Zigarette in der ersten Halbzeit nichts. Köln führte und ich unterhielt mich – unter uns Touristen sozusagen – mit meinem Stehtischnachbarn über meine Dortmunder Gartenkolonie, wo er mit seiner Frau immer spazieren geht. So klein ist die Welt, selbst in Berlin. Köln rannte und grätschte und trat derweil, Dortmund Letzteres hauptsächlich, auf der Stelle. Ein Kreuzberger hinter mir, der mich bereits nach wenigen Minuten ermahnt hatte, „Man schimpft nicht über Dortmunder Spieler“, bepöbelte jeden einzelnen Spieler des BVB aufs Übelste, wann immer ihm dazu Gelegenheit geboten wurde, also quasi durchgehend. Verrücktes Kreuzberg. Dit find ick schau!

Große Biere halfen über Pause und den größten Teil der 2. Halbzeit hinweg, bis endlich Sancho in der 70. Minute einlochte. Puh, zumindest 1:1. Ich aber erzählte jeder und jedem unaufgefordert, sicherlich zum Teil auch mehrfach, dass wir noch 3:1 gewinnen, ich hätte das nämlich getippt. Leider hatte ich überhaupt nicht 3:1, sondern 4:1 getippt, aber das merkte ich erst am nächsten Morgen beim Blick auf mein Handy. Im „Tank“ aber haute man mir nach den späten Toren von Hakimi (86.) und Paco (94.) anerkennend auf die Schultern. Ehre, wem Ehre nicht gebührt. Dit find ick schau!

Und sonst? Wolfsburg macht mir ein wenig Bange (3:0 in Berlin), die „Eisernen“ holten ihren ersten Bundesligapunkt (1:1 in Augsburg) und die Schiedsrichter knieten vor Bayern München nieder. Gleich zwei klare Elfmeter gegen die Münchener gaben sie nicht und Schalke durfte sich zu Recht arg verschaukelt fühlen. Um die Angst der Schiedsrichter vor den Münchenern zu erkennen, braucht man keinen Aluhut.

Zurück aus dem Kreuzberger Wahnsinn, in dem sich jede Nacht die Drogendealer auf Transsilwalisisch oder was auch immer stritten und die Alkoholiker der ganzen Welt ihren (Selbst-) Hass entgegenbrüllten. Dortmund. Uff. Ich kann wieder bei offenem Fenster schlafen. Eine Ruhe ist das hier. Aber Kreuzberg ist trotzdem schon schau!

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"Dit find ick schau!", UZ vom 30. August 2019



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