Zu Rudolf Scholz’ autobiografischem Roman „Dahlienwalzer“

Ein schweres, schönes, sinnvolles Leben

Von Rüdiger Bernhardt

Rudolf Scholz, Dahlienwalzer. Roman. Querfurt, Dingsda Verlag 2018, 160 Seiten, 19,95 Euro

Der Autor ist am 29. Januar 2019 achtzig Jahre geworden und mit der Gratulation zu diesem Jubiläum ist ihm auch zu danken für ein umfangreiches Werk, das in seiner Vielfältigkeit beeindruckend ist, auch in seiner künstlerischen und moralisch-politischen Eindringlichkeit. Er ist sich bis heute treu geblieben: „Geboren 1939 im schlesischen Plagwitz bei Löwenberg, zähle ich zu der Nachkriegsgeneration, die in der DDR ihre Heimat fand.“ Die hält er – mit ihm sein Erzähler – „für den besseren deutschen Staat“.

Zu seinem Geburtstag hat er sich und uns den Roman „Dahlienwalzer“ geschenkt, ein Buch des Abschieds und der Trauer. Das Titelbild: Ein Klavier, und der Walzer im Titel deuten auf die zweite Leidenschaft des Autors neben der Literatur: Die Musik, die er zu seinem Beruf machte, er arbeitete als Musiklehrer. Das Klavier im Roman spielt eine entscheidende Rolle und erinnert an die Funktion der Musik bei Louis Fürnberg und Johannes Bobrowski. „Dahlienwalzer“ ist ein autobiografischer Roman, dessen erster Satz auf einen „sturen schlesischen Dickschädel“ verweist. Das ist der Onkel des Erzählers, sein Leben wird aus der Sicht des Neffen geschildert, nebenbei entstehen Bruchstücke einer Biografie des Neffen.

Der Onkel ist frühzeitig an die Stelle des toten Vaters getreten, er wurde für den Erzähler Leitbild und Freund. Die ersten Erinnerungen reichen vom Krieg 1944 bis 1947, als der Onkel aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam und als Umsiedler – den Begriff „Heimatvertriebener“ lehnt der Erzähler ab – in Löbau sesshaft wurde. Die Ausbildungen des Erzählers zum Porzellanmaler und zum Geiger scheiterten, ein Institut für Lehrerbildung folgte, wobei der Onkel, inzwischen eine „fast schon legendäre Persönlichkeit“, behilflich war. Die Tätigkeit als Dorfschullehrer bestimmte den nächsten Abschnitt, gekrönt vom Transport eines Klaviers, das das wichtigste und oft bewegte Requisit des Romans ist. Umgeben wird das Geschehen von unterhaltsamen, aber auch kritisch berichtenden Anekdoten bis hin zu Anlässen für Romane von Rudolf Scholz, erwähnt sei hier „Mein lieber Herr Gesangverein“. Zunehmend bekommt das Erzählen einen chronikalischen Charakter und wird ab der Mitte des Romans zum erinnerten Zeitpanorama. Außerdem hat das Erzählte in der ersten Hälfte Züge eines Musikstücks: ein Akkord auf dem Klavier im 1. Kapitel, Akkorde am Ende des 2., am Ende des 3. die Melodie von La Paloma, das hörte der Onkel am liebsten, verschlungen mit Robert Schumanns Träumerei, eine „verheißungsvolle Schlusskadenz“ am Ende des 4. Kapitels. Dazwischen agiert der Onkel, der Meister des Wasserwerks. Die zweite Hälfte steht im Zeichen einer Reise in die schlesische Heimat; ein Wort Gerhart Hauptmann wird zum Leitspruch: „A jeder Mensch hat halt ‚ne Sehnsucht.“

Der Onkel ist ein Mensch mit Widersprüchen, hilfsbereit und sympathisch, unbeherrscht und zum Widerspruch reizend. Diese kantige Gestalt passt zum angenehm altmodischen Erzählen, bei dem der Erzähler sich erinnert und in den Eindrücken und Erinnerungsfetzen nach einer Struktur sucht, die er in der zweiten Hälfte findet. Dieses Erzählen erinnert an Schriftsteller wie Mark Twain. Scholz ist eben auch ein heiterer Autor, der Traditionen wie die von Ehm Welk ebenso weiterführt wie die von Erwin Strittmatter. Nicht alles wird biografisch exakt erzählt, manches wird erfunden, wie der Erzähler mitteilt, um das Erzählte richtig erscheinen zu lassen. Richtig heißt: im historischen Kontext, der die Vorgänge erklärt. Richtig ist z. B. nicht „friedliche Revolution“, wie die „historische Kehrtwende“ „fälschlicherweise“ genannt wird. Der Roman wird zu einer beeindruckenden Erinnerung an den schwierigen Aufbau nach 1945 und das Neue, das mit Entsagungen erstritten werden musste. Der Titel betrifft den Onkel. Er liebte Dahlien und er liebte „La Paloma“, sein größter Wunsch war, beides zu verbinden. Der Erzähler tat ihm den Gefallen und dichtete und komponierte den „Dahlienwalzer“, der seine Premiere beim Jubiläum der Gartensparte hat. Am Ende ist der Erzähler gealtert und von den Verlusten erschüttert, der Onkel und alle anderen Bezugspersonen sind tot, auch die Frau des Erzählers. Herbst ist es geworden, Zeit der Besinnung und des Abschieds.

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Über den Autor

Rüdiger Bernhardt (Jahrgang 1940). Nach dem Studium der Germanistik, Kunstgeschichte, Skandinavistik und Theaterwissenschaft (Prof. Dr. sc. phil.) tätig an Universitäten des In- und Auslandes und in Kulturbereichen, so als Vorsitzender der ZAG schreibender Arbeiter in der DDR, als Vorsitzender der Gerhart-Hauptmann-Stiftung (1994-2008) und in Vorständen literarischer Gesellschaften. Verfasser von mehr als 100 Büchern, Mitglied der Leibniz-Sozietät, Vogtländischer Literaturpreis 2018.

Er schreibt für die UZ und die Marxistischen Blätter Literaturkritiken, Essays und Feuilletons zur Literatur.

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"Ein schweres, schönes, sinnvolles Leben", UZ vom 8. März 2019



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