Am 13. August vor 150 Jahren wurde Karl Liebknecht geboren

Ein Leben für Frieden und Sozialismus

Michael Henkes

Der folgende Beitrag erhebt nicht den Anspruch, eine biografische Darstellung zu sein – wie sollte man auch dem Leben einer Persönlichkeit wie Karl Liebknecht mit einer Artikellänge von knapp 12.000 Zeichen gerecht werden. Er soll vielmehr Schlaglichter auf die Mannigfaltigkeit seines politischen Wirkens werfen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit oder strikte Wahrung der Chronologie.

Als Liebknecht im Jahre 1900 in die Sozialdemokratische Partei eintrat, war sie das Zentrum der weltweiten Arbeiterbewegung: Bei den Reichstagswahlen zwei Jahre zuvor holte sie schon 27,2 Prozent, drei Jahre nach Liebknechts Eintritt über 31 Prozent. Sie hatte sich 1891 in Erfurt ein – wenn auch nicht ganz unproblematisches – marxistisches Programm gegeben und vereinte Hunderttausende Mitglieder.

311002 Liebknecht Portrait - Ein Leben für Frieden und Sozialismus - Geschichte der Arbeiterbewegung - Theorie & Geschichte
Karl Liebknecht, 13. August 1871 – 15. Januar 1919 (Foto vermutlich von 1911) (Foto: Gemeinfrei)

Aber obwohl in ihren Reihen konsequente Sozialisten wie Rosa Luxemburg, Franz Mehring, Wilhelm ­Pieck, Clara Zetkin und viele weitere kämpften und obgleich an ihrer Spitze bis 1913 der „Arbeiterkaiser“ August Bebel stand, veränderte die Partei ihren Charakter zusehends. Nachdem die Herrschenden mit ihrer Strategie der unmittelbaren Repression in Form der Sozialistengesetze gescheitert waren – der Einfluss der Sozialdemokratie wuchs trotz der Illegalität –, folgte eine schleichende Integration. Natürlich: Integration im Kaiserreich bedeutete immer noch, dass man kein Mitglied der Partei auf einen einflussreichen Posten im Staat ließ, dass Sozialdemokraten mit Gefängnisstrafen und Gendarmeriebataillonen konfrontiert waren, wo immer sie die „Ordnung“ störten. Aber dennoch: Während der parlamentarische Einfluss wuchs und sich im zusehends professionalisierten Apparat der SPD eine sich verselbstständigende „Kaste“ herausbildete, verlor die Partei allmählich ihren Charakter als Kampforganisation – gerade auch, weil man sie von oben „ankommen“ ließ. Selten wurde dies eindrücklicher beschrieben als in Willi Bredels Roman „Die Väter“, der zeigt, wie die Bebelsche Partei mancherorts zum Wahl- und Stellvertreterverein verkam.

Liebknecht, die SPD vor 1914 und der Kampf gegen den Krieg

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs hätte man dennoch meinen können, die deutsche Sozialdemokratie sei auf das Kommende gut vorbereitet: Die SPD zählte 1910 über 720.000 Mitglieder, fast 4.000 Ortsvereine, 52 Reichstags- und 186 Landtagsabgeordnete sowie fast 7.800 Gemeindevertreter. Bei den Wahlen 1912 kam sie sogar auf 110 Abgeordnete. Viele ließen sich davon blenden. Doch Revolutionäre wie Liebknecht wussten, dass diese gewaltige Organisation an sich noch keine reale Macht in Händen der Arbeiterklasse bedeutete. Die von Bredel beschriebene Tendenz war nun Alltag geworden – Zahlabende statt Mitgliederversammlungen und das Fehlen marxistischer Bildungsarbeit unter den breiten Mitgliedermassen waren dessen Ausdruck.

Gerade in der Reichstagsfraktion hatten die Opportunisten das Sagen. Liebknecht, 1912 zum jüngsten Reichstagsabgeordneten gewählt, war die Ausnahme. Ihm war bewusst, dass es seine Aufgabe war, entlang der Fragen der Tagespolitik den proletarischen Klassenkampf voranzutreiben, das Parlament als Tribüne zu nutzen und mit revolutionär orientierten Resolutionen die Massen wachzurütteln.

Zu keinem Zeitpunkt wurden diese konsequente Haltung Liebknechts und die totale Verbürgerlichung des großen Teils der SPD-Fraktion deutlicher als in der zweiten Jahreshälfte 1914. Während im Juli und August 250.000 Menschen in über 30 Städten des Reiches sich zu Antikriegskundgebungen versammelten, verhandelten die Opportunisten in der Parteiführung mit dem kaiserlichen Apparat. Es folgten Aufrufe zur „Mäßigung“, propagandistische Verweise auf den reaktionären Charakter des russischen Zarismus und der Verzicht auf jeglichen Kampf für die Erhaltung des Friedens. Deutschland brach den Krieg vom Zaun und die Schlachtfelder tränkten sich mit Blut. Wenn auch der überwiegende Teil der Arbeiterklasse passiv verblieb, so setzten doch viele auf die Ablehnung der Kriegskredite durch die SPD-Fraktion als Startsignal für den offenen Kampf gegen den Krieg. Ein Irrtum – am 4. August 1914 stimmte diese für deren Bewilligung.

Liebknecht lehnte die Zustimmung zu den Krediten vehement ab, beugte sich aber der Fraktionsdisziplin – vorerst. Doch er hielt nicht still. Nicht nur in der Fraktion, sondern auch in Schrift und Tat setzte er sich gegen den Krieg ein und ließ sich trotz aller Angriffe und Anfeindungen als „Vaterlandsverräter“, trotz des späteren Ausschlusses aus der SPD-Reichstagsfraktion im Januar 1916 und trotz eines im selben Jahr von der Klassenjustiz eingeleiteten Verfahrens wegen „Hochverrats“ nicht zum Schweigen bringen. Symbolischer Höhepunkt seines antimilitaristischen Kampfes war sein „Nein“ zur Verlängerung der Kriegskredite am 2. Dezember 1914. Es war das einzige öffentliche „Nein“ aus den Reihen der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion – ein „Nein“, das Wellen schlug. Soldaten, bürgerliche Kriegsgegner und Sozialisten aus zahlreichen Ländern, darunter Wladimir Iljitsch Lenin, dankten Liebknecht – Lenin nannte ihn die „Hoffnung aller internationalistischen Elemente“. Dieses Nein war nicht umsonst – es hallte nach bis in den November 1918.

Liebknecht als Theoretiker des Antiimperialismus

Liebknecht führte nicht nur einen entschlossenen Kampf gegen den Krieg und dessen Befürworter in der eigenen Partei – von ihm stammen auch die ersten ausführlichen theoretischen Darlegungen zum Antiimperialismus in der deutschen Arbeiterbewegung.

Mit der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stieg die Aggressivität des deutschen Imperialismus zusehends: Während das Kaiserreich in ökonomischer Hinsicht Britannien und Frankreich überflügelte, war es doch andererseits geografisch ein Zwerg. Aus diesem Missverhältnis resultierten begehrliche Blicke auf die Kolonien der Briten und Franzosen, das Baltikum und die Ukraine; auch der Nahe Osten wurde mit dem Bau der Bagdadbahn als deutsches „Interessengebiet“ deklariert. Friedlich, soviel war klar, waren diese Blicke nicht. Es folgte ein Rüstungswettlauf, insbesondere mit Britannien. Diese innerimperialistischen Widersprüche führten dann 1914 zum großen Weltenbrand.

Liebknecht erkannte wie kein Zweiter, was der Militarismus für die deutsche Arbeiterbewegung zu bedeuten hatte. In seiner Schrift „Militarismus und Antimilitarismus“ definierte er ihn als Schutzwall des Imperialismus sowie als Feind jedes Arbeiters und aller demokratischen Verhältnisse. Überdies analysierte er ihn nicht als ein rein militärpolitisches Programm, sondern als allumfassendes System mit Einfluss auf Wirtschaft, Kultur, das soziale und politische Leben. Für ihn war bereits 1907, zehn Jahre vor Lenins weitergehender Darstellung des Imperialismus, klar:

„Der Militarismus ist aber nicht nur Wehr und Waffe gegen den äußeren Feind, seiner harrt eine zweite Aufgabe, die mit der schärferen Zuspitzung der Klassengegensätze und mit dem Anwachsen des proletarischen Klassenbewusstseins immer näher in den Vordergrund rückt, die äußere Form des Militarismus und seinen inneren Charakter mehr und mehr bestimmend: die Aufgabe des Schutzes der herrschenden Gesellschaftsordnung, einer Stütze des Kapitalismus und aller Reaktion gegenüber dem Befreiungskampf der Arbeiterklasse.“

Aus diesem Zusammenhang von Aggression nach außen und Repression nach innen und aus den Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung leitete Liebknecht die Notwendigkeit einer eigenständigen antimilitaristischen Propaganda – einschließlich der Arbeit in den Streitkräften – ab. Das Ringen um den Sozialismus war für ihn untrennbar verbunden mit dem Kampf für Frieden und Abrüstung. Die Bedeutung dieser Schrift war auch der Reaktion bewusst: Sie leitete die Beschlagnahmung der Broschüre und die Strafverfolgung Liebknechts ein.

Dass seine Positionen nicht nur bei Lenin, Bebel und Rosa Luxemburg Zustimmung fanden, sondern bei der Mehrheit der Sozialdemokraten, bewiesen die Beschlüsse des Stuttgarter Internationalen Sozialistenkongresses im August 1907. Der Kongress verpflichtete die internationale Arbeiterbewegung, alle Mittel gegen einen drohenden Krieg aufzubieten und – sollte er dennoch losbrechen – für seine rasche Beendigung einzutreten und die durch ihn „herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise (…) zur Beschleunigung des Sturzes der kapitalistischen Klassenherrschaft auszunutzen“.

Liebknecht und die Gründung der KPD

Im Zuge der innerparteilichen Auseinandersetzungen reifte bei Liebknecht die Erkenntnis, dass die Herausforderungen des Imperialismus eine Arbeiterpartei neuen Typs verlangten – eine Partei, die an die besten Traditionen des „Bundes der Kommunisten“ und der von seinem Vater Wilhelm und Bebel geführten revolutionären Sozialdemokratie anknüpfte, zugleich aber aus den Fehlern der Vergangenheit und den Klassenkämpfen vor allem in Russland und Deutschland lernte. Der Weg, die SPD zu dieser Partei zu machen, war verbaut – das zeigten die Ereignisse des Jahres 1914.

Schon im August 1914, unmittelbar nach der ersten Abstimmung über die Kriegskredite, begannen aufgrund der Initiative Rosa Luxemburgs die organisatorischen Vorbereitungen zur Bildung der „Gruppe Internationale“, der – zusammen mit weiteren nach wie vor revolutionären Sozialdemokraten wie Mehring, Pieck und Zetkin – auch Liebknecht beitrat. Am 1. Januar 1916 ging aus der „Gruppe Internationale“ die „Spartakusgruppe“ hervor. Anfang April 1917 konstituierte sich unter Mitarbeit Liebknechts als Folge der zunehmenden antimilitaristischen Protestbewegung die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD), die wenig später zur Massenpartei anwuchs. Die „Spartakusgruppe“ trat der USPD bei, bewahrte allerdings ihre organisatorische Eigenständigkeit, da es der zentristisch orientierten Partei an einer über eine diffuse Antikriegsstimmung hinausgehenden Klarheit fehlte. Liebknecht erkannte rasch, dass auch die USPD nicht die erforderliche Partei neuen Typs war. Er zog die Lehren aus der Oktoberrevolution und initiierte – nach der zwischenzeitlich erfolgten Umbildung der „Spartakusgruppe“ in den „Spartakusbund“ im November 1918 – die Gründung der „Kommunistischen Partei Deutschlands (Spartakusbund)“ zum Jahreswechsel 1918/19.

Im Nachhinein fällt die Einschätzung, dass es eben jene Kommunistische Partei war, die in der Novemberrevolution 1918 fehlte und dass ihre Gründung der richtige historische nächste Schritt war, nicht schwer. Doch in den Wirren der Revolution selbst war dies keine leicht gewonnene Erkenntnis. Auch bei Liebknecht, Luxemburg, Zetkin und anderen herrschte Unsicherheit. Schließlich war die immer für zentral gehaltene Einheit der Partei erst ein Jahr zuvor mit der USPD auch organisatorisch zu einem definitiven Ende gelangt. Und war es nicht die USPD, die nun die revolutionären Massen, so schwankend und teilweise opportunistisch sie auch agierte, vereinte? Waren nicht Beschlüsse wie der Wahl- und Gewerkschaftsboykott der Beweis für die verfrühte Geburt der KPD?
Liebknecht erkannte, dass – bei allen Fehlern und Problemen – die Gründung der KPD notwendig war. Die Geschichte sollte ihm recht geben, auch wenn die mörderische Reaktion ihm die Erkenntnis dieser historischen Wahrheit zu Lebzeiten nicht vergönnte. Spätestens mit der Vereinigung von USPD und KPD und später der marxistisch-leninistischen Festigung der Organisation unter Ernst Thälmann wurde dies deutlich.

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"Ein Leben für Frieden und Sozialismus", UZ vom 20. August 2021



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