Ein bisschen mehr ungleicher Lohn?

Philipp Kissel zur Tarifrunde in der Leiharbeitsbranche

Wie soll man eine Forderung für etwas bewerten, dass man eigentlich abschaffen muss? Soll man eine Lohnforderung in der Leiharbeit mit denselben Maßstäben bewerten wie in anderen Branchen? Sind 6 Prozent mehr Lohn eine gute Forderung für Arbeitsplätze, die jederzeit gekündigt werden können, die ein wesentlich höheres Unfall- und Verletzungsrisiko bedeuten, die die Arbeiter spalten und erniedrigen, die den Kündigungsschutz aushebeln? Die Tarifrunde in der Leiharbeitsbranche verfestigt die Leiharbeit, sie relativiert den unhaltbaren Zustand und gaukelt durch eine bundesweite Umfrage Mitbestimmung vor.

Eigentlich ist es ganz einfach und jeder Lohnabhängige weiß es: Leiharbeit ist Sklavenhandel und muss weg. Und doch ist es sehr kompliziert zugleich. Welcher Arbeiter, der so weit unter Druck steht, das größte Übel doch machen zu müssen, kann sich mit seinen Rechten auseinandersetzen? Wer bietet Hilfe? Wer erklärt, dass die Sicherung der Gewinne durch Flexibilisierung und Kostensenkung nicht nur ein Ziel der Unternehmer, sondern auch der „sozialpartnerschaftlichen“ Teile der Gewerkschaftsführung ist, die die Arbeiterorganisationen dominieren. Nicht geringe Teile der Klasse ahnen oder spüren das ohnehin und vertrauen deshalb den Organisationen, die eigentlich ihre sein sollten, zu recht nicht mehr.

Das neue Gesetz zur Leiharbeit, das von der IG Metall-Führung grundsätzlich begrüßt wird, sieht erst nach neun Monaten die gleiche Entlohnung wie im entleihenden Betrieb vor. So lange „überlebt“ kaum ein Leiharbeiter in einem Betrieb. Es gäbe also wieder ein Argument für Tarifverträge, die bisher fatalerweise die Gleichbezahlung verhindert haben. Ob mit oder ohne: Es bleibt beim Grundsatz „kein gleicher Lohn für gleiche Arbeit“. Das neue Gesetz verlagert Regelungen auf die Ebene des Betriebs und bedeutet damit die Zersplitterung der Rechte der Arbeiter. Leiharbeit und Werkverträge zeigen so deutlich wie kaum etwas anderes die Notwendigkeit der Vereinigung der Arbeiter, ihren Zusammenschluss ohne Ausnahme. Und es zeigt zugleich, wie sehr dies den Bestrebungen der Unternehmer und Vertreter der Klassenzusammenarbeit in der Gewerkschaftsführung widerspricht, die die Rechte der mehr als eine Million Leiharbeiter den Profitzielen opfern. Daran ändern auch 6 Prozent oder 70 Cent pro Stunde mehr Lohn nichts.

Was ist die Alternative? Die klassenbewusste Organisierung und Mobilisierung nicht nur der Leiharbeiter, sondern auch der streikfähigen Stammbelegschaften, die spüren, dass sie und ihre Rechte eigentlich gemeint sind. Ihre Organisierung in den Gewerkschaften – für ihre ökonomischen und politischen Klasseninteressen. Dies muss Aufklärung über und Konfronta­tion mit der Linie der Klassenzusammenarbeit einschließen, sonst verpufft es. Dafür braucht es eine politische Kraft, die das könnte – die Kommunistische Partei. Über die Voraussetzungen, die sie erfüllen muss, um dies zu können, muss an anderer Stelle geschrieben werden.

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"Ein bisschen mehr ungleicher Lohn?", UZ vom 30. September 2016



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