Energiepreise explodieren: die Profitmacherei ist schuld, nicht die Konsumenten

Duschen doppelt so teuer

Kommunalpolitische Kolumne

Fünf Minuten unter der heißen Dusche kosten nach Recherchen des WDR zurzeit knapp 33 Cent, wenn mit Erdgas geheizt wird. Vor einem Jahr waren es noch 17 Cent gewesen. Unweigerlich drängen sich Erinnerungen an den früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (damals noch SPD) auf, der im Jahr 2008 in der „Rheinischen Post“ erklärte: „Wenn die Energiekosten so hoch sind wie die Mieten, werden sich die Menschen überlegen, ob sie mit einem dicken Pullover nicht auch bei 15 oder 16 Grad Zimmertemperatur vernünftig leben können.“ Diese Aussagen sorgten damals zu Recht für große Empörung.

Während die Energiepreise explodieren, geraten auch die kommunalen Stadtwerke in den Fokus. Nach Jahren der Privatisierung und „Markt­öffnung“ nehmen die Stadtwerke eine seltsame Rolle ein: Sie sind die Grundversorger einer neoliberal geprägten Gesellschaft, in der die Daseinsvorsorge als antiquiert gilt und dem Profitstreben untergeordnet wird. Die Stadtwerke bilden einen Flickenteppich aus Aktiengesellschaften und GmbHs, die von klammen Gemeinden und manchmal von privaten Investoren dominiert werden. Sie werden in einen Wettbewerb mit mächtigen Energiemonopolisten gezwungen und sollen dabei das Gemeinwohl im Auge haben, eine Rendite erwirtschaften und die Versorgung sicherstellen, wenn sich die Konkurrenz wieder einmal verspekuliert. Diese Gemengelage führt fast zwangsläufig zu höheren Tarifen, die dann auch noch als „Beleg“ für die angeblich mangelnde Effizienz der öffentlichen Daseinsvorsorge herhalten.

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Durch die Pleitewelle von zahlreichen Billiganbietern rutschten unzählige Strom- und Gaskunden in die Grundversorgung. Mit dem dramatischen Anstieg an Neukunden überfordert, führten viele Stadtwerke höhere Grundversorgungstarife ein. Angesichts der Umstände mag dieses Vorgehen erklärbar sein, richtig ist es dennoch nicht. Um zu verhindern, dass es bald in noch mehr Haushalten kalt und dunkel wird, müssen Energiesperren verboten werden. Außerdem bedarf es eines bundesweiten Energiepreisstopps, wie es die Kampagne „Energiepreisstopp jetzt!“ fordert. Im Rahmen eines solchen Gesetzes könnte dann auch eine Gegenfinanzierung für die öffentlichen Stadtwerke geregelt werden.

Die bürgerliche Debatte wirft lieber Nebelkerzen und diskutiert über das „Fehlverhalten“ der Verbraucher. Die von den Anbieterpleiten betroffenen Haushalte erleben einen drastischen Anstieg der eigenen Energiekosten und werden nun dafür gescholten. „Viele können nicht einschätzen, wie tragfähig das Geschäftsmodell der Billiganbieter ist. Aber sie lassen sich auf das Risiko ein und sollten deshalb auch die Konsequenzen tragen, wenn es schiefgeht“, kommentierte die Wirtschaftsredakteurin Anja Krüger am 24. Januar in der „taz“. Eine interessante Weltsicht: Die Konsumenten tragen das Risiko.

Seit der Liberalisierung des Energiemarktes wurden die Kunden zum häufigen Anbieterwechsel animiert. Wer zu viel zahlt, ist selber schuld, war das Mantra. Der wachsende Wettbewerb würde zu immer günstigeren Preisen führen, hieß es. Die Menschen, die das glaubten, werden nun verhöhnt. Diese Verschleierung kapitalismusgemachter Probleme ist nicht neu. „Unvernünftige“ Konsumenten wurden schon als Ursache für den Klimawandel, schlechte Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie, Tierquälerei in der Massentierhaltung und die nächste Corona-Welle identifiziert. Was 2008 noch für Aufregung sorgte, kommt heute weniger plump und nicht selten grün daher – ein gehobener Sarrazinismus für das überlegene Gefühl im Selbstversorger-Eigenheim. Energiemarkt, Privatisierungen und Verbraucherschelte sind Teil des Problems. Die Stadtwerke schützen schon heute vor dem schnellen Blackout. Unter den richtigen Bedingungen können sie ein Teil der Lösung sein: mit sozialen Tarifen im Rahmen einer Daseinsvorsorge, die das Gemeinwohl fördert und Profitmacherei aussperrt.

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"Duschen doppelt so teuer", UZ vom 4. Februar 2022



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